Kraftvoll beten. Pete Greig

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Название Kraftvoll beten
Автор произведения Pete Greig
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783954596058



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dem Heiligen Gral suchst, gehe dorthin zurück, wo du angefangen hast. Auf all den vielen Gebetswegen wird der Herr dich jedoch begleiten. (Er zieht gerade seine Wanderstiefel an.) Er wird mit dir schweigen und auch mit dir reden. Das Gespräch wird verebben und fließen. Er wird dir Dinge erzählen, die du noch nicht wusstest, und dich Dinge fragen, die du noch niemandem erzählt hast. Gelegentlich wirst du ihn aus den Augen verlieren, aber nie für lange. Manchmal wird er eine Pause oder einen bestimmten Weg vorschlagen, aber meistens wird er deiner Führung folgen und dich bei jedem Schritt auf dem Weg begleiten, bis du schließlich den Kreis schließt, nach Hause kommst und weißt, dass du erkannt bist.

      Natürlich haben wir eine Karte dabei: das berühmteste Gebet der Welt, das Vaterunser, das uns Jesus selbst zu genau diesem Zweck geschenkt hat, nämlich um uns beten zu lehren. In diesen alten, vertrauten Worten werden wir neun verschiedene Wege des Gebets entdecken: Stille, Anbetung, Bitte, Fürbitte, Ausdauer, Kontemplation, Hören, Beichten und geistlichen Kampf. Und unsere Reise wird in einem einfachen, vierstufigen Rhythmus ablaufen: P.R.A.Y. – Pause, Rejoice, Ask, Yield (auf Deutsch: Ruhe – Freude – Bitte – Hingabe). Ich bin kein großer Fan von Akronymen – sie riechen nach wissenschaftlichen Lehrbüchern und übermäßig ernsten Predigten, aber dieses hier funktioniert gut, weil es simpel und sinnvoll ist und unter der Oberfläche auch tiefgründig. Sieh in diesen vier Schritten nicht strenge Regeln – nicht die Sprossen einer Leiter in den siebten Himmel –, sondern eher Tanzschritte: fließend, interaktiv und offen für kreative Interpretationen. Gib P.R.A.Y. eine Chance und es wird deinem Gebetsleben eine einfache Struktur und einen unkomplizierten Ablauf verleihen, egal ob du alleine oder in einer Gruppe betest. (Für Kinder möchtest du das knifflige Wort „yield/Hingabe“ allerdings vielleicht gegen „Yes!“ tauschen.)

      * * *

      Ich schreibe dieses Buch seit fast zwei Jahrzehnten, seit ein paar wichtige Entdeckungen unbeabsichtigt die 24-7-Gebetsbewegung ins Leben gerufen haben: Erst kam meinen Freunden und mir die überraschende Erkenntnis, dass Beten eigentlich so ziemlich das Wichtigste im Leben ist, und danach, dass wir es furchtbar schlecht konnten. Seit diesem wenig verheißungsvollen Beginn befinden wir uns in einem Abenteuer, nämlich diese einfache, schwierige, unvermeidliche Sache zu erforschen, die das Herzstück von Leben, Glauben und Kultur ist. Was in diesem Buch gelehrt wird, hat seinen Ursprung daher weniger in Bibliotheken, Seminaren und auf Kanzeln als vielmehr in den praktischen Entdeckungen, die wir in Hunderten von Pop-up-Gebetsräumen gemacht haben, in denen in den letzten zwanzig Jahren Tag und Nacht gebetet wurde.

      Am Ende jedes Kapitels wird ein „Vorbild im Beten“ vorgestellt, dessen Leben die besondere Art von Gebet veranschaulicht, mit der wir uns gerade beschäftigt haben.

       Wie man nach dem Muster P.R.A.Y. betet

      „Einmal war er an einem Ort und betete. Und als er aufgehört hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: ‚Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.‘“ (Lukas 11,1 L)

      Jeder Pilger hat irgendwann einen Stein im Schuh. Du wachst eines Morgens auf und denkst: „Ich kenne den Schöpfer von 100 Milliarden Galaxien – und mehr ist nicht dabei?“ Du liest die Apostelgeschichte und fragst dich: „Warum geschieht das heute nicht mehr so?“ Deine Welt bricht zusammen und du brauchst dringend ein Wunder. Du siehst hoch zu den Sternen am Himmel und fühlst Dinge, die größer sind als fromme Worte. Du sagst dir: „Wenn das wahr ist, muss es mehr Macht, mehr Geheimnisse, mehr persönliche Erfahrungen geben.“ Und so wendest du dich schließlich an Gott, etwas unsicher, ob es dir auch wirklich ernst damit ist, und sagst: „Herr, lehre mich beten.“ Und er antwortet: „Ich dachte schon, du würdest nie fragen!“

       1: Gebet überall

      Warum beten?

