Mühlviertler Grab. Eva Reichl

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Название Mühlviertler Grab
Автор произведения Eva Reichl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266069



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wanderten ihre Augen zurück zu den fremden Leuten vor ihrer Haustür.

      »Chefinspektor Oskar Stern, das ist meine Kollegin Gruppeninspektorin Mara Grünbrecht. Wir sind vom Landeskriminalamt Oberösterreich und müssen Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen. Ihr Mann wurde heute Morgen tot aufgefunden«, sagte Stern und beobachtete die Frau genau, damit er jede ihrer Regungen registrierte.

      »Oliver? Das kann nicht sein.« Die Ehefrau des Opfers blickte die Inspektoren ungläubig an.

      »Es tut uns sehr leid, Frau Koch«, sagte Grünbrecht. »Wir haben Ihren Mann tot aufgefunden.«

      »Sind Sie sicher, dass es Oliver ist?« Die Unterlippe der Frau zitterte, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ihr Verstand schien sich zu weigern, den Tod ihres Mannes auch nur in Erwägung zu ziehen.

      »Wir sind sicher«, bestätigte Stern.

      »Nein!« Die Frau sank zu Boden und hielt sich wie eine Ertrinkende am Türstock fest. Sie weinte, schrie, bis nur noch seltsame Geräusche ihrer Kehle entschlüpften. Von Grünbrecht ließ sie sich hochziehen und ins Wohnzimmer führen. Die Gruppeninspektorin geleitete sie zur Couch, wo die Witwe niedersank und sich wie ein verletztes Tier wand.

      »Wir brauchen einen Arzt! Der soll ihr ein Beruhigungsmittel geben«, bemerkte Grünbrecht. Stern griff umgehend zu seinem Mobiltelefon und wählte den Notruf.

      »Ich sehe nach dem Kind«, sagte er, als er das Gespräch beendet hatte und sie auf das Eintreffen des Mediziners warten mussten. Indessen brachte Grünbrecht in Erfahrung, wer sich um die Familie kümmern konnte, und rief die Schwester von Silvia Koch an. Die versprach, umgehend herzukommen.

      Eine halbe Stunde später standen die Kriminalbeamten erneut vor dem Haus in Brunngassen, herausgefunden hatten sie jedoch nichts. Der Arzt und das Kriseninterventionsteam umsorgten die junge Witwe, die Tante das mittlerweile wache Kind.

      »Ich schlage vor, wir kommen später noch mal. Lassen wir der Frau ein wenig Zeit, diesen schweren Schlag zu verkraften. In ihrem Zustand bekommen wir ohnehin nicht viel aus ihr heraus. Ich frage mich aber, warum sie ihren Mann nicht als vermisst gemeldet hat? Schließlich hat er die Nacht nicht zu Hause verbracht«, spekulierte Stern.

      »Dafür kann es mehrere Gründe geben«, warf Grünbrecht ein. »Vielleicht ist sie mit dem Baby überfordert und hat nicht einmal gewusst, ob ihr Mann zu Hause gewesen ist oder nicht. Viele Paare schlafen, wenn sie kleine Kinder haben, in getrennten Zimmern.«

      »Ach ja?« Stern war hellhörig geworden. Hatte er eben so etwas Ähnliches herausgehört, wie dass Grünbrecht doch keine Kinder haben wollte?

      »So etwas gibt es, klar«, bekräftigte Grünbrecht.

      »Soll das heißen, dass Sie …?« Stern stammelte umständlich herum.

      »Dass ich was?« Grünbrecht verstand nicht, was ihr Chef meinte.

      »Na, wollen Sie einmal …?« Erneut beendete Stern den Satz nicht, sondern hoffte, dass auch so klar wurde, was er meinte.

      Doch dem war nicht so. »Was will ich?«, fragte Grünbrecht.

      »Na, ein Kind!«, platzte Stern heraus.

      »Was hat der Fall damit zu tun, ob ich ein Kind will?« Grünbrecht zog verständnislos die Stirn in Falten.

      »Nichts. Ich wollte nur wissen, ob Sie mal Kinder haben wollen«, erklärte Stern gereizt. Über so etwas zu reden fiel ihm nicht leicht, schon gar nicht mit Grünbrecht. Dennoch fühlte er sich jetzt, wo die Sache ausgesprochen war, irgendwie erleichtert.

      Grünbrecht schmunzelte. Endlich hatte sie verstanden, auf was ihr Chef hinauswollte. »Natürlich will ich mal Kinder haben, ich finde diesen Wunsch ganz normal. Aber zuerst werden Edwin und ich heiraten.«

      Stern wusste nicht, ob er erleichtert sein sollte oder nicht. Die Entscheidung, wer von den beiden nach der Hochzeit das Team verlassen musste, nahm ihm Grünbrechts Antwort jedenfalls nicht ab. Er wollte nicht weiter nachhaken, da ihm das Gespräch unangenehm war und er jetzt sowieso nichts ändern konnte. Außerdem machte sich sein Magen wieder bemerkbar und schickte Geräusche die Speiseröhre empor, die dem Brummen eines Bären ähnelten. Er entschied, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, um Kolanski und Mirscher im ortsansässigen Gasthaus zu treffen und seiner schlechten Laune mit einem saftigen Schweinsbraten samt Kraut und Semmelknödel ein Ende zu bereiten.

