Mühlviertler Grab. Eva Reichl

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Название Mühlviertler Grab
Автор произведения Eva Reichl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266069



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am besten. Ihm musste nur noch einfallen, wie er seine Tochter Barbara überzeugen konnte, seinen Enkeln ihren langersehnten Wunsch nach einem Haustier endlich zu erfüllen.

      Das Fell des zweiten Kätzchens war gestreift, bis auf den weißen Bauch und die ebenso weißen Pfoten. Dieses wollte er Bormanns Sekretärin schenken. Wenn er der Gerüchteküche im Landeskriminalamt Glauben schenken durfte, hatte sie sich erst kürzlich von ihrem langjährigen Freund getrennt und war nur noch heulend im Vorzimmer des Dienststellenleiters anzutreffen. Da wäre ein Schmusetiger, mit dem man Kuscheln und den man streicheln konnte, genau die richtige Ablenkung, fand er. Und für das dritte Kätzchen, ein astreiner grau-brauner Tiger, der wild und klug zugleich zu sein schien, würde ihm auch noch etwas einfallen.

      Eine halbe Stunde später verließ er die Wohnung und fuhr mit seinem grauen Audi A6 auf der A7 Richtung Freistadt. Nach gut 40 Minuten erreichte er St. Oswald und bog bei der ersten Kreuzung rechts ab, da er den Turm der Kirche bereits erspähte. Dort in der Nähe musste der Friedhof sein, schlussfolgerte er, was sich nach der nächsten Kurve als richtig erwies. Ein blau blinkendes Lichtermeer empfing ihn, als hieße es ihn trotz des traurigen Anlasses willkommen.

      Stern hielt nach Webers Wagen Ausschau. Durch die Versorgung der Katzenfamilie war er später losgekommen als üblich, dennoch hoffte er, vor dem Gerichtsmediziner eingetroffen zu sein. Zwischen ihnen beiden gab es diesen unausgesprochenen Wettkampf, wer als Erster an einem Tatort war. Von einem unerklärlichen Ehrgeiz gepackt – den Stern zwar jedem gegenüber abstreiten würde, sollte man ihn darauf ansprechen –, wollte er diesen Wettkampf jedes Mal unbedingt gewinnen wie ein Schuljunge, dem gerade die Hormone einschossen.

      Als der Audi näherrollte, entdeckte er Webers Wagen direkt vor dem Friedhofseingang. Mist, fluchte er innerlich und parkte ein gutes Stück weiter hinten am Straßenrand. Wäre er tatsächlich vor Weber hier gewesen, würde er es ihm sofort unter die Nase reiben, sobald dieser einträfe. So aber beschloss er, Webers Sieg mit keinem Wort zu erwähnen, ihn einfach zu ignorieren und dessen Bedeutsamkeit, falls notwendig, herunterzuspielen.

      Die Kollegen hatten den Friedhof längst abgesperrt. Ein paar neugierige St. Oswalder flankierten die Pforte in der Hoffnung, sie könnten einen Blick auf das Geschehen in der Gräberanlage werfen. Ein Aufgebot an Einsatzfahrzeugen wie dieses blieb natürlich nicht unbemerkt. Stern war sich sicher, dass bald der ganze Ort darüber Kenntnis erlangen würde. Doch sie waren hier durch Mauern vor neugierigen Blicken geschützt. Der Friedhof glich einer Festung, gerade jetzt, wo die Eingänge von Uniformierten bewacht wurden, die nur autorisierte Personen hindurchließen. Die Abschottung durch die Eingrenzung der Mauern war zwar gut für die Bestandsaufnahme des Tatortes, aber schlecht für die Ermittlungen, da der Täter wahrscheinlich seine Tat genauso ungestört hatte vollziehen können. Es würde schwer werden, Augenzeugen zu finden.

      Stern übertrat die Schwelle zum Friedhof und erkannte sofort, wohin er sich wenden musste. Ermittler und Spurensicherer standen um eines der Gräber versammelt, als wären sie andächtig in ein Gebet versunken. Er konnte sich nicht erinnern, die Kollegen jemals so einträchtig gesehen zu haben. So friedlich …

      Oder vor Schock gelähmt?

      Denn üblicherweise waren sie geschäftig, jeder ging seiner Arbeit nach und ein reges Treiben beherrschte den Tatort. Als er näherkam, verstand er, was der Grund für ihr ungewöhnliches Verhalten war.

      »Chef, wir haben auf Sie gewartet. Wir meinten, Sie sollen das genau so sehen, wie wir es vorgefunden haben«, empfing ihn Gruppeninspektorin Mara Grünbrecht mit einer Erklärung anstatt eines Grußes. Die Körperhaltung der Leiche ließ Stern wissen, dass seine Kollegen richtig gehandelt hatten.

      »Grüß euch«, sagte er abgelenkt, da sein Gehirn bereits die ungewöhnliche Darstellung auf dem Grab aufzunehmen versuchte.

