Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Название Das Blöken der Wölfe
Автор произведения Joachim Walther
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954629664



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zu mir legte, zärtlich zu mir war, mit mir schlief, und danach sagte, sie müsse etwas gestehen, sie sei vorher bei ihm gewesen. Wie das zusammenbringen, ohne wahnsinnig zu werden? Herzrasen, schlaflose Nächte, am Morgen neben mir die braunäugige Lüge, die zu Recht entrüstet ist, denn sie belügt nicht sich, nur mich. Sie ist wahr, wenn sie mir sagt: Ich liebe dich, und sie ist wahr, wenn sie ihm sagt: Ich liebe dich. Ich möchte von ihr los und kann es nicht, liebe die, die mich zerstört, bin krank und fliehe nicht den Schmerz. Sie geht schwimmen, in die Sauna, pflegt sich, ist schön wie nie. Ich mit Kopfschmerzen, ohne Appetit, Lebensunlust und einem Knoten im Hirn: Die ich liebe, muss ich verlassen, um zu überleben. Sie ist wie eine Eiserne Jungfrau: Indem sie sich an mich schmiegt, bohrt sie mir die eisernen Spitzen ins Herz. Sie hat ein Foto von ihm bei sich, sie schreibt ihm Briefe, und sagt mir zugleich, ich sei ihr Liebster, von dem sie sich niemals trennen könne, der Einzige, der Vertraute, das Leben, der Andere sei der Tod. Wie das zusammenbringen? Lüge oder Wahrheit: es ist gleich, die Wahrheit ist nicht mehr heilsam, sie zerstört wie die Lüge. Telefonanrufe, bei denen aufgelegt wird. Muss ich sie mir aus der Seele brennen, ehe das Gift umläuft? Noch sind das nur Krämpfe, nicht die tödliche Dosis. Und sie sagt: Aber ich will dir nicht wehtun! Und weint. Doch sie tut’s. Auch hier keine Lösung: Geht sie, geh ich, bleibt sie, bleib ich, ist da der gleiche Schmerz, der Widerspruch nicht lösbar. Sie sagt: Ich will mit dir leben und träumt von einem Leben ohne mich. Und ich sage ihr böse Worte, die mir so wehtun wie ihr. Ich will nicht mehr ihre Berührung, das Kirren über den Körper, der sich nach ihr sehnt, doch stolz bleiben will und kalt zu bleiben versucht. Vertrauen, so kostbar, so verletzlich, so unbeeinflussbar vom Willen: Es ist, als liefe etwas in mir ab. Doch ich bin zu feig, mich wegzuschaffen, hoffe noch immer, doch kommt nichts, zu dem ich nicht gehe, solange ich gehen kann. Sie sagt, sie habe nun genug Kraft und Selbstvertrauen, um nicht unterzugehen, um, wenn ich sie verlassen würde, was sie verstehen könne, alles in Arbeit, in Bilder umzusetzen. Und mein Kopf ist zu, fixiert auf dieses Drama, das ich nicht schreibe, das mir geschieht. Ich renne durch die Wohnung, wühle in ihren Sachen, finde einen Liebesbrief an ihn, der handelt vom Fliegen, sie, nackt, verkrallt