Mühlviertler Grab. Eva Reichl

Читать онлайн.
Название Mühlviertler Grab
Автор произведения Eva Reichl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266069



Скачать книгу

antwortete der Gerichtsmediziner. »Was ich dir bislang erzählt habe, war eine Ferndiagnose, weil ich das Opfer noch nicht anrühren durfte. Deine Kollegen wollten ja unbedingt, dass du es so siehst, wie es der Täter für uns zurückgelassen hat.«

      »Für uns? Dann sendet er uns deiner Meinung nach eine Botschaft?«, hakte Stern nach. Auch wenn er und Weber sich oftmals uneins waren und sie dieser »Wer-als-Erster-am-Tatort-ist-Wettstreit« zu Konkurrenten machte, interessierte ihn dessen Meinung. Schon allein deswegen, da Weber heute noch keinen abfälligen Kommentar, weil Stern nach ihm am Friedhof eingetroffen war, abgelassen hatte. Dieser ständige Schlagabtausch gehörte zu jedem neuen Fall dazu wie ein Semmelknödel zu einem ordentlichen Schweinsbraten.

      »Vielleicht. Vielleicht auch nicht«, entwand sich Weber einer Bestätigung dessen, was er zuvor angedeutet hatte. »Es kann nämlich durchaus sein, dass der Tote nur ein Stoßgebet zum Himmel schicken wollte, damit du ein wenig beherzter aufs Gaspedal drückst und als Erster am Tatort erscheinst.« Weber grinste. Die endlich ausgesprochene Stichelei des Gerichtsmediziners brachte Sterns Weltbild, wie die Dinge zwischen ihnen beiden standen, wieder in Ordnung, wenngleich Webers nächste Frage ihn erneut unter Strom setzte: »Wieso bist du überhaupt so spät dran? Du wohnst ja allein, da müsste es demnach doch viel schneller gehen, dass du hier bist.«

      Webers Frage ignorierend sagte Stern patzig: »Wenn du eh schon so lange vor mir dagewesen bist, kannst du mir sicher sagen, wann unser Opfer gestorben ist.« Denn natürlich ärgerte es ihn, dass Weber vor ihm in St. Oswald eingetroffen war, wie es ihn auch ärgerte, dass die Katzenfamilie Schuld daran trug, dass er morgens immer etwas länger brauchte, bis er die Wohnung verlassen konnte. Aber er wollte seinen Kollegen natürlich nicht auf die Nase binden, dass er, der beinharte Chefinspektor der Mordgruppe am Landeskriminalamt Oberösterreich in Linz, nicht in der Lage war, eine fremde Katzenfamilie in ein Tierheim zu verfrachten. Wie ließe ihn das denn dastehen? Da war es besser, die Kollegen stellten wegen seiner seit Wochen beinahe täglichen Verspätungen irgendwelche Spekulationen an, die ohnehin nicht zutrafen.

      »Das könnte ich, wenn ich ihn mir mal genauer ansehen dürfte«, konterte Weber sofort.

      Nachdem der Polizeifotograf Fotos vom Leichenfundort gemacht hatte, gab Stern dem Gerichtsmediziner zu verstehen, dass der Tote ihm gehörte. Weber kniete sich zu dem Opfer hinab und begann mit der Untersuchung vor Ort. Dafür öffnete er seinen mitgebrachten Koffer und zog Skalpell und ein Thermometer heraus, um zu allererst die Temperatur des Leichnams zu messen, die er für die Bestimmung des Todeszeitpunktes benötigte.

      »Nehmen Sie sich Webers Sticheleien nicht so zu Herzen«, sagte Grünbrecht nahe Sterns Ohr, während sie beobachteten, wie der Gerichtsmediziner die Leiche in eine waagrechte Position brachte, ihr einen kleinen Schnitt im Rumpf verpasste und das Thermometer einführte, um die Temperatur der Leber zu messen.

      »Das tue ich nicht«, gab Stern erstaunt zurück. Bislang hatte er angenommen, dass er seine aufwallenden Emotionen Weber gegenüber stets gut im Griff gehabt und vor den anderen hatte verbergen können. Wie es aussah, war das nicht der Fall.

      »Dann ist es ja gut«, erwiderte Grünbrecht. »Gibt es vielleicht etwas, das Sie uns erzählen möchten? Warum Sie in letzter Zeit immer so spät dran sind?«, nutzte sie die Gelegenheit, solange sie auf Webers Einschätzung des Todeszeitpunktes warteten, ihn ihrerseits auf sein vermeintliches Geheimnis anzusprechen. Stern fiel auf, dass die anderen Kollegen unauffällig näherkamen. Anscheinend wollten sie mithören, was er antwortete.

      »Nicht, dass ich wüsste«, brummte er.

      »Eine Frau vielleicht?«, sprach Mirscher aus, was alle dachten.

      »Ihr spinnt ja!«, fuhr Stern ihn an.

      »Das würde erklären, warum du jeden Tag als Letzter ins Büro kommst«, schloss sich Kolanski der scheinbaren Verschwörung an.

