Mühlviertler Grab. Eva Reichl

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Название Mühlviertler Grab
Автор произведения Eva Reichl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266069



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er an die paar Kilo zu viel dachte, die er auf die Waage brachte, und die Frau wog gut ein Drittel weniger als er. Was sollte sie ihm da schon entgegensetzen? Dennoch strahlte sie etwas aus, was ihm Respekt einflößte. Es war ihr Verstand, der dieses Gefühl bei ihm auslöste.

      »Geben Sie mir ein Exklusiv-Interview, so wie damals, als der Liebenauer Priester ermordet wurde?« Eleonore Winkler klimperte mit ihren stark getuschten Wimpern. Sie wusste ihre weiblichen Reize einzusetzen, das musste Stern zugeben.

      »Damals haben Sie mir einen Tipp gegeben, erinnern Sie sich?« Stern hatte hinter dem Tor aus Gitterstäben angehalten.

      »Ja, ich erinnere mich«, flötete Winkler durch die Stäbe hindurch. »Wenn ich Ihnen wieder einen Tipp gebe, steht das Interview dann? Die Menschen interessieren sich viel mehr für eine Story, die aus dem Mund eines Chefinspektors stammt«, sagte sie, griff durch die Gitterstäbe, fasste nach dem Revers von Sterns Jacke und zupfte ihn zurecht, »als für die langweiligen Fakten einer Pressestelle.«

      Stern, dem Winklers Verhalten langsam unangenehm wurde, überlegte, was schon schiefgehen sollte, wenn er in diesen Deal einwilligte? Eigentlich nichts. »Ich bin gespannt, welchen Tipp ich von Ihnen kriege, der uns hilft, den Mord rascher aufzuklären«, sagte er und wandte sich ab.

      »Ich sagte doch, dass es sich um einen Mord handelt«, lachte Eleonore Winkler und klatschte einmal in die Hand. Auch wenn sie draußen vor den Toren des Friedhofs bei den anderen Schaulustigen warten musste, freute sie sich über diesen kleinen Erfolg.

      Stern biss sich auf die Lippen. Dass ihm dieser blöde Kommentar entfleucht war, ärgerte ihn. Er hoffte, dass die Reporterin mit dieser Information sorgfältig umging, da sie sich schließlich ein Exklusiv-Interview von ihm erhoffte. Beeinflussen konnte er es nun allerdings nicht mehr.

      Mirscher und Kolanski hatten sich indessen in der Leichenhalle einquartiert und befragten dort die auskunftswilligen St. Oswalder.

      »Habt ihr etwas herausgefunden, das uns weiterhilft?«, wollte Stern von Gruppeninspektor Hermann Kolanski wissen.

      »Nur das Übliche. Einen wirklich Verdächtigen haben wir nicht, aber wir stehen ja erst am Anfang der Ermittlungen«, vernichtete Kolanski Sterns Hoffnung, den Fall rasch zu lösen.

      »Okay. Grünbrecht und ich fahren zur Witwe und überbringen ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes«, sagte Stern.

      »Ich möchte auf gar keinen Fall mit euch tauschen«, gab Kolanski ehrlich zu. »Da höre ich mir viel lieber an, was die St. Oswalder zu sagen haben, auch wenn vieles davon nur Klatsch und Tratsch ist. Wusstest du, dass die hier das erste oberösterreichische Schnapsmuseum haben?«

      »Nein, wusste ich nicht«, brummte Stern und blickte auf die Uhr. Es war längst nach Mittag, sein Magen knurrte. Das trug nicht gerade dazu bei, ihn bei Laune zu halten.

      »Das sollten wir uns mal ansehen«, redete Kolanski weiter von dem Schnapsmuseum.

      »Ach, sollten wir?« Sterns Stimmung verbesserte sich dadurch nicht wirklich.

      »Anscheinend kann man die Schnäpse dort verköstigen«, fügte Kolanski hinzu.

      »Ich hab Hunger, Kolanski. Ich brauch etwas zum Beißen und nicht zum Saufen!«, fuhr Stern den Kollegen an. »Außerdem sollst du mit den Leuten nicht über das Schnapsmuseum reden, sondern über das Opfer!«

      »Dann sollten wir unbedingt bald etwas essen«, lenkte Kolanski sofort ein, um seinen Chef nicht noch mehr zu reizen.

      »Wir treffen uns nachher im Gasthaus im Ort. Ich hab da eines gesehen, als ich hergefahren bin. Liegt direkt an der Straße«, sagte Stern, der selber wusste, dass er im Begriff war, unleidig zu werden. Hunger brachte diese Eigenschaft bei ihm zum Vorschein. Er hielt nach Grünbrecht Ausschau, und als er sie bei Mirscher entdeckte, deutete er ihr, dass sie mit ihm mitkommen solle. Das war auch so eine Sache, die seine Laune regelmäßig in den Keller sinken ließ. Mirscher und Grünbrecht hatten vor zu heiraten, und Bormann, der Dienststellenleiter, lag ihm seit Wochen in den Ohren, dass er die Angelegenheit regeln solle, was bedeutete, dass einer von den beiden die Abteilung verlassen musste. Doch Stern wollte sich nicht für oder gegen einen aus seinem Team entscheiden. Er wollte, dass alles blieb wie es war. Denn so war es gut. Alles lief, wie es laufen sollte.

