Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Название Das Blöken der Wölfe
Автор произведения Joachim Walther
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954629664



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aus der Neuen Rheinischen Zeitung Nr. 2 aus dem Jahre 1848.

      „Es ist eine gewöhnliche Anforderung an jedes neue Organ der öffentlichen Meinung: Begeisterung für die Partei, deren Grundsätze es bekennt, unbedingte Zuversicht zu ihrer Kraft, stete Bereitschaft, sei es mit der faktischen Macht das Prinzip zu decken, sei es mit dem Glanz des Prinzips die faktische Schwäche zu beschönigen. Diesem Verlangen werden wir nicht entsprechen. Wir werden erlittene Niederlagen nicht mit täuschenden Illusionen zu vergolden suchen.“

      Die alte Presse der alten Partei, die sich doch marxistisch wähnte, hat sich daran nicht gehalten. Bleibt zu hoffen für die neue.

      

Zuerst veröffentlicht: die andere, 3/1990

       NACHRUF AUF EINEN VERBAND

      Nachdem die DDR im Orkus der Geschichte verschwunden ist, aus dem kein orphischer Gesang sie wieder hervorholt, folgen ihr die Einrichtungen nach, die ihren Namen trugen. So auch der Schriftstellerverband.

      Die einen attestieren ihm, er sei einer der Transmissionsriemen der Partei gewesen, eine politische Organisation zur ideologischen Gleichschaltung ihrer Mitglieder, instrumentalisiert von der heillosen Politik der herrschenden Diesseitsreligion Kommunismus, korrumpiert von den primitiven, doch wirkungsvollen Machtmitteln Zuckerbrot und Peitsche, missbraucht von Funktionären des Geistes, die hofften, durch die Nähe zur geistlosen Macht mit einer Marmorbüste im Pantheon des Poststalinismus verewigt zu werden. Nun wird es nicht mal ein Abdruck aus Gips.

      Die anderen reklamieren, der alte Verband sei mehr als eine bevormundete und bevormundende Einrichtung des vormundschaftlichen Staates gewesen, er habe sich um die sozialen Belange seiner Mitglieder gekümmert, habe mitunter Widerspruch angemeldet, gröbste kulturpolitische Dummheiten zu verhindern gesucht, Reglementierungen gemildert und Öffentlichkeit geschaffen für so manches, was unterm Teppich bleiben sollte. Sie bestehen darauf, dass er keine monolithische Vereinigung notorischer Jubler und Jasager war, sondern ihm viele kritische, moralisch integre und literarisch relevante AutorInnen angehörten.

      Das eine ist richtig, das andere nicht falsch, und beides ist jeweils die Hälfte der Wahrheit. Für die ganze braucht es wohl größeren Abstand und noch einige Zeit.

      Das Jahr 1979 gehört zweifellos zu den finstersten Kapiteln der Verbandsgeschichte: Am 7. Juni wurden neun Schriftsteller unter der Regie des präsidialen Exekutors, Hermann Kant, aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Neben Stefan Heym auch Klaus Schlesinger, Kurt Bartsch, Klaus Poche und andere. Eine Amputation ideologischer Chirurgen. Doch der Phantomschmerz blieb und hielt über die Jahre die Erinnerung an das begangene Unrecht wach.

      Es gibt Täter und Opfer, und zwischen diesen Polen liegt ein weites Terrain, in dem die Grenzen verfließen. Hier ist der bevorzugte Ort, wo sich jeder Einzelne selbst befragen sollte, was er getan hat und was unterlassen, was er hätte wissen können und nicht wissen wollte, wo er schwieg und wo er hätte reden und schreiben müssen. Auch ich.

      Dass dieser alte, von der SED funktionalisierte Schriftstellerverband seit dem letzten Herbst nicht mehr existierte und spätestens seit dem außerordentlichen Kongress im März 1990 ein personell, programmatisch und strukturell erneuerter Verband war, ist kaum zur Kenntnis genommen worden. Nunmehr mittellos, stellt er mit dem Jahresende seine Tätigkeit ein. Es gibt keine Staatsflagge überm Sarkophag, der Denkstein ist eine abgebrochene Säule, der letzte Gang jedoch mehr eine Überführung denn ein Begräbnis.

