Die Ethik. Baruch de Spinoza

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Название Die Ethik
Автор произведения Baruch de Spinoza
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783843802734



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dies aus der Widersinnigkeit des Gegenteils bewiesen werden. Wenn nämlich eine Substanz von einer anderen hervorgebracht werden könnte, so müsste die Erkenntnis derselben von der Erkenntnis ihrer Ursache abhängen (nach Axiom 4); dann aber wäre sie (nach Definition 3) keine Substanz.

      Lehrsatz 7

      Zur Natur der Substanz gehört es, dass sie existiert.

      Beweis: Die Substanz kann von etwas anderem nicht hervorgebracht werden (nach dem Zusatz zum vorigen Lehrsatz); sie ist daher Ursache ihrer selbst, d.h., ihr Wesen schließt notwendig die Existenz ein, oder zu ihrer Natur gehört das Dasein. W.z.b.w.

      Lehrsatz 8

      Alle Substanz ist notwendig unendlich.

      Beweis: Es kann nicht mehr als eine einzige Substanz von gleichem Attribut vorhanden sein (nach Lehrsatz 5), und zu ihrer Natur gehört die Existenz (nach Lehrsatz 7); folglich muss sie ihrer Natur nach entweder als endlich oder als unendlich existieren. Als endlich aber nicht; denn sie müsste dann (nach Definition 2) von einer anderen Substanz gleicher Natur, die ebenfalls notwendig existieren müsste, begrenzt werden (zufolge Lehrsatz 7); es gäbe also zwei Substanzen von gleichem Attribut, was widersinnig ist (nach Lehrsatz 5). Somit existiert sie als unendlich. W.z.b.w.

      Anmerkung 1: Da endlich sein im Grunde genommen eine teilweise Verneinung, unendlich sein aber die absolute Bejahung des Daseins irgendeiner Natur ist, so folgt also schon aus dem Lehrsatz 7, dass jede Substanz unendlich sein muss.

      Anmerkung 2: Ich bezweifle nicht, dass es allen, die über die Dinge unklar urteilen und nicht gewohnt sind, die Dinge nach ihren ersten Gründen zu erkennen, schwer fallen wird, den Beweis des Lehrsatzes 7 zu begreifen; weil sie nämlich keinen Unterschied machen zwischen den Modifikationen der Substanzen und den Substanzen selbst, und nicht wissen, auf welche Weise die Dinge hervorgebracht werden. Daher kommt es, dass sie den Substanzen einen Anfang andichten, weil sie sehen, dass die Naturdinge einen Anfang haben. Denn diejenigen, die die wahren Gründe der Dinge nicht kennen, werfen alles durcheinander und lassen ohne Widerstreben ihres Geistes Bäume wie Menschen reden und Menschen aus Steinen wie aus Samen entstehen, oder bilden sich ein, es könne sich jede Form in jede beliebige andere verwandeln. So schreiben auch die, die die göttliche Natur mit der menschlichen verwechseln, ohne Bedenken Gott menschliche Affekte zu, besonders solange sie auch nicht wissen, auf welche Weise die Affekte in der Seele entstehen.

      Würden dagegen die Menschen auf die Natur der Substanz genau achten, so würden sie die Wahrheit des Lehrsatzes 7 keinen Augenblick bezweifeln; ja dieser Lehrsatz würde für jeden als Axiom gelten und zu den Gemeinbegriffen gezählt werden. Denn unter Substanz würden sie dann das verstehen, was in sich ist und durch sich begriffen wird, d.h. etwas, dessen Erkenntnis nicht die Erkenntnis eines anderen Dinges nötig hat; unter Modifikationen aber das, was in einem anderen ist und deren Begriff nach dem Begriff des Dinges, in dem sie sind, gebildet wird. Daher auch können wir richtige Ideen von Modifikationen haben, die nicht existieren