Mühlviertler Grab. Eva Reichl

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Название Mühlviertler Grab
Автор произведения Eva Reichl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266069



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Altersweitsichtigkeit etwas geändert.

      »Bei einem Teil der Österreicher hätte ihm das große Sympathie eingebracht«, spuckte Grünbrecht angewidert aus. Es war ihr anzusehen, was sie davon hielt. »Ich verstehe nicht, was in unserem Land los ist. Uns geht’s doch gut, so gut wie schon lange nicht mehr. Wir haben ein funktionierendes Sozialsystem, sodass kaum jemand unter den Rost fällt, und dennoch verlangen viele Österreicher nach dem rechten Lager, einem ›starken Mann‹.«

      »Eine seltsame Entwicklung, wie auch die Art des Todes von unserem Opfer seltsam ist«, lenkte Stern das Gespräch wieder auf ihren Fall.

      »Ertrunken auf einem Grab«, brachte Kolanski es auf den Punkt.

      »Das steht noch nicht fest«, warf Stern ein.

      »Aber wie die Dinge liegen, ist es wahrscheinlich.«

      Dem wusste Stern nichts entgegenzusetzen. Dennoch würde erst Webers Obduktion der Leiche Gewissheit bringen.

      »Der Fundort ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Tatort«, sagte Mirscher. »Wir wissen noch immer nicht, wo das Opfer getötet wurde.«

      Die Unterhaltung verstummte, weil das Essen serviert wurde. Ein saftiger Schweinsbraten samt drei Semmelknödel wanderte vor Stern auf den Tisch, und ihm lief der Speichel im Mund zusammen. Dass diese Mahlzeit die letzte für lange Zeit sein würde, wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht.

      3. Kapitel

      Nach dem Essen fuhren Stern und Grünbrecht erneut zu Silvia Koch in der Hoffnung, dass die Wirkung des Beruhigungsmittels inzwischen eingesetzt hatte und sie ihr ein paar Fragen stellen konnten. Als die Kriminalbeamten im Haus der Kochs eintrafen, lag die Witwe auf der Couch im Wohnzimmer, mit einer Decke bis zu den Schultern eingehüllt, und starrte vor sich hin. Stern war nicht sicher, ob sie ihre Anwesenheit überhaupt registrierte.

      »Frau Koch?«, fragte er und berührte sie sanft am Arm.

      Die Angesprochene hob den Kopf und blickte ihn mit geröteten Augen an.

      »Ich bin Chefinspektor Oskar Stern, das ist meine Kollegin Gruppeninspektorin Mara Grünbrecht. Wir waren vorhin schon mal da, erinnern Sie sich?«

      Die Frau nickte und schlug die Decke zur Seite.

      »Können Sie uns ein paar Fragen beantworten?«

      Silvia Koch versuchte, sich langsam aufzusetzen. Es war ihr anzumerken, dass sie unter dem Einfluss eines Beruhigungsmittels stand. Stern war unschlüssig, ob er ihr helfen sollte, da schob Grünbrecht ihre Hand in den Rücken der Witwe, um sie bei ihren Bemühungen, in die Senkrechte zu kommen, zu unterstützen. Die Decke legte Grünbrecht ihr anschließend auf die Beine.

      »Wollen S’ einen Kaffee hab’n?«, fragte die Schwester der Frau, die ihnen zuvor die Tür geöffnet hatte und jetzt mit dem Kind auf dem Arm die Szene beobachtete. Auch ihr war die Last anzusehen, der Kummer, der diese Familie erschütterte. Stern lehnte dankend ab. Er fand es nicht angebracht, sich von diesen Menschen bedienen zu lassen, wo sie doch den Tod eines geliebten Menschen zu beklagen hatten.

      »Was wollen S’ denn wissen?«, fragte Silvia Koch mit dünner Stimme. Gleichzeitig zog sie die Decke bis zu den Schultern hoch, als fröstelte sie. Ein Zeichen dafür, dass sie unter Schock stand, denn in dem Wohnzimmer war es angenehm warm temperiert.

      Stern nahm einen Stuhl, stellte ihn vor das Sofa und setzte sich darauf. »Frau Koch, haben Sie eine Ahnung, wer Ihrem Mann das angetan hat?«, begann er mit der Befragung.

      »Wie … wie ist er denn …?« Silvia Koch sah die Kriminalbeamten unsicher an. Wahrscheinlich hatte sie Angst, die genaue Todesursache zu erfahren, die Umstände zur Kenntnis nehmen zu müssen, wie es passiert war, und vor allem warum es geschehen war. Sie würde sich dann mit Dingen auseinandersetzen müssen, die sie vielleicht gar nicht wissen wollte, die sie wohlmöglich bislang verdrängt hatte. Dennoch trieb die meisten Menschen ein innerer Motor an, jede noch so winzige Wissenslücke zu füllen, auch wenn die Folgen unangenehm waren.

