Kraftvoll beten. Pete Greig

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Название Kraftvoll beten
Автор произведения Pete Greig
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783954596058



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er seinen Freund besucht hatte, der im Krankenhaus im Koma lag. „Ich bin nicht religiös, aber ich wurde fast verrückt, ich hatte solche Angst, ich war verzweifelt und verwirrt.“8

      Elizabeth Gilbert beginnt ihre Bestseller-Memoiren Eat, Pray, Love mit diesen Worten: „Hallo, Gott. Wie geht’s? Ich bin Liz. Nett, dich kennenzulernen. … Ich war immer schon ein großer Fan deiner Werke. Ich habe noch nie direkt mit dir geredet.“ Und dann fängt sie an zu weinen: „Kannst du mir bitte helfen? Ich brauche unbedingt Hilfe. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Ihre Tränen versiegen und sie erlebt einen Frieden, „so ungewöhnlich, dass ich kaum wagte auszuatmen, weil ich Angst hatte, ihn zu verscheuchen. Ich weiß nicht, wann ich je solch eine Ruhe verspürt hätte. Dann hörte ich eine Stimme. Es war nicht die Stimme von Charlton Heston und sie sagte mir auch nicht, ich solle einen Baseballplatz bauen. Es war meine eigene Stimme, aber eine Stimme, wie ich sie noch nie gehört hatte.“9

      Meine Freundin Cathy an der Universität von Wichita war eine militante Atheistin. Als sie eines späten Abends ihr schlafendes Baby ansah, überwältigte sie der Wunsch, für dieses allergrößte Geschenk Danke zu sagen – irgendjemandem oder irgendetwas. Da sie ihr Staunen mit keinem Mann oder Freund teilen konnte, flüsterte Cathy verlegen ein paar Worte der Dankbarkeit in die Stille. Dabei schien sich die Atmosphäre zu verändern. Der Raum wurde erfüllt von Liebe – Welle für Welle; es war anders als alles, was sie je erlebt hatte. In dieser Nacht kniete Cathy neben ihrem schlafenden Baby nieder und wandte sich von ihrem leidenschaftlichen Atheismus ab. Noch heute, über dreißig Jahre später, ist sie eine Nachfolgerin Jesu.

      Ähnlich fühlte sich der irische Dichter Patrick Kavanagh vom unergründlichen Wunder des Lebens bewegt zu beten. Er beschreibt diesen Impuls in seinem Gedicht Canal Bank Walk als „das heftige Verlangen meiner Sinne“:

       O unworn world enrapture me, encapture me in a web

       Of fabulous grass and eternal voices by a beech.

       Feed the gaping need of my senses, give me ad lib

       To pray unselfconsciously with overflowing speech,

       For this soul needs to be honoured with a new dress woven

       From green and blue things and arguments that cannot be proven. 10

      (O unverbrauchte Welt verzücke mich,

      umhülle mich mit einem Netz

      aus wunderbarem Gras und den ewigen

      Stimmen bei einer Buche.

      Stille das heftige Verlangen meiner Sinne

      und lass mich aus dem Stehgreif,

      unbefangen und mit überströmenden Worten beten können.

      Denn diese Seele muss mit einem neuen Gewand

      geehrt werden, gewebt aus Grünem und Blauem

      und aus unbeweisbaren Argumenten.)

       Mensch sein heißt beten

      Von amerikanischen Präsidenten über irische Dichter, einem Rockstar in London bis zur alleinerziehenden Mutter in Wichita: Seit Anbeginn der Zeit ist Gebet „das unbeweisbare Argument“, das „heftige Verlangen“ jeder menschlichen Seele. Man vermutet, dass über 35000 Jahre alte Höhlenmalereien im indonesischen Maros und in Chauvet in Frankreich geistliche Anrufungen sind. Die Hügelruinen am Göbekli Tepe in der modernen Türkei gelten als Überreste eines Tempels, der 6000 Jahre älter ist als das neolithische Stonehenge in England, welches möglicherweise etwa 3000 Jahre vor Christus ein Ort des Gebets war.

