Kraftvoll beten. Pete Greig

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Название Kraftvoll beten
Автор произведения Pete Greig
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783954596058



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stelle ich mir meine Gebete vor, ich fantasiere meine Gebete; sie sind nicht immer hörbar.7

       2. Echt bleiben

      Leiere nicht gedankenlos Gebete herunter wie Leute, die Gott nicht kennen. Sie meinen, sie würden bei Gott etwas erreichen, wenn sie nur viele Worte machen. Folgt nicht ihrem schlechten Beispiel, denn euer Vater weiß genau, was ihr braucht, schon bevor ihr ihn um etwas bittet. (Mt. 6,7–8)

      Jesus lädt uns ein, das Gebet einfach und echt zu halten. Einmal erzählte er eine verblüffende Geschichte von zwei Männern, die zum Beten in den Tempel gingen. Einer der beiden, ein Pharisäer, stellte sich selbstsicher hin und hakte all die richtigen religiösen Kästchen ab mit seinem formidablen Fasten und Zehntengeben. Aber der andere Mann, ein verachteter Zolleinnehmer, „blieb verlegen am Eingang stehen und wagte es nicht einmal aufzusehen, schuldbewusst betete er: ‚Gott, sei mir gnädig und vergib mir, ich weiß, dass ich ein Sünder bin!‘ Ihr könnt sicher sein“, schloss Jesus seine Erzählung, „dieser Mann“ – der Zolleinnehmer, nicht der andere – „ging von seiner Schuld befreit nach Hause“.8 Der Trappistenmönch Thomas Merton sagte: „Gott ist viel zu real, als dass man ihn irgendwo anders als in der Realität finden könnte.“9

      Anne Lamott hat ein erfrischend respektloses Buch über das Gebet geschrieben. Die drei Wörter Help, Thanks, Wow („Hilfe, danke, wow!“), so sagt sie, sind die einzigen Gebete, die wir je brauchen. Sie macht auf brillante Weise deutlich, wie wichtig es ist, beim Beten radikal ehrlich zu sein.

      Ich glaube, dass du Gott nahe bist, wenn du die Wahrheit sagst. Wenn du zu Gott sagst: „Ich bin erschöpfter und deprimierter, als ich es mit Worten sagen kann, und ich mag dich im Moment überhaupt nicht und ich möchte mit den meisten Leuten, die an dich glauben, nichts zu tun haben“, dann bist du möglicherweise so ehrlich wie noch nie. Erzählst du mir, du habest zu Gott gesagt: „Es ist alles hoffnungslos, ich habe keine Ahnung, ob du existierst, aber ich bräuchte Hilfe“, dann muss ich beinahe weinen. Weil ich so stolz auf dich bin. Weil du den Mut aufgebracht hast, echt zu sein – echt ehrlich.10

       Mit Gott kämpfen

      In einer finsteren Nacht, als meine Frau Sammy im Krankenhaus auf ihre Hirnoperation wartete, lange bevor wir wussten, dass sie es überleben würde, kam mein Freund Dan vorbei, um mit mir zu beten.

      „Herr, wenn es jetzt deine Zeit ist, Sammy heimzuholen“, wagte sich Dan schließlich vor und sprach damit meine schlimmste Befürchtung aus, „dann gib Pete bitte die Kraft, das Unerträgliche zu tragen.“ Es war bestimmt nicht leicht, so zu beten. Es war eine Bitte in Übereinstimmung mit dem Glauben und der Bibel, aber ich wollte davon nichts hören. „Nichts da“, unterbrach ich ihn ohne eine Entschuldigung. „Auf keinen Fall, Gott. Nur über meine Leiche!“ Ich war aufgesprungen und lief im Zimmer auf und ab. „Wenn du vorhast, mir meine Frau zu nehmen … Wenn du vorhast, den beiden kleinen Jungs ihre Mama zu nehmen, dann kriegst du es mit mir zu tun.“

      Dan wirkte etwas nervös, aber das war mir egal.

      „Und dann musst du dir in Zukunft auch jemand anderen suchen, der PR für dich macht“, fuhr ich fort. „Ich kündige. Ich steige aus. Ich laufe nicht rum und sage den Leuten, dass du gut bist, wenn du mir jetzt nicht den Beweis dafür gibst.“ Tränen strömten mir über das Gesicht. „Gott, es ist mir völlig egal, was dein Wille ist. Ich will dir sagen, was mein Wille ist – ich möchte, dass meine Frau lebt. Ich möchte, dass unsere Jungen ihre Mama behalten. Und wenn ihr Name auf irgendeinem Wandplaner im Himmel steht, wenn sie an diesem Ding sterben soll, dann will ich, dass du dich um uns kümmerst. Du musst es tun.“

      Ich heulte fast in meinem Schmerz, während der arme Dan einfach dasaß und sich wahrscheinlich fragte, ob man zu so einer Respektlosigkeit „Amen“ sagen könnte.