      »Wir wissen es nicht genau. Er ist entweder ertrunken oder erstickt«, berichtete Stern.

      »Ertrunken? Mein Mann ist ein ausgezeichneter Schwimmer g’wesen. Wo soll er denn ertrunken sein?«

      »Auch das wissen wir nicht.«

      »Wo haben Sie ihn g’funden?«

      »Auf dem Friedhof.«

      Schweigend verarbeitete Silvia Koch diese Nachricht, als hätte sie Schwierigkeiten, das eben Gehörte zu verstehen. Na gut, wenn jemand behauptete, der eigene Mann sei auf einem Friedhof ertrunken, war das tatsächlich außergewöhnlich, fand Stern. Aber wahrscheinlich war ebenso das Beruhigungsmittel schuld daran, dass die Frau im Augenblick so unnahbar wirkte. So distanziert.

      »Frau Koch, ist Ihr Mann bedroht worden?«, versuchte Stern erneut, etwas aus der Frau herauszubekommen, das für den Fall relevant sein könnte.

      Die Witwe schüttelte den Kopf. »Nein. Mein Mann ist ein anständiger Mensch g’wesen. Er hat keine Feinde g’habt, und schon gar keine, die ihn umbringen wollten. Sie wissen, dass es in der Politik net immer fein zugeht, das g’hört zu dem G’schäft nun mal dazu. Hernach geht man aber wieder auf ein Bier mitsammen.«

      »Vielleicht hat einer von der Konkurrenz das nicht so entspannt gesehen«, stellte Stern in den Raum.

      »Glauben S’ mir: Der Oliver hat sich um die Leut’ g’sorgt. Und wenn er es mal bis ganz nach oben g’schafft hätt’, hat er immer g’sagt, dass er dann ein Politiker für alle hätt’ sein wollen. Nicht so wie die jetzige Regierung, die es nur ihrer Wählerschaft recht machen will. Er wollte den Menschen dienen, nicht nur dem Geld.«

      »Das hört sich ja alles vielversprechend an«, ließ Stern sich hinreißen zu sagen, obwohl er der Meinung war, dass die meisten Politiker, wenn sie erst mal eine gewisse Position innehatten, diesen Idealismus verloren und ihre ganze Energie dafür einsetzten, die eigene Partei zu stärken und wiedergewählt zu werden. Das Volk, für das sie sich vorher so vehement stark gemacht hatten, war ihnen dann egal. »Aber wir sind nicht hier, um die Wahlsprüche Ihres Mannes zu hören. Wir wollen die Umstände seines Todes aufklären.«

      »Er hat oft bis spät in die Nacht hinein g’arbeitet. Gemeinderatssitzungen und so a Schmarrn. Alles nur für die Politik. Für mich und die Kleine hat er keine Zeit g’habt, seit sie auf der Welt ist.« Die Augen der Frau füllten sich mit Tränen, und ihr Blick wanderte hinüber zu dem in den Armen der Tante glucksenden Kind.

      »Wie heißt sie denn?«, fragte Grünbrecht.

      »Elisabeth. Wir nennen sie Sissi. Sie ist so ein Sonnenschein.« Ein Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht der Frau ab, als sie ihre Tochter ansah.

      »Hat Ihr Mann in letzter Zeit mit jemandem Streit gehabt?«, kam Stern zum eigentlichen Thema zurück.

      Das Lächeln der Frau erstarb. »Nicht, dass ich wüsst’. Aber vielleicht weiß ich ja net mehr alles, was mein Mann so g’trieben hat. So sieht es zumindest aus. Was denken Sie?«

      Stern ignorierte die an ihn gerichtete Frage und fuhr fort: »Wieso ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Ihr Mann in der Nacht nicht zu Hause gewesen ist?«

      »Wir haben g’trennte Schlafzimmer, seit Sissi da ist. Er hat g’sagt, dass er es nicht aushält, wenn sie die ganze Nacht schreit.«

      »Tut sie das denn?«, hakte Grünbrecht nach.

      Stern zog die Augenbrauen hoch. Seiner Meinung nach interessierte sich Grünbrecht viel zu sehr für das Kind. Außerdem lugte sie ständig zu dem Mädchen hinüber, welches nun auf einer Decke am Boden saß und versuchte, Klötze aus Holz in einen hohlen Würfel zu stecken. Aber das mit den getrennten Schlafzimmern erklärte, warum Silvia Koch das nächtliche Ausbleiben ihres Mannes nicht bemerkt hatte.

      »Jetzt nicht mehr so viel, anfangs hat sie vier Stunden am Stück g’schrien. Das kam sogar ziemlich häufig vor«, erzählte Silvia Koch. »Es war echt nervenaufreibend.«

      »Beim