      Und wie wird das in Zukunft sein? Ist Beten nur der abnehmende Schatten einer primitiven Morgendämmerung? Eine Umfrage nach der nächsten macht klar: nein.11 Dreihundert Jahre nach der Aufklärung ist die Welt eher mehr als weniger religiös.12 Ich wohne in England, das als eine der säkulareren Nationen in Westeuropa gilt, aber auch hier sagt ein Viertel derer, die sich als „nicht religiös“ bezeichnen, sie wären dennoch „einmal pro Monat spirituell aktiv, normalerweise, indem sie beten“.13 Der bedeutende Londoner Chirurg David Nott ist ein gutes Beispiel für diesen scheinbaren Widerspruch. Er arbeitet in drei britischen Kliniken, doch seinen Urlaub verbringt er bewusst in den gefährlichsten Kriegsgebieten der Welt. „Ich bin nicht religiös“, versicherte er Eddie Mair in einem Interview auf BBC Radio 4:

      Aber hin und wieder muss ich beten und ich bete zu Gott und bitte ihn, mir zu helfen, denn manchmal leide ich schrecklich. Nur ab und zu finde ich die richtige Frequenz, um mit ihm zu sprechen, und ich bezweifele absolut nicht, dass es einen Gott gibt. Ich brauche ihn nicht jeden Tag. Ich brauche ihn ab und zu, aber wenn ich ihn brauche, ist er wirklich da.14

      Dieses Interview übte auf die Zuhörer eine tiefgreifende Wirkung aus. Tatsächlich war der experimentelle Künstler Patrick Brill (besser bekannt unter seinem merkwürdigen Pseudonym „Bob and Roberta Smith“) so bewegt von David Rotts Zeugnis, dass er die folgenden vier Monate damit zubrachte, jedes einzelne Wort davon Buchstabe für Buchstabe auf eine riesige Leinwand zu übertragen, die dann als Herzstück der Sommerausstellung der Londoner Royal Academy in der zentralen Halle aufgehängt wurde – jener Jahresausstellung zeitgenössischer Kunst, die die populärste des Landes und die älteste der Welt ist.

      Von primitiven Höhlenmalereien bis zu weiß getünchten Wänden der Royal Academy – der universelle Impuls zu beten durchdringt die menschliche Ethnologie und Archäologie, Soziologie und Psychologie. Es ist nicht übertrieben zu sagen: Mensch sein heißt beten. Man sollte also weniger fragen, warum wir beten, als vielmehr, wie wir beten und zu wem. Für Milliarden Menschen findet sich die Antwort auf solche Fragen in dem revolutionären Leben und den Lehren Jesu Christi.

       Die Bibel und das Gebet

      Am nächsten Morgen stand Jesus vor Tagesanbruch auf und zog sich an eine einsam gelegene Stelle zurück, um dort allein zu beten. (Markus 1,35)

      Der Größte, der je gelebt hat, war vor allem ein Mann des Gebets. Vor seinem öffentlichen Wirken fastete er über einen Monat lang in der Wüste. Bevor er seine zwölf Jünger auswählte, betete er eine ganze Nacht lang. Als er die furchtbare Nachricht von der Hinrichtung seines Cousins Johannes hörte, „fuhr er mit einem Boot in eine entlegene Gegend. Er wollte allein sein.“15 Nach der Speisung der Fünftausend war er verständlicherweise müde, reagierte aber auf das Wunder, indem er auf einen Berg stieg und betete.

      Als die Belastungen des Ruhms ihn zu erdrücken drohten, betete Jesus.16 Als er im Garten Gethsemane, den eigenen Tod vor Augen, vor Angst Blut schwitzte und von seinen Freunden enttäuscht war, betete er.17 Sogar in den Stunden unvorstellbarer körperlicher und geistlicher Qualen am Kreuz schrie Jesus zu dem, der ihn scheinbar verlassen hatte.18

      Jesus betete und betete und betete.

      Aber dabei blieb es nicht. Nach seiner Auferstehung gebot Jesus den Jüngern, seinem Beispiel zu folgen, sodass schließlich die Kirche geboren wurde: „Sie alle trafen sich regelmäßig …, um gemeinsam zu beten.“19 Mit deren exponentiellem Wachstum folgten die Apostel dem Beispiel ihres Herrn weiter und räumten dem Gebet eine entschieden höhere Priorität ein als drängenden Aufgaben aus ihrer Leitungsverantwortung.20

      In der Stadt Joppe „stieg Petrus auf das flache Dach des Hauses, um dort ungestört zu beten“ und empfing eine schockierende Vision von nicht koscheren Tieren, die zum Essen dargereicht wurden; eine epochale Offenbarung, die das Evangelium aus seiner jüdischen Wiege in die riesigen Erntefelder der heidnischen Welt katapultieren sollte.21

      Die gleiche Gebetsbereitschaft sehen wir bei Paulus, von dem es unmittelbar nach seiner Bekehrung auf dem Weg nach Damaskus heißt: „Er betet gerade.“22 Seine Briefe