Es war ein reiches Leben. Arthur Ernest Wilder-Smith

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Название Es war ein reiches Leben
Автор произведения Arthur Ernest Wilder-Smith
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783958932708



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sie behandelte uns Jungen – mein Bruder war 16 Monate jünger als ich – wie Säuglinge, wie wir meinten. So hegten wir oft einen geheimen Groll gegen diesen „Psychoterror“. Hier bot sich offenbar die große Gelegenheit des Jahres, sich an unserer Schwester zu rächen. Nach einigen hundert Metern gelangten wir auf der Landstraße zu einer Stelle, wo frische, dampfende Pferdeäpfel lagen. Damals musste man nicht gegen den Gestank von Autoabgasen, sondern gegen den lieblichen Geruch von Pferdeäpfeln kämpfen! Kurz entschlossen – ich war vielleicht zweieinhalb Jahre alt – ging ich auf den dampfenden Haufen zu und wälzte mich ausgiebig in der weichen braunen Masse. Der Spaziergang wurde eiligst unterbrochen. Verzweifelt versuchte meine Schwester, das Schlimmste auszubürsten. Leider vergeblich; denn ich sah nachher schlimmer aus als vorher. Alle Vorbeigehenden bewunderten auf dem Rückweg meinen neuen, braun-gesprenkelten Anzug – er war früher ein weißer Matrosenanzug gewesen und hatte jetzt seine politische Farbe etwas geändert. Mutter war entrüstet, als sie diese Veränderung an meinem schönen Sonntagsanzug gewahrte.

      Wie vorauszusehen war, schimpfte sie meine arme Schwester heftig aus, was ganz im Sinne ihres bösen Sohnes war, obwohl Mutter das nicht wusste. Unsere drei älteren Schwestern hielten fest gegen die zwei jüngeren Brüder zusammen: ein Kriegszustand, der leider lange dauerte.

      Eltern ahnen oft gar nicht, wie bewusst kleine Kinder von frühester Jugend an die restliche Familie um den kleinen Finger wickeln. Menschen sind von Kleinkind an „Intriganten“! Die Aufgabe der Eltern – die schwere Aufgabe der Eltern – ist es, diesen Hang den Kindern früh auszutreiben. Meine Eltern versuchten, das zu tun – obwohl meine Schwestern bis zum heutigen Tag fest behaupten, dass dieses gute Ziel bei den beiden Jungen fehlschlug.

      Als ich vor einigen Monaten in London war, sprach ich telefonisch mit meiner zweiten Schwester, die schon einige Jahre Witwe ist. Sie war unerschütterlich der alten Meinung, dass wir Jungen von Anfang an unverbesserlich waren und dass unsere Eltern strenger hätten vorgehen müssen! Nur mit den Töchtern seien sie zu streng gewesen! Ein Familienlied, das vielen Familien sicher bekannt ist!

      2. Auf dem Gut

      Ich wurde am 22.12.1915 in Reading, Berkshire, England geboren. Mein Vater stammte aus einer alten Familie von Gutsbesitzern. Seit der dänischen Invasion (genauer gesagt Invasionen) Ostenglands bebauten seine Vorfahren das fruchtbare Flachland im Südosten des Landes und breiteten sich nach dem Westen aus, wo die keltischen Urbewohner des Landes ansässig waren. Der Menschentyp im Osten des Landes trägt immer noch den dänischen Phänotyp, obwohl schon viel Vermischung stattgefunden hat. Biologisch gesehen, waren sie meist langlebig (soweit sie ihre ständigen Kriege vermieden), blauäugig und groß von Wuchs. Oft waren sie rotblonde Menschen. Mein Vater trug einen kleinen rotblonden Schnurrbart, wozu meine geduldige Mutter oft bemerken musste, dass die rötliche Farbe durch seine oft hitzigen Worte, die über seine Lippen schlüpften, zustande kam. Vater konnte aber auch sehr lieb sein.

      Er versorgte in der ganzen Gegend – aber strikt heimlich –arme Leute, besonders Witwen und Waisen. Er ging oft wortkarg auf seine Runden durch die Nachbarschaft und brachte alten, alleinstehenden Männern und Frauen ein Hühnchen, gutes Gemüse oder sonst etwas, was es auf dem großen Gut gab: Eier, Butter, Milch usw. Besonders während des Krieges wurde seine diskrete Tätigkeit von vielen hoch geschätzt.

      Auf dem religiösen Gebiet war Vater ein ausgesprochener Feind der anglikanischen Staatskirche – und das nicht ohne Grund. Wie wir später sehen werden, opponierte er gegen die Tätigkeit der Kirche beim Einziehen des damals sehr ungerechten Zehnten. Aber innerlich war er durchaus ein religiöser Mensch, denn er war Freimaurer und stieg bis zur 32. „Royal Arch“-Würde (königliche Arche) hinauf. Sein Gedächtnis war so phänomenal, dass ihm die Aufgabe zugesprochen wurde, Könige und hohe Glieder der königlichen Familie auf Wortgenauigkeit im Ritus der Loge zu prüfen. Er war der Überzeugung, dass der Glaube an Christus eine Angelegenheit für Frauen und Kinder sei. Er besäße in seiner Loge die eigentliche Religion für Männer. Vater war sehr, sehr enttäuscht, dass ich nicht seinem freimaurerischen Vorbild folgte. Ich prüfte als junger Mann genauestens die Doktrinen der Freimaurer und lehnte sie später als unchristlich ab. Um zu diesem Schluss zu kommen, musste ich seine Riten und Praktiken in der Loge untersuchen, was oft Spannungen zu Hause mit sich brachte. Aber mehr von diesen Angelegenheiten später.