in sein Haar. Der Andere wird mir zum Jesus, ihre Liebe zu ihm schwärmerisch, und sie zur Gläubigen, hingebungsvoll, bereit, ihm die Füße zu küssen. Vorher glaubte ich, die Gefahr sei ein anderer Mann, nun aber ist es ein Gott. Konkurrenzlos in ihrem Herzen. Dann wieder ein ungetrübter Tag mit ihr und die Hoffnung, alles könnte vergehen und narbenlos verheilen. Sie gibt sich mir hin, und es ist wie ein Opfer: Sieh, heißt das, so gut bin ich zu dir. Und ich zerre die Wahrheit hervor, Stück für Stück wie ein einsamer, beleidigter, wütender Hund, zerre und weiß doch, was ich da hervorziehe, wird mich erschrecken und womöglich verschlingen, erschlagen. Ich kann es nicht lassen und weiß doch, mache ich weiter, geht alles zum Teufel. Sie gesteht, mit ihm geschlafen zu haben, und sagt: Jetzt müsstest du konsequent sein und gehen. Als wollte sie es. Und sagt gleich darauf: Wenn ich sie verließe, machte ich den größten Fehler meines Lebens, etwas Schreckliches, Zerstörerisches. Ich versteh nichts mehr, sie nicht, mich nicht. Vertrauen als Droge, als Traum, aus dem ich nun erwache und dennoch danach süchtig bin. Sie sagt, sie hätte sich von dem Anderen getrennt, ruft ihn aber am nächsten Tag an, legt auf, als ich komme. Am Abend sagt sie, sie wolle ein Kind von mir, am Morgen, sie wolle sich von mir trennen, nicht für immer, für ein halbes Jahr. Sie sagt, sie wolle einander Ausschließendes: Geborgenheit und Freiheit, Zweisamkeit und Alleinleben, Ruhe und Rausch, Stetigkeit und Wahnsinn, sie wisse nicht mehr, wie leben, und alles sei im Moment wahr. Wir reden, wo Worte nichts ändern können, aneinander vorbei. Sie sagt, sie habe kein Problem mit der Treue, und schon gar nicht moralisch, Treue sei da, wenn die Liebe lebe, das müsse sie sich nicht vornehmen, sie sei es, sie sei in ihr. Sie war für mich die Eine, der liebste, verlässliche Mensch, der Halt, die Freude, das Vertrauen. Ich bin in ihr verwurzelt und sehe nun: Sie ist nicht die Erde, sie ist der Tod. Ihre Wahrheit ist der Augenblick, darauf lässt sich nichts bauen. Ich bin enterdet. Allein. Sie hört mich nicht mehr. Sie schreibt mir: Ihre Liebe zu mir sei ihre Wärme, ihr Sinn in der Welt, aber sie habe mir wehgetan, sei schuldig, habe zerstört, was sie brauche, sie sei bodenlos und zerstöre sich selbst, sie hasse sich und denke an den Tod, der alles löse. Am Abend bevor sie fuhr, schrie sie: Hilf mir, hilf mir, bitte, halt mich fest! Am Morgen packte sie ihre Sachen und verschwand. Hinterließ einen Zettel: Alles endet, die Liebe wie das Leben, ich möchte bleiben und muss gehen, wenn ich jetzt nicht springe, vermeide ich das Ertrinken, lerne aber das Schwimmen nie …

      So brach’s aus ihm heraus, und ich wusste ihm nicht viel zu sagen. Dass er jederzeit zu mir kommen könne, wenn er mich brauche. Dass er versuchen solle, ihr trotz allem zu vertrauen, um ihr die Möglichkeit zu lassen zurückzufinden. Er aber winkte ab, es sei zu spät, einer von beiden müsse aus der Welt, und alles spräche dafür, dass er es sei. Drei Tage später war sie tot. Ertrunken in der Ostsee, wo sie mit dem anderen war, sie schwamm hinaus, immer weiter, der andere rief, sie hörte nicht, der andere kam zu spät. Jens überlebte ihren Tod. Doch wie.

      Nach einem Jahr noch ist es, als wäre alle Farbe aus ihm gewichen, er ist ein Schatten seiner selbst, eine Skala von Grautönen, die von Selbstanklage bis Misanthropie reicht und tief getönt ist von Misstrauen, Bindungsangst und einem generellen Schutzsyndrom, das alles abwehrt, was an seine offene Wunde rühren könnte. Er ist der ständig Misstrauische, der nichts lieber möchte, als wieder zu vertrauen, doch so tief verletzt ist, dass er fürchtet, was er sehnlichst wünscht. Aber davon spricht er nicht. Er spricht von illusionslosem Realismus, von Autonomie und von der Unmöglichkeit der Liebe. Es ist eine der stillen Tragödien, deren Inhalt auch Vertrauen ist. Er will nicht hören, dass seine Eifersucht ihre Untreue auch provoziert haben könnte, dass Barbara sein Misstrauen lediglich rechtfertigte, da er ihr keinen Grund mehr gab, gut zu sein. Er will nicht sehen, wie sein in sie gesetztes Vertrauen eine solch hohe und hehre Erwartung an den Himmel der Liebe projizierte, dass sie sich unter Druck gesetzt und davon überfordert fühlen musste, so dass sie sich dieser moralischen Nötigung durch Flucht entzog. Er aber verschließt die Trauer wie die Schuld und ist nach außen hin der neue Typ: der Single, der allein zurechtkommt, sich selbst genug ist, der die Frustration vorwegnimmt, um sie später zu vermeiden, der nichts verlieren kann, weil er nichts gibt, was er nicht auch zurückerhält.

      Und darin gleicht er Laura, der Studentin, die im „Woyzeck“ die Marie spielte. Laura ist Mitte Zwanzig, hat schon eine Ehe hinter sich, und ich sah sie auf dem Campus ausschließlich in Hosen und mit Rucksack, nie mit Rock, und nur im Stück mit einem Kleid, sie läuft Marathon, trainiert täglich nur für sich, ohne die grellen und eigens dafür hergestellten Accessoires der Freizeitindustrie, läuft für sich und lebt für sich, in Boston. Vertrauen zu einem Mann? fragt sie zurück, als ich sie danach frage. Wozu? fragt sie und sagt: Ich bring mich nicht in diese Lage, einem Mann vertrauen zu müssen, und umgekehrt verlang ich auch von keinem Mann, mir zu vertrauen. Ich wäre, er wäre überfordert. Ich bleibe in jeder Phase selbstständig, und wenn ich mit einem Mann etwas Gemeinsames tue, dann weil ich es will, nicht, weil ich muss. Ich bin und bleibe unabhängig. Wieso sollte ich fürchten, ausgenutzt und betrogen zu werden? Wenn ich mit einem Mann schlafe, dann weil er mir gefällt, weil ich es will, und also muss ich ihm nicht vertrauen, da er mir nichts nehmen kann, was ich ihm nicht gebe. Außerdem nehm ich genau so viel von ihm. Das ist unverpflichtete Liebe, ein Vertrag für eine Nacht, der am Morgen seine Gültigkeit verliert und keinen von beiden zu mehr verpflichtet, und sollte es eine zweite Nacht geben, dann mit neuem Vertrag zu gleichen Bedingungen. Vertrauen ist für mich Schwäche: Ich gebe mich auf, ich gebe vor allem meinen Geist auf und fange an zu glauben und muss mich nun auf jemanden verlassen und bin irgendwann wirklich verlassen.

      So Laura, die moderne Marie des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts. Und wie ich so reden hörte, kam ich mir vor wie der alte Woyzeck. Versetzt in unsere Gegenwart, ohne angekommen zu sein, ein Schwebezustand, die Flugphase eines Sprungs: abgesprungen, doch nicht aufgekommen, fort von und hin zu etwas, doch mitten in der Luft. Und so ließ ich es sein, Vertrauen eine Tugend zu nennen und Misstrauen eine Schwäche. Es schien mir noch immer nicht grundsätzlich falsch, doch völlig unpassend, dies Laura zu sagen. So als tauchte ein Naosaurus aus dem Perm unter den ersten Vögeln im Jura auf. Wir, Woyzeck, als lebende Fossilien im Holozän. Wie sagtest du zum Hauptmann? Es muss was Schöns sein um die Tugend, Herr Hauptmann, aber ich bin ein armer Kerl. Ja, Woyzeck, das bist du. Und vielleicht sind wir das alle.

      Noch ehe ich das Gefühl haben könnte,