Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Название Das Blöken der Wölfe
Автор произведения Joachim Walther
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954629664



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Die Abreise erfolgt auf dem gleichen Weg wie die Anreise, erklärte er, wir wechseln allerdings das Bildmaterial der Projektoren. Während wir zur Eingangstür zurückgingen, erklärte er mir die Vorzüge dieses Systems: Diese Form des modernen Reisens sei entschieden billiger als die konventionell-überholte, erstens, außerdem sei sie gefahrloser, Flugzeugabstürze, Schiffsuntergänge, Schlangenbisse und so weiter wären ausgeschaltet, zweitens, die Zeit der Reisevorbereitungen sei entschieden gesenkt worden, die Passformalitäten seien auf das erträgliche Minimum beschränkt, die früher üblichen Impfungen fielen weg, der Reisende müsse lediglich seinen Koffer packen und schon könne es losgehen, drittens, und viertens sei diese Art des modernen Reisens erheblich weniger zeitaufwändig. Er fragte, ob ich noch Fragen hätte. Ich verneinte, dankte und verließ das Haus, der Fahrstuhl war noch immer außer Betrieb. Auf dem Weg zur Redaktion beschloss ich, schon übermorgen eine Reise nach den Mahiniki-Inseln anzutreten, drei Tage Urlaub standen mir noch zu, außerdem würde der Artikel dadurch lebenspraller. Ich ging zum Chefredakteur, er war einverstanden.

      Nach zwei Tagen stieg ich mit meinem Koffer zum siebten Stock empor. Der Fahrstuhl … Schwamm drüber! Ich hatte mich etwas verspätet, doch das Ausstellen des Visums dauerte nur drei Minuten. Die Reisegruppe bestand aus zehn Personen. Unser Flugzeug wartete auf die Starterlaubnis, die Lautsprecherstimme sprach von einer Nebelwand über dem Golf von Bengalen. Im Flughafenrestaurant wurde uns ein Martini gereicht. Die Starterlaubnis wurde gegeben, wir schnallten uns an und löschten die Zigaretten. Der Flug verlief normal, ich flirtete ein wenig mit der hübschen Stewardess. Meinem Nebenmann wurde übel, er benutzte die Tüte. Der Eindruck des überflogenen Himalaja war besonders gewaltig. Bei der Landung in Port Moresby wurde als Einlage eine Bruchlandung simuliert, doch zuletzt ging alles noch mal gut. Die Schiffsreise nach Mahiniki war sehr schön. Auf mein Notizbuch fielen einige Salzwasserspritzer, ich beschloss, künftig nur noch Kugelschreiber zu benutzen. Drei von uns wurden seekrank, sie schluckten Kinetosin und fühlten sich bei der Landung schon viel besser. Die Insel war herrlich, ich schreibe nur: Luft, Sonne, Wasser! Das Schiff war noch nicht richtig vertäut, da stürmten wir schon an den Strand. Der Sand war kleinkörnig und großartig. Wir warfen den Stoff weit von uns, einige warten vor Sonnenbrand. Gegenseitig rieben wir uns Sonnenemulsion auf die Haut. Die Brandung toste monoton, das wirkte wie Balsam auf die Nerven.

      Nach drei Stunden verspürten wir Hunger und liefen zum Hotel. Es war malerisch gelagert. Zur Erfrischung servierte man Austern und Ananassaft. Dann wurden Nationaltänze angekündigt, die Bongos wirbelten dumpf und geheimnisvoll. Über allem stand gleißend das Kreuz des Südens, einfach traumhaft schön. Die halbnackten Bauchtänzerinnen waren auch nicht von Pappe, sie hatten ziemlich schmale Hüften, aber da war Musik dahinter. Eine gefiel mir besonders gut. Ich starrte auf ihren rotierenden Bauch, und plötzlich entdeckte ich diesen Leberfleck halbrechts vom Nabel. Genauso einen hatte unsere Volontärin in der Redaktion. Blitzschnell äugte ich auf ihre Hand, und wirklich: Da steckte der Ring, den ich ihr vor Wochen für die erwiesenen Freundlichkeiten geschenkt hatte. Sie war es. Ich konstatierte mit Genugtuung die Kontinuität meines Geschmacks. Dass ich sie hier mitten in der Südsee sah, störte mich nur wenig. Ich war auch schon etwas trunken. Es war herrlich. Dann schlief ich ein. Die Zeit verging wie im Fluge. Braungebrannt und voll schöner Bilder und Erinnerungen kehrten wir heim. Der Zollbeamte war sehr milde, wir hatten auch nichts zu verzollen. Vor der Tür stand schon die nächste Reisegruppe. Wir verabschiedeten uns voneinander und schworen, die schönen Tage von Mahiniki niemals zu vergessen.

      Anderntags setzte ich mich nieder und schrieb den Artikel über meine Südseereise. Ich sparte nicht mit begeisterten Worten. Aber auch mit Kritik sparte ich nicht. Mit schonungsloser Offenheit geißelte ich die Nachlässigkeit der Volontärin und forderte unmissverständlich, sie solle beim nächsten Mal den Nabel pudern und den Ring vom Finger ziehen.