      Meine Mutter, die diplomierte Lehrerin war, stammte aus einer Ingenieursfamilie. Mein Großvater mütterlicherseits gründete eine Eisengießerei, die immer noch im Besitz der Familie ist. Er entwarf und entwickelte Maschinen aller Art, besonders landwirtschaftliche Maschinen, die die Farmer in unserer Gegend kauften.

      3. Die Farmer und Ingenieure

      Durch die Tätigkeit auf dem Gut väterlicherseits und in der Eisengießerei mütterlicherseits pflegten die beiden Familien von frühester Jugend an Kontakt. Durch die Tätigkeit beider Familien als Gutsbesitzer und Ingenieure verkehrten die jungen Glieder beider Familien miteinander. Mutters Bruder, Percy, der neben seinem Beruf als Ingenieur ein guter Musiker war, heiratete Vaters jüngere Schwester Millie. Sie wohnten nicht weit von uns und hatten zwei Kinder, die mit uns zur Schule und später ins Internat gingen.

      Vater lernte Mutter als Schulkind kennen – und wie man behauptet, brachte er ihr schon als Kind die schönsten Äpfel, die er aus dem Obstgarten holen konnte.

      Mutter interessierte sich für die Wissenschaft und wurde Lehrerin. Sie heiratete deshalb später, wie es in England unter Akademikern oft der Fall ist. Als sie heirateten, war sie 27 Jahre alt und mein Vater etwas älter. Mutters Familie war an Wuchs klein und dunkel, aber auch blauäugig – wie Vaters Familie. Mutters Familie stammte eher von keltischen Vorfahren ab. Vater von Angelsachsen. In den Grafschaften Berkshire, Oxfordshire, Gloucestershire und Hampshire findet man beide Menschentypen vor, heutzutage sehr oft vermischt.

      Mein Vater kaufte seine Maschinen, Traktoren, Dreschmaschinen, große Dampfpflüge etc. von der Firma Walter Wilder & Co., also von der Familienfirma meiner Mutter. Die Firma Walter Wilder kaufte Land, damit sie Platz und Gelegenheit hatte, die neuen Maschinen, die sie entwickelte, auszutesten. So bestand ein enger Kontakt zwischen den beiden Familien.

      Wenn Vater eine neuartige Dreschmaschine für Klee brauchte (Vater hatte einen Vertrag mit einer Firma, um neue reinrassige Kleearten für die damaligen Kolonien – Neuseeland, Australien etc. – zu züchten), suchte er sie natürlich bei Wilders. Leute dieser Firma kamen jedes Jahr auf unser Gut, um die Saat zu inspizieren. Die Firma Walter Wilder sorgte dafür, dass für jegliche Aufgabe die richtigen, passenden Maschinen geliefert wurden.

      4. Die Tiere auf dem Gut

      Ehe Benzin- und Kerosintraktoren aufkamen, pflügte man natürlich mit dem Pferd. So besaßen wir große Pferdeställe für unsere treuen Pferde, die das Pflügen, Eggen, die Aussaat und das Walzen übernahmen. In einem unserer Ställe stand ein schöner großer, intelligenter Reinrasse-Hengst namens Framlingen Curfew – ein edles Tier, das uns Kinder offenbar gern hatte, denn wir konnten mit ihm machen, was wir wollten; er nahm unsere Späße nie übel. Auch konnten wir Kinder ihn ohne Gefahr in der Erntezeit führen. Selbst mit unserer Hündin Folly kam der Hengst gut aus und legte seine Ohren an den Kopf zurück, wenn sie während der Arbeit herangefegt kam. Folly hatte einmal sechs oder sieben Kleine bekommen und wir Jungen wollten die Kleinen gerne inspizieren – was man unbedingt nicht tun soll, denn zu dieser Zeit sind Hündinnen oft unberechenbar. Die Hundemutter besaß eine schöne Hütte, nicht weit vom hinteren Eingang zum Hof entfernt. Mein Bruder Walter und ich begutachteten die Neugeborenen, so gut wir es konnten, durch den Eingang zur Hundehütte, aber es war zu dunkel, um richtig sehen zu können. So krochen wir beide in die Hütte hinein bis zur Ecke, wo Folly mit ihrer neuen Familie lag. Ich sehe heute noch, wie ihre Augen feurig glänzten, denn die Welpen waren dabei, sich ihre Mahlzeit zu holen. Wir sprachen mit ihr und sie klopfte mit dem Schwanz gegen den Boden, was das sichere Zeichen war, dass wir willkommene Gäste seien. Dann aber nahmen wir ein kleines Baby in die Hand, – ein Verstoß gegen alle Hundesitten. Folly kam sofort in höchste Not, ihre Augen glänzten noch feuriger in der dunklen Ecke: Das durfte nicht sein! Sie stand auf und flehte uns förmlich an, das Baby zurückzugeben – was wir sofort mit vielen Zeichen guter Absichten taten. Ich höre immer noch, wie die Hündin richtig vor Not winselte, als wir das kleine Baby in der Hand hatten.