      Eine Person kniete inmitten von rosa blühenden Rosen auf einer mit Granit eingefassten Grabstätte, der Kopf hing nach unten, die Hände waren vor dem Leib mit Kabelbindern festgezurrt. Stern musste sich bücken, um dem Opfer ins Gesicht blicken zu können, damit er wusste, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Es war eindeutig ein Mann, Mitte 30, schätzte er. Er erhob sich und umrundete das Grab. Die Kollegen wichen zurück, damit er auf den schmalen Wegen zwischen den Gräbern genügend Platz fand. Die Haare des Toten waren feucht, klebten ihm an Stirn und Nacken. Stern fragte sich, ob es letzte Nacht geregnet hatte, und sah sich auf dem Friedhof um. Alles war trocken, bis auf die Gräber, deren Besitzer die wenigen Blumen, die um diese Jahreszeit noch blühten, am Vortag gegossen hatten. Für Oktober war es ungewöhnlich warm, da mochte es schon gut sein, für ein wenig zusätzliche Feuchte zu sorgen. Aber wenn es nicht geregnet hatte, wieso war das Opfer dann nass?

      »Was hältst du davon?«, fragte Gruppeninspektor Hermann Kolanski seinen Vorgesetzten mitten in dessen Überlegungen hinein. Er trug wie immer seine abgewetzte Lederjacke, Jeans und Cowboystiefel. Die Sonnenbrille hatte er auf sein Haupt hochgeschoben, um die Leiche auf dem Grab ungefiltert betrachten zu können. Wie üblich waren seine dunklen Haare viel zu lang, doch Kolanski pflegte die Wildnis auf seinem Kopf wie andere Männer ihren Wagen.

      Stern ließ sich mit einer Antwort Zeit. »Der Täter hat ihn in Pose gebracht. Betend. Aus welchem Grund auch immer«, fasste er in wenigen Worten zusammen.

      Der Anblick war in der Tat ungewöhnlich. Die zusammengebundenen Hände des Mannes waren vor dessen Brust derart positioniert, dass man meinen könnte, er würde beten. Den Kopf hielt er dabei geneigt, was den Anschein erweckte, er täte es aus Demut und nicht, weil er tot war. Durch die etwas zur Seite gestellten Beine konnte er nicht umkippen. Der Täter hatte sich Mühe gegeben, den Torso so auszurichten, dass er im Gleichgewicht war, und die Totenstarre tat ihr Übriges dazu.

      »Was will der Täter damit andeuten? Dass das Opfer ein frommer Mann gewesen ist?«, stellte Grünbrecht eine berechtigte Frage.

      »Oder vielleicht das genaue Gegenteil, dass er es nötig gehabt hat, im Angesicht des sicheren Todes seinem Herrn zu huldigen, um doch noch in den Himmel zu gelangen, wenn man an diese religiösen Dinge glaubt«, warf Gruppeninspektor Edwin Mirscher ein.

      »Ich will, dass genügend Fotos von der Leiche gemacht werden, und zwar so, wie sie in Pose gebracht ist. Kennen wir den Namen?«

      »Oliver Koch. 35 Jahre alt. Regionalpolitiker, wenn man dem Totengräber Glauben schenken darf«, spulte Grünbrecht herunter.

      »Dem Totengräber?«, echote Stern.

      »Johannes Blöchinger. Er hat die Leiche heute Morgen gefunden. Er wartet dort drüben auf uns.«

      Sterns Blick folgte Grünbrechts Fingerzeig und wanderte hinüber zu einem Kreuz in der Mitte des Friedhofes, von wo ein Mann in Arbeitsklamotten und mit einem Spaten, auf dem er sich abstützte, zu ihnen herübersah und sie beobachtete. Ihn würde er später vernehmen.

      »Hat es heute Nacht geregnet?«, fragte er.

      »Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Mirscher.

      »Prüft das nach! Denn wenn es in Linz nicht geregnet hat, heißt das noch lange nicht, dass das in St. Oswald auch der Fall gewesen ist«, befehligte Stern und widmete sich den Händen des Opfers. »Hier! Er hat eindeutig Abwehrverletzungen. Seine Fingerkuppen sind wundgescheuert.« Stern deutete auf die Hände des Toten. »Jedoch dort, wo die Kabelbinder sind, kann ich keine Verletzungen erkennen. Sie haben sich nicht ins Fleisch gegraben.«

      »Das bedeutet, dass der Täter die Hände des Opfers erst nach dessen Tod mit Kabelbindern festgezurrt hat«, meldete sich Weber zu Wort. »Außerdem hat er einen Schlag auf den Hinterkopf abbekommen. Das ist zwar nicht auf Anhieb auszumachen, da er nur eine Beule und eine kleine Platzwunde hat, aber ich bin mir sicher, wenn ich ihm den Schädel öffne, dass das umliegende Gewebe, und vielleicht auch die Schädeldecke, meine Vermutungen bestätigen werden.«

      »Kann die Kopfverletzung von einem Sturz stammen?«

      »Eher unwahrscheinlich. Da sie weit oben am Kopf ist, müsste das Opfer schon ziemlich blöd gefallen sein«, zeigte sich Weber hinsichtlich dieser Theorie skeptisch. »Aber wie sag ich immer: Es gibt nichts, was es nicht gibt.«

      »Ist