      Wenn er sich für Grünbrecht entschied, dauerte es bestimmt nicht lange, bis sie ein Kind bekam. Dann würde er auch sie verlieren, zumindest für eine gewisse Zeit, die allerdings lange genug war, dass er sich derweilen in den Ruhestand verabschiedete. Das passte nicht zu seinen Plänen, da er sie eigentlich als seine Nachfolgerin vorschlagen wollte. Mara Grünbrecht war die geborene Ermittlerin, hatte ein Gespür für Menschen und einen todsicheren Riecher, was die Motive der Täter anbelangte. Sie war die perfekte Ergänzung zu ihm. Er war der reife, auf Fakten getrimmte Kriminalbeamte und sie eine junge Inspektorin, die auch Bauchgefühle zuließ. Außerdem wäre sie in der Lage, Mirscher und Kolanski eine gute Vorgesetzte zu sein. Wahrscheinlich besser, als er es jemals gewesen war. Und wenn er sich für Mirscher entschied, brauchte er sich zwar über eine lange Babypause keine Gedanken zu machen, so wie er die beiden einschätzte, dennoch war der Kollege nicht so mit dem Herzen ein Ermittler wie Grünbrecht, auch wenn er ein guter Polizist war. Grünbrecht ging mit einer Leidenschaft an die Sache ran, die Mirscher fehlte. Außerdem …

      »Wohin fahren wir?«, unterbrach Grünbrecht seine Gedanken.

      »Zur Witwe nach Brunngassen in St. Oswald«, antwortete Stern und vertagte die längst überfällige Entscheidung, wer denn nun in eine andere Abteilung wechseln sollte, zum wiederholten Mal auf später.

      »Ich hab die Adresse«, sagte Grünbrecht und hielt ihr Handy hoch.

      »Natürlich haben Sie die«, antwortete Stern nicht überrascht. Er wusste, wie zuverlässig seine Kollegin war. Erneut schmerzte es ihn, sie vielleicht gehen lassen zu müssen.

      Schweigend fuhren sie nach Brunngassen zu Silvia Koch, um ihr vom Tod ihres Mannes zu berichten. Das Überbringen von Todesnachrichten war etwas, an das sich Stern nie hatte gewöhnen können und auf das er sich geistig vorbereiten musste. Als sie vor dem schmucken Einfamilienhaus anhielten, fiel ihnen vor der Tür ein Kinderwagen auf. Stern erinnerte sich, dass Grünbrecht gesagt hatte, dass die Kochs ein Kind hatten.

      »Ich hasse diesen Teil unseres Jobs«, sprach Grünbrecht aus, was Stern dachte.

      »Bringen wir es hinter uns«, sagte er und stieg aus dem Wagen.

      Das Haus der Kochs lag am Rande von Brunngassen mit Blick auf den nahegelegenen 18-Loch-Golfplatz, der an diesem Tag, dank des schönen Wetters, gut besucht war, vorwiegend von Rentnern. Wenn Stern erst einmal im Ruhestand war, würde er sich ebenso eine Beschäftigung suchen müssen, überlegte er. So eine gemütliche Wanderung über einen Golfplatz, und hie und da einen Ball in ein Loch katapultieren, wäre vielleicht das Richtige. Doch jetzt galt es, eine Frau über den Tod ihres Mannes zu informieren. Er zog die Hose hoch und schritt vor Grünbrecht die Einfahrt her zu dem Haus der Kochs. Dort angekommen warf er einen Blick in den Kinderwagen, ein Kleinkind schlummerte darin. Die Haustür stand halb offen. Es hatte den Anschein, als wären Mutter und Kind eben von einem Spaziergang zurückgekehrt.

      »Na toll«, seufzte Grünbrecht, der es offensichtlich besonders naheging, einer jungen Mutter sagen zu müssen, dass sie Witwe war. Stern überlegte, ob das etwas damit zu tun hatte, dass sie vielleicht selber schwanger war, verscheuchte diesen Gedanken jedoch sofort. Noch gab es keine Anzeichen dafür.

      Der Chefinspektor spähte durch den Türspalt und drückte auf die Türglocke. Eine helle Tonabfolge ertönte. Im Inneren des Hauses waren Geräusche zu hören, jemand näherte sich der Tür. Als diese zur Gänze geöffnet wurde, stand eine Frau um die 30 vor den Kriminalbeamten, die langen blonden Haare zu einem lockeren Zopf zusammengebunden und auf ihrem Shirt Reste von Nahrung. Anscheinend hatte sie nach der Fütterung des Kindes bislang keine Zeit gefunden, sich umzuziehen. Sie wirkte gestresst. Wahrscheinlich nutzte sie die wenigen Stunden, in der das Kind schlief, um ein paar Dinge im Haushalt zu erledigen.

      »Frau Silvia Koch?«, fragte Stern, damit er Gewissheit hatte, nicht einer falschen Person die Todesnachricht