      

Zuerst veröffentlicht: Die Weltbühne, 16. Februar 1971

       KURIOSES IN DER MOHRENSTRAßE

      Beruf und Berufung fallen bei mir auf eine höchst glückselige Weise zusammen: Ich bin Erfinder, bekannt unter dem Namen Flussel junior. Mitunter, wenn ich mich vorstelle, bemerke ich Unkenntnis auf den Gesichtern meiner Gesprächspartner, und in solchen Momenten pflege ich auf die stolze Tradition meiner Familie zu verweisen. Mein Vater nämlich war der berühmte Flussel senior. Flussel, Eugen (1863–1932) – exakt. Er erhielt 1898 das Reichspatent auf seine „Vorrichtung zum Anheben der Knie der auf dem Abort sitzenden Person gegen die Brust“, die in der Patentschrift wie folgt erläutert wird: „Gegenstand der Erfindung ist eine Vorrichtung, welche die den Abort benutzende Person derart vor sich legen kann, dass beim Ausüben eines Druckes auf eine Armstütze die Platte, auf welcher die Füße der Person ruhen, angehoben wird und die Vorrichtung somit als Brustpresse wirkt.“ Wenngleich diese Erfindung für penible Gemüter etwas anrüchig scheinen mag, so hat sie doch zweifelsfrei vielen Menschen Erleichterung gebracht, und das ist ja wohl der letztendliche Zweck jedes erfinderischen Schaffens. Mir ist bis heute die Patentierung einer meiner Erfindungen versagt geblieben, doch das will nichts beweisen, da viele geniale Erfinder der Vergangenheit dem Verständnis ihrer Zeit weit voraus waren, ich erinnere hier nur an Kollegen Dädalus aus Attika. Neulich nun glückte mir eine Erfindung, der ein Patent so gut wie gewiss ist.

      Der erste Schritt nach einer Erfindung führt zum Patentamt in der Mohrenstraße, um dortselbst in den Akten nachzusehen, ob die Erfindung schon existiert oder nicht. Der Lesesaal war ziemlich voll, was auf eine rege Erfindertätigkeit schließen lässt, zumeist junge Techniker saßen da, Ingenieure, Diplomingenieure et cetera, sie blätterten in Akten, die ich nicht verstehe. Ich bin Autodidakt, ohne akademischen Titel, allerdings mit enzyklopädischem Wissen. An dem Ausgabeschalter deutete ich vorsichtig die Art meiner Erfindung an und bat um die entsprechenden Mappen. Hinter dem Schalter sah ich Befremden, verständlich bei der Kompliziertheit meiner Erfindung, dann verstecktes Lachen, sicherlich aus Verlegenheit, Flussel jun. persönlich vor sich zu haben, und schließlich überreichte man mir lächelnd eine schwarz verschnürte Mappe, sie trug die Aufschrift „Sammelmappe für Kuriositäten“. Nun ja, dachte ich, alles Geniale ist zuerst kurios, über alles Ungewohnte wird zuerst gelacht, denken wir nur an das erste Automobil von Benz. Ich begann zu blättern und war ergriffen von der Größe und Vielfalt menschlichen Erfindergeistes.

      Da erfand 1899 Wolf von Wolf aus Dresden ein „Kopfkissen mit zum Hineinlegen der Ohren bestimmten Abschnitten“, Otto Reich aus Hannover 1893 einen „Deckbetthalter mit Lüfter“, Paul Bartmann aus Wien 1906 eine „Vorrichtung zur Verhütung des Liegens auf dem Rücken, welche den Zweck verfolgt, das bei vielen Personen sich einstellende Schnarchen sowie das Eintreten von erotischen Traumbildern zu verhindern“, also allesamt überaus hülfreiche Erfindungen bezüglich eines wonniglichen Schlafes.

      Viele meiner Kollegen beschäftigte das Problem der universellen Nutzbarkeit von Spazierstöcken: Walter Grunewald aus Riesenburg erfand 1927 einen „Spazierstock mit im Innern untergebrachter Regenhautpelerine“, Hugo Windmüller aus Berlin 1891 einen „zur Aufnahme von Flüssigkeit bestimmten Stock mit Trinkbecher im Griff“, Friedrich Brückner aus Frankfurt am Main 1891 einen „einfachen Spazierstock, zu dessen als Tintenbehälter dienendem, abnehmbarem Knopf ein Federhalter den Stöpsel bildet“, W. A. Herbst aus Pulsnitz 1877 einen „Touristen- und Botanisier-Stock“ mit Signalpfeife, Messer, Kompass, Mikroskop, Objektgläsern, Chloroform-Röhrchen, Thermometer, Sanduhr, Botanisierspatel und Eispickel, Carl Lindner aus Weyer 1905 eine „Wärmevorrichtung für Spazierstock- oder Schirmgriffe“ … Und viele andere einfallsreiche Kollegen erfanden Stöcke zur Aufnahme von Zigaretten, Zigarren, Pfeifen, Brillen, Taschenlampen, Kleiderbürsten, Schlagvorrichtungen und Insektenspritzen.

      Carl Külbs aus Freising erfand 1884 eine „Vorrichtung zur Holzzerkleinerung“, und die Patentbegründung wirft ungewollt ein bezeichnendes Licht auf die rauen bajuwarischen Sitten: „Die Vorrichtung hat den Zweck, mittelst jedes gewöhnlichen Beiles sitzend Holz spalten zu können, ohne, besonders in Mietwohnungen, störendes Gepolter zu verursachen“, Kollege Külbs kann demzufolge als Protagonist der Lärmbekämpfung gelten.

      Einige Kollegen arbeiteten erfolgreich