      Es war eines meiner ehrlichsten Gebete. Eine Weile schämte ich mich dafür, wie ich in jener Nacht versucht hatte, mit Gott zu kämpfen, schämte mich, dass ich nicht genug vertraut hatte und nicht heilig genug gewesen war, um die große Hingabe Jesu in seiner dunkelsten Stunde nachzuempfinden: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“

      Aber dann zeigte mir der Herr ganz behutsam, dass er meine Bereitschaft, um Sammys Leben zu kämpfen, tatsächlich gut gefunden hatte. Er liebte sie ja auch. Dass er nichts anderes von mir erwartet hätte. Dass er selbst den Vater angefleht hatte: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen“, bevor er das andere schaffte.

       Ehrlich vor Gott

      Die Bibel ist oft viel ehrlicher als die Gemeinde. Es ist dir wahrscheinlich schon aufgefallen, wie viele Psalmen (sie sind das jüdische Gebetbuch) nicht fröhlicher Jubel sind, sondern Schmerzensschreie. „Den ganzen Tag über klage und stöhne ich, bis er mich hört“ (Ps. 55,18). Das ist eine Menge Klagen und Stöhnen!

      Einer der größten Patriarchen der Bibel, Jakob, rang in einer Gebetsnacht so heftig mit Gott, dass er eine Verletzung davontrug, die bis ans Ende seines Lebens nie auskurierte.

      Mose jammerte über das Volk, das er nach Gottes Berufung führen sollte: „Warum tust du mir das an? … Musst du mir wirklich die Verantwortung für dieses ganze Volk aufhalsen? … Bin ich etwa die Mutter dieser Menschen? Habe ich sie zur Welt gebracht?“11

      Der Prophet Jeremia schnauzte Gott an – anders kann man es nicht sagen: „Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen! Du bist stärker als ich und hast den Kampf gewonnen. Und nun werde ich lächerlich gemacht – tagaus, tagein; alle verhöhnen mich!“12

      Das wirklich Bemerkenswerte an all den unhöflichen, respektlosen, selbstmitleidigen Gebeten in der Bibel ist nicht, dass sie überhaupt gesprochen wurden, sondern dass man sie nie gestrichen hat. Diese unverschämten Gebete wurden von Antihelden gebetet, die zu heftigem Narzissmus, krasser Dummheit und auch äußerstem Edelmut in der Lage waren. Ein bisschen wie du und ich.

      Die wie unsere schlechtesten Gebete aussehen, könnten in Gottes Augen tatsächlich unsere besten sein. Die, die am wenigsten von andächtigen Gefühlen gestützt werden, … entstammen vielleicht einer tieferen Ebene als dem Gefühl. Gott scheint manchmal am vertrautesten zu uns zu sprechen, wenn er uns sozusagen unvorbereitet erwischt. (C.S. Lewis)13

       3. Dranbleiben

      Wie wichtig es ist, unermüdlich zu beten und dabei nicht aufzugeben, machte Jesus durch ein Gleichnis deutlich. (Lukas 18,1)

      Egal wie einfach und ehrlich wir beten, es kommt leicht vor, dass wir den Mut verlieren und aufgeben wollen, weil das Beten nichts zu bringen scheint. Deshalb reicht bloßes Einfachbleiben und Echtbleiben nicht aus. Jesus sagt auch, dass wir „unermüdlich beten und dabei nicht aufgeben“ sollen. Das ist für jeden von uns derart wichtig, dass ein ganzes Kapitel dieses Buches dem Umgang mit Enttäuschungen über spät oder gar nicht erhörte Gebete gewidmet ist. Aber an dieser Stelle nur so viel: Gebet kann große Ähnlichkeit mit dem Aufeinanderstapeln von Dominosteinen haben. Wir beten dasselbe, was wir schon hundertmal gebetet haben, und plötzlich fällt der ganze Turm in sich zusammen. Der Durchbruch ist da. Das Wunder geschieht. Nicht, weil wir endlich die richtige Formel gefunden hätten. Es geschieht, weil wir nicht ein Gebet zu früh aufgegeben haben.

      Der wegweisende Missionspädagoge Frank Laubach, durch dessen Alphabetisierungsprogramme über sechzig Millionen Menschen lesen lernten, verglich Gebet mit Steinwürfen in einen Sumpf: Die Steine versinken, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die Tätigkeit erscheint sinnlos. Mach das aber lange genug weiter, höre nicht auf, Steine in den Sumpf zu werfen, dann wird dieser irgendwann ausgefüllt sein. Eines Tages wird der Stein, den du wirfst, nicht mehr versinken. Und dann entsteht fester Boden.

      Ich habe festgestellt: Um „dranzubleiben“ – immer wieder Steine in den Sumpf zu werfen –, gehört die Disziplin einer