Das Blöken der Wölfe. Joachim Walther

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Название Das Blöken der Wölfe
Автор произведения Joachim Walther
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954629664



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12.12.80

      Empfang in der Ständigen Vertretung. Die Diplomaten als die Fettaugen auf der ungenießbaren Welt-Suppe. Die ideologischen Gegner verzehren gemeinsam ausgesuchte Delikatessen. Karl-Eduard v. S. neben Fritz P. Small talk, schweifende Blicke, entzückte Ausrufe, falsche Freundlichkeit. Gipfel der Geschmacklosigkeit: Ein DDR-Vertreter und einer aus der Bundesrepublik wetten, ob die Rote Armee bis zum Jahresende in Polen einmarschiert oder nicht. Sie wetten um eine Kiste Deinhard lila.

       13.4.81

      Honecker spricht auf X. Parteitag vom gewachsenen Bildungsstand der Menschen, lässt sich aber am Abend von einigen zigtausend FDJlern bejubeln. Eine Rundfunkreporterin, vom Jubel aufgeputscht, sagt, die Bäume Unter den Linden seien „aus dem Boden geschossen“.

       22.4.81

      Heute fiel Schnee und es kamen die Störche: Sie segelten durch die Flocken wie zu früh gekommene Dichter.

       27.6.81

      In der Universität wird eine noch volle Wahlurne vom letzten Mal gefunden.

       1.10.81

      Die Revolution steht noch aus. Die herrschenden Politbürokraten fürchten die Utopie, versuchen die Träume als konterrevolutionär zu denunzieren. Ziel dieser Revolution wird sein: die Assoziation freier Menschen, die Demokratie, das Ende der Unmündigkeit und der Arbeitsteilung in Leitende und Angeleitete, wird die kreative und transparente Gesellschaft sein.

       27.10.81

      Die Druckgenehmigung für meinen Günther-Roman von der Zensurbehörde verweigert. Daraufhin zieht mein Verlag den Druckantrag zurück. Die Verlagszensoren begründen: Es gäbe veränderte politische Umstände, die zu neuen Überlegungen im Staatsinteresse zwängen, die Parallelitäten im Roman seien evident, es gäbe eine Reihe von Stellen, in denen die Geschichte der Gegenwart den Spiegel vorhalte. Das Buch könne so nicht erscheinen, die Produktion sei gestoppt, nun läge es an mir, den Änderungsvorschlägen nachzukommen. Der Zensor der Hauptverwaltung für Verlage und Buchhandel hat im Manuskript genau die Stellen angestrichen, die ihn treffen müssen und sollen (Zensurpraxis im 18. Jahrhundert, das Spitzelwesen im Königreich Sachsen, die Überwachung der Künstler). Es wäre zum Lachen, hätte ich an diesem Buch nicht drei Jahre gearbeitet.

       18.11.81

      Klaus H., Chef der Zensurbehörde, der sich gern Bücherminister nennen lässt, schreibt mir auf meinen Brief (in dem ich schrieb, ich möchte in der DDR leben, schreiben und veröffentlichen, wenn aber das Buch nur im Westen erscheinen könne, dann dächte ich auch daran, dort zu leben, wo meine Bücher seien), er fände meine Überlegungen „elementar abstoßend“. Christa W. rät mir zu lernen, mich von Derartigem nicht mehr verletzen zu lassen, findet aber, ich dürfe dem Literatur-Administrator H. diese Formulierung nicht durchgehen lassen. Doch ich bin müde, will den Clinch nicht.

       4.2.82

      Nun soll das Buch doch erscheinen. DDR mon amour? Doch rechte Begeisterung will sich nicht einstellen für Selbstverständlichkeiten.

       29.11.82

      Bei einer Lesung in einer Privatwohnung im Prenzlauer Berg erscheint die Stasi und erklärt auf das Argument, es handle sich um eine private Zusammenkunft: Hiermit erklären wir die private Zusammenkunft zu einer öffentlichen Versammlung und für aufgelöst, die Ausweise, bitte.

       6.1.83

      Vorladung in Verlagsleitung. Die Zensur lehnt einen Beitrag aus meiner Kindheitsanthologie ab, empfiehlt es, was im Totalstaat befehlen heißt. Der Autor Reiner F. erfährt davon, schreibt an den Bücherminister H. Nun fieberhafte Suche nach der „undichten Stelle“, die bei mir vermutet wird. Exemplarischer Vorgang: Die Zensur will nicht genannt sein als Zensur, der Verlag soll deren Entscheidung als seine vertreten und verkünden. Mein Verlagsleiter spricht vom Vertrauensbruch (durch mich natürlich), droht Disziplinarverfahren an, spricht vom freundschaftlichen Verhältnis zum Ministerium. Der Autor soll vorgeladen werden: Wenn er den Namen des Informanten nicht nenne, würde von ihm künftig keine Zeile mehr gedruckt werden. Diese Ungeheuerlichkeit spricht ein Verleger, ohne rot zu werden, gelassen aus.