      Für die künftige Vertretung der Interessen und Rechte der AutorInnen im geeinten Deutschland ist gesorgt: Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Medien steht bereit, die ostelbisch heimatlos Gewordenen aufzunehmen. Er wird, so ist zu hoffen, allen seinen Mitgliedern die Bedingungen sichern und erstreiten, die ihnen ihr Eigentliches erlauben: frei zu sein, das zu schreiben, was sie, ohne äußere Zwänge, schreiben müssen.

      

Zuerst veröffentlicht: der Freitag, 7. Dezember 1990

       17 JAHRE LEBEN

      Tagebuch-Notate 1973–1990

       18.2.73

      Literarisch hineingeboren in die Zeit, da Literatur das Leben meistern helfen sollte, das Land allseitig stärken, die Arbeitsproduktivität kraft des Bewusstseins heben, die Zeit um den VI. Schriftstellerkongress 69, auf dem erstaunliche Redner auftraten, die mit verbalem Senkrechtstart bereits nach wenigen Sekunden über den Wolken waren, zu verstehen nur noch für jene, deren Empfänger im gleichen ideologisch-synthetischen Wellenbereich arbeiteten. Christa Wolf wurde gescholten, rote Kongressmappen verteilt, deshalb der Witz: „Rotmäppchen und die böse Wolf“. Die Jungen wurden zu glätten versucht, das Markige und Hohltönende füllte die Luft, das Leise überjubelt. Und so erschien mir die Anspielung, die sorgsam versteckte Kritik wie eine Heldentat. Das schleichende Einüben der Selbstzensur, der Zucker zum Versüßen des Schlafs, die Peitsche steht sichtbar in der Ecke.

       6.3.73

      Auffällig die Inflation des Adjektivs „echt“: echtes Gefühl, echte Begeisterung, echtes Gespräch, echter Klassenstandpunkt. Dito „ehrlich“: ehrliche Meinung, ehrliches Bekenntnis, ehrliche Diskussionen etc. Untrügliches Zeichen, wie viel Unechtes, Unehrliches, wie viel Schein statt Sein um uns, in uns ist.

       31.8.73

      Unglaubliches Becher-Gedicht gefunden: Dort wirst du, Stalin, stehn, in voller Blüte / Der Apfelbäume an dem Bodensee. / Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte / Und winkt zu sich heran ein scheues Reh. Aber, so offiziell: In der DDR hat es Stalinismus nie gegeben.

       28.1.74

      Das bleibt aber unter uns: idiomatische Redewendung elitärer, dosierter Informationspolitik. Solange diese Wendung nicht in den Zeitungen steht, sollte man Zirkel, Versammlungen, wo so gesprochen wird, demonstrativ verlassen. Dieses Unter-uns-gesagt: Es gibt keine Demokratie für einige Wenige, es gibt nur die für alle – oder keine. Demokratie ohne Volksbeteiligung: ein sprachlicher Irrwitz, reale Farce.

       5.10.74

      Schrittweiser Abbau der großen Hoffnungen nach dem 8. Parteitag. Erhofft waren das Ende des schweigenden Gänsemarsches, des Händchenhaltens und des verdächtig lauten Singens, das Ende der Tabus, der Beginn des öffentlichen Meinungs- und Ideenstreites, der sozialistischen Demokratie. Aber: Nach einem verhalten kritischen Artikel wird Chefredakteur entlassen, die Nützlichkeit des Meinungsstreits wird theoretisch beteuert, praktisch jedoch administrativ verhindert. Keine Transparenz, sondern Transparente.

       12.1.75

      „Er hat sein Vaterland verraten“: Kann man verraten, wofür oder wogegen man sich zu entscheiden keine Möglichkeit hatte? Ist der Bürger mit seiner Geburt Staatseigentum? Ist er jemals gefragt worden, war es ihm erlaubt, wahr zu antworten? Die befestigten Grenzen: Stubenarrest für ein ganzes Volk. Wofür aber wird es bestraft?

       23.7.75

      Unser endgültiger Sieg über die Natur wird der gigantischste Suizid in der Weltgeschichte und das Ende der Menschheitsgeschichte werden. Vorwärts?

       28.8.75

      Verlautbarungen der marxistischen Partei: … stets haben wir recht behalten … die Partei, die Partei hat immer recht. Marx aber schrieb: „… die Kommune machte keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit, wie dies alle die alten Regierungen ohne Ausnahme tun. Sie veröffentlichte alle Reden und Handlungen, sie weihte das Publikum ein in alle ihre Unvollkommenheiten.“ Marx vermurkst.

       1.9.75

      Grotesk die geistige Defensive der Gesellschaft, die vorgibt, der anderen