       „Einmal war Jesus an einem Ort und betete...“

      Mehr Dinge werden durch das Gebet bewirkt, als diese Welt erträumt. Darum lass deine Stimme Tag und Nacht zu mir aufsteigen wie eine Wasserfontäne. (Alfred Lord Tennyson, Idylls of the King)1

      Auf dem Berg Athos, zweitausend Meter über dem Meeresspiegel der Ägäis, beten bärtige orthodoxe Mönche, wie sie es seit 1800 Jahren tun. Dreißig Meilen nördlich von Lagos versammeln sich über eine Million nigerianische Christen monatlich zu einem Gebetstreffen auf dem riesigen Gelände der Redeemed Christian Church of God. An den Ufern des Ganges bei Varanasi baden hinduistische Pilger auf der Suche nach Reinigung und Hoffnung im heiligen Wasser. Irgendwo in Manhattan kommt eine Gruppe von Süchtigen im Rahmen eines Zwölf-Schritte-Programms zusammen und bemüht sich, „durch Gebet und Meditation den bewussten Kontakt mit Gott zu verbessern“.2 Hoch in den Bergen des Himalaja läuten Glocken, und vor saphirblauem Himmel tanzen Reihen von bunten Gebetsfahnen auf der Leine. Tief in den Mammutbaum- und Douglasienwäldern der kalifornischen Lost Coast halten Zisterzienserinnen Gebetswachen am Mattole River, wo Lachse springen und Forellen durch das Wasser gleiten.

      Jeder vierte Mensch betet allein schon an Ostern jedes Jahr das Vaterunser. Jeder sechste Mensch verbeugt sich bis zu fünfmal täglich gen Mekka. Vor der Jerusalemer Klagemauer stehen schwarz gekleidete chassidische Juden und schaukeln vor und zurück wie alternde Gruftis in einer stummen Disco. Schlecht gerollten Zigaretten gleich, klemmen Tausende von handgeschriebenen Gebeten zwischen den riesigen Steinen der Mauer, die einst Teil des Herodes-Tempels waren. Es lohnt sich, am Anfang eines Buches wie diesem innezuhalten und den unendlichen Gesang der menschlichen Sehnsucht wahrzunehmen: einen Chor aus Seufzern und Schreien und Glockengeläut, aus Flüstern auf Entbindungsstationen, himmlischen Oratorien und gesprühten Graffiti. Wie Rabbi Heschel es ausdrückt: „Das Gebet ist unsere bescheidene Antwort auf die unbegreifliche Überraschung des Lebens.“3

       Muttersprache

      Das englische Wort „prayer“ (Gebet) kommt von dem lateinischen „precarius“. Wir beten, weil das Leben prekär ist. Wir beten, weil das Leben wunderbar ist. Wir beten, weil wir merken, dass wir zwar vieles nicht können, die einfachsten Wörter wie „bitte“, „danke“, „wow!“ und „Hilfe!“ aber beherrschen. Ich betete, als ich unsere Kinder zum ersten Mal im Arm hielt. Ich betete, als mir die Arbeit über den Kopf stieg und ich merkte, dass ich sie nicht schaffe. Ich betete, als meine Frau bewusstlos über den Krankenhausflur geschoben wurde. Ich betete in der Nacht, als ich die Polarlichter sah.

      Der kanadische Psychologe David G. Benner beschreibt Gebet als „Muttersprache der Seele“ und stellt fest, dass „unsere natürliche Haltung einer aufmerksamen Offenheit für das Göttliche“ entspricht.4 Wir sehen diese Haltung bei vielen großen Männern und Frauen, die nicht unbedingt für ihre tiefe Religiosität bekannt sind. Abraham Lincoln z. B. gab zu: „Viele Male trieb mich die überwältigende Überzeugung auf die Knie, dass ich nirgendwo sonst hingehen konnte. Meine eigene Weisheit … schien für den Tag nicht auszureichen.“5

      Der Unternehmer Conrad Hilton, Gründer der gleichnamigen Hotelkette, widmet den letzten Teil seiner Autobiografie überraschenderweise dem Thema Beten. „In einem erfolgreichen Leben“, erklärt er, „ist Gebet die Nabe, die das Rad zusammenhält.“6

      In ihrem teils autobiografischen Roman One True Thing beschreibt Anna Quindlen die Qual, als Neunzehnjährige zusehen zu müssen, wie ihre Mutter Chemotherapie bekam – „Tropfen für Tropfen für Bitte-Gott-lass-es-wirken-Tropfen. Oh ja, ich betete in dieser Kabine“, schreibt sie. „Aber ich betete für mich, ohne Form, nur unausgesprochene Gefühle, nur ein Wort: Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte.“7

      Der Rockstar Dave Grohl gibt zu, verzweifelt gebetet zu haben, als sein Schlagzeuger Taylor Hawkins