      »Interessiert sich vielleicht noch jemand für den Toten? Oder wollen alle lieber über Sterns Liebesleben plaudern?«, fragte Weber leicht pikiert, während er die Leiche weiter untersuchte.

      Stern schüttelte ob der Spinnereien der Kollegen den Kopf und bat den Gerichtsmediziner, er möge doch bitte seine Erkenntnisse mit ihnen teilen.

      »Der Todeszeitpunkt ist keine zwölf Stunden her, eher zehn. Die Leichenflecken an Beine und Gesäß sind voll ausgeprägt und konfluiert, lassen sich aber noch wegdrücken. Die Totenstarre ist am ganzen Körper ausgebildet, das bedeutet, dass der Tod vor mindestens acht Stunden eingetreten ist. Das alles deckt sich mit der Körpertemperatur, die bei diesen Temperaturen – in der Nacht hatte es an die 10 Grad – im Durchschnitt um 0,5 Grad Celsius pro Stunde sinkt. Zusammengefasst würde ich meinen, dass der Todeszeitpunkt zwischen 23 Uhr und 1 Uhr liegt«, gab Weber das Ergebnis seiner Untersuchung bekannt.

      »Todesursache?«, fragte Stern knapp.

      »Das Opfer ist erstickt oder ertrunken«, sagte Dominik Weber.

      »Ertrunken?«, echote Stern.

      »Ja. Oder erstickt. Petechiale Stauungsblutungen weisen darauf hin. Sie sind zwar nur gering ausgebildet, aber das könnte daran liegen, dass das Opfer nicht die Möglichkeit hatte, während des Todeskampfes nach Luft zu schnappen.«

      »Was heißt ertrunken?«, hakte Stern nach und sah sich demonstrativ um. »Wir sind auf einem Friedhof, da gibt es nichts, wo man ertrinken könnte.«

      »Dort drüben bei dem Kreuz ist ein Trog«, sagte Grünbrecht.

      »Und? Ist Wasser drin?«

      »Staubtrocken«, ließ ihn die Gruppeninspektorin wissen.

      »Das ist dann wohl euer Problem«, erwiderte Weber. »Und nicht meines.«

      »Seine inzwischen angetrockneten Haare und die bis zur Brust feuchten Klamotten sprechen für Webers Theorie«, schloss sich Grünbrecht der Meinung des Gerichtsmediziners an und deutete auf die unterschiedliche Farbgebung der Kleidung. »Seht ihr die dunklen Flecken auf dem Hemd? Die reichen bis zur Brust oder dem Bauch. Die Hose hingegen ist beinahe trocken.«

      »Nach der Obduktion werden wir Gewissheit haben. Wenn das Opfer ertrunken ist, finde ich Wasser in der Lunge«, sagte Weber und packte die Instrumente in den Koffer.

      Stern, der dem Gespräch etwas ratlos gefolgt war, fragte: »Könnt ihr mir verraten, warum jemand einen ersäuft und ihn anschließend auf einen Friedhof schafft?«

      »Und ihn derart zur Schau stellt?«, ergänzte Weber.

      »Vielleicht war’s ja ein Unfall«, schlug Mirscher ein wenig naiv vor. »Und derjenige, der ihn gefunden hat, hatte nicht den Mumm, die Polizei zu verständigen, sondern hat ihn hierher zum Beten gebracht, weil sich das so gehört … oder so.«

      »Warum hat er ihn nicht einfach liegen lassen, dort, wo er ihn angeblich gefunden hat? Wäre das nicht die normale Reaktion?«, warf Grünbrecht ein, und Mirscher zuckte mit den Schultern.

      »Vielleicht ist er im Maria Bründl ertrunken«, stellte Kolanski eine These auf.

      »Im Maria Bründl? Was ist das denn?«, wollte Grünbrecht von ihm wissen.

      »Es gibt hier etwa zwei Kilometer außerhalb von St. Oswald im Wald eine Heilquelle, das ist das Maria Bründl. Sie zieht die Menschen, die an die Heilkraft von solchen Gewässern glauben, scharenweise an«, erklärte Kolanski.

      »Kolanski, unsere wandelnde Wikipedia«, äußerte sich Mirscher durchaus anerkennend.

      »Wenn der Tote krank gewesen ist, hat er vielleicht versucht, sich in dem Wasser von dieser Krankheit zu heilen und ist dabei ausgerutscht und ertrunken«, spekulierte Kolanski weiter. »Das würde zu der Verletzung an seinem Schädel passen. Wenn er sich den Kopf gestoßen hat und dadurch bewusstlos geworden ist …« Kolanski ließ das Ende des Satzes offen. Es wusste ohnehin jeder, was er ausdrücken wollte.

      »Und wie ist er auf das Grab gekommen? Zu Fuß ja wohl kaum.«

      »Da sind Schleifspuren.« Kolanski deutete rechts vom Grab auf zwei sanfte Rinnen im Kies des Weges. »Es sieht zwar so aus, als ob der Täter