      Eine Viertelstunde später betraten er und Grünbrecht die Gaststube. Gemütliches Flair empfing sie, ebenso wie aufgeregte Wirtsleute, die natürlich alles über den Mord wissen wollten.

      Mit den Worten »Laufende Ermittlungen« erklärte Stern ihnen, warum sie nichts erzählen durften, und setzte sich an einen freien Tisch. Dort wurden sie von der hiesigen Stammtischrunde misstrauisch beäugt.

      »Mirscher und Kolanski kommen gleich«, informierte ihn Grünbrecht nach einem Blick auf ihr Handy und blätterte anschließend in der Speisekarte. Stern hielt seine Karte eine Armlänge von sich gestreckt, um sie besser studieren zu können. Diese verdammte Altersweitsichtigkeit war in den letzten Wochen rapide fortgeschritten. Wenn er nicht irrte und er die verschwommene Aneinanderreihung von Buchstaben richtig interpretierte, war das erste Gericht auf der Speisekarte ein Schweinsbraten mit Semmelknödel. Seine Lieblingsspeise. Die würde er nehmen. Also brauchte er gar nicht weiterzulesen.

      »Die Ehefrau als Täterin können wir wohl ausschließen«, ließ er die Begegnung mit Silvia Koch Revue passieren und klappte die Speisekarte zu. Mit der Bestellung wollten sie bis zum Eintreffen der Kollegen warten. Vorausgesetzt, das dauerte nicht mehr allzu lange.

      »Das denke ich auch«, schloss sich Grünbrecht seiner Meinung an. »Trotzdem sollten wir nachher noch einmal zu ihr fahren und mit ihr reden. Vielleicht hat sie ja einen Verdacht, wer ihrem Mann das angetan haben könnte, und vor allem warum.«

      »Das machen wir«, brummte Stern und rieb sich die Hände. In dem Gasthaus duftete es verführerisch, und Sterns Verlangen, seinen Hunger zu stillen, wuchs von Sekunde zu Sekunde weiter an. »Wo bleiben bloß Mirscher und Kolanski? Ich verhungere …«

      Im selben Augenblick schwang die Tür der Gaststube auf und die Kollegen traten ein.

      Stern war erleichtert. »Wenn man vom Teufel spricht.«

      Grünbrecht lächelte den Eintretenden entgegen. Ein angedeuteter Kuss flog durch die Luft, was Stern einen Seufzer entriss. Mirscher setzte sich neben seine Verlobte, Kolanski nahm neben dem Chefinspektor Platz. Der bestellte nun endlich seinen geliebten Schweinsbraten, Grünbrecht wie üblich einen Salat und Mirscher ein Kotelett nach Mühlviertler Art mit Speck und Champignons. Kolanski begnügte sich mit einer Suppe und begründete seine Zurückhaltung mit dem durch den Mordfall einhergehenden Zeitmangel, genügend Sport treiben zu können, weshalb er bei gleichbleibendem Verzehr von Speisen an Gewicht zulegen würde. Das wolle er auf gar keinen Fall. Stern, dem Kolanskis Sportleidenschaft schon immer schleierhaft gewesen war, ließ sich den Appetit deswegen nicht verderben und orderte noch einen Semmelknödel extra zu seinem Schweinsbraten.

      »Was habt ihr über das Opfer herausgefunden?«, begann er mit der Besprechung des Falls.

      »Oliver Koch war so etwas wie eine jüngere Ausgabe von Donald Trump. Jähzornig, hat jeden Furz getwittert. Unberechenbar soll er gewesen sein und frauenverachtend«, kam Kolanski ebenfalls gleich zur Sache.

      »Muss man heutzutage so sein, um gewählt zu werden?«, stieß Grünbrecht verächtlich aus.

      »Er hat gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in dem ehemaligen Gasthaus Maria Bründl gewettert, das zuvor leer gestanden hat. Das hat ihm nicht nur Freunde beschert, haben mir die St. Oswalder erzählt. Der Großteil der Bevölkerung steht der Aufnahme von Flüchtlingen nämlich positiv gegenüber«, redete Mirscher weiter.

      Schon wieder dieses Maria Bründl, dachte Stern, und seine Gedanken schweiften kurz zu seinem Selbstversuch mit dem radonhaltigen, angebliche Heilkräfte besitzenden Wasser ab. Er schaute aus dem Fenster auf das gegenüberliegende Haus, an dem ein Reklameschild befestigt war, um zu testen, ob seine Sehkraft sich