       24.1.83

      Heute im Verlag gekündigt. 14 Jahre als Lektor und Herausgeber zu Ende. Verlagsdirektor T. verweigert mir die notwendige Unbedenklichkeitserklärung für meine Studienreise nach Stuttgart, obwohl er letzten Montag sagte, er würde kein Junktim zwischen der Reise und dem schwebenden Disziplinarverfahren herstellen. Er steht unter Druck, involviert ist die Zensurbehörde, die sich bloßgestellt sieht, und der Sicherheitsbeauftragte der Blockpartei, die sich liberal nennt. Ich sage (und hoffe insgeheim, er wird mich überreden zu bleiben), dass ich bei diesem Junktim kündigen müsse. Bitte, sagt er, gib mir das schriftlich, ich unterschreib sofort. Beim Unterschreiben sagt er, er anerkenne meine Konsequenz, ruft aber später im Schriftstellerverband an und sagt, ich sei noch bis 10.2. Angehöriger des Verlags. Meine Reise sollte am 7.2. beginnen.

       10.2.83

      Ab heute „freier“ Autor. Die Kündigung hat nichts genützt. Nun sieht sich der 1. Sekretär des Schriftstellerverbandes H. außerstande, meine Reise zu befürworten, solange die Sache nicht geklärt sei. Auch dort das falsche, doch konzertierte Spiel. Ich hab’ das alles gründlich satt, denke an innere Emigration, Rückzug aufs Land. Wie Arnim 1815.

       7.12.83

      Lesung in Westberlin. Dieses unnormale Gefühl von Normalität, dieses schlechte Gewissen wegen des Reise-Privilegs. Hier wie dort heimatlos. Nach einem Gespräch mit einem West-Verleger die Sicherheit, dort nicht leben und schreiben zu können, der Sog zurück, wo niemand nichts von mir wünscht. Hier die Friedhofsruhe, dort das Marktgeschrei, das Buch als Ware. Zwischen den Welten: im Riss, die Brust offen. Die Lehre der Evolution: Anpassung. Aber wie, ohne als Claqueur missbraucht zu werden? Mit Ironie, die meine Trauer clownesk verdeckt?

       2.3.84

      Termin im Büro für Urheberpflichten. Mein Antrag zur Genehmigung einer Simplizius-Adaption für den SDR Stuttgart wird abgelehnt, in Absprache mit dem Bücherminister und dem DDR-Rundfunk. Die Stelle, die vorgibt, keinerlei inhaltliche Fragen zu entscheiden, empfiehlt mir, den Inhalt so zu überdenken, dass dieses Hörspiel in der DDR machbar ist. In der gegenwärtigen Exposé-Fassung sei es politisch nicht zu verantworten. So werden Projekte im Keim vernichtet, dabei immer die latente Drohung: nichts mehr veröffentlichen zu können.

       17.4.84

      Rückzug aus Berlin. Einzug in Mecklenburg. Das Haus auf dem Feld – ein Ort zum Bleiben, Überleben, fernab der betriebsamen Sinnlosigkeiten, des Rennens gegen Mauerbeton, vergeblich, wunden Kopfs. Die Arbeit ist schwer, doch es wird, es wird. Über mir kreist ein sowjetischer Hubschrauber wie eine dynamitgefüllte, geflügelte Kaulquappe. Ich säe trotzig Möhren. Als ob das hülfe.

       1.2.85

      Der Staat als Übervater. Er mag die braven Kinder um seiner Ruhe willen, den frechen droht er mit dem Finger, die hartnäckigen verstößt er. – Seine angemaßte Omnipotenz: Er, der allein die Mittel hat, die Giftgehalte in Luft, Wasser und Boden zu messen, erklärt die Daten zur geheimen Verschlusssache, enthält also den Menschen die Daten vor, die sie unmittelbar, vital betreffen, zu seinem, nicht deren Erhalt. Er nimmt sich das Recht: treffender ist diese Herrschaftsform nicht zu benennen.

       14.2.85

      Eine abblätternde Losung auf einer Barackenfront: Der Sozialismus siegt! Das Provisorium suggeriert Ewigkeit und pfeift im Keller. Sympathie, wachsend, für die Anarchisten: Solange das Hierarchische, das horizontal nicht Vernetzte, sondern sich vertikal Aufgipfelnde bestehen bleibt und in verratenen Revolutionen lediglich umgewälzt, aber nicht strukturell verändert wird, muss dieses menschenverschlingende Spiel, das sich Geschichte nennt, als solches demaskiert werden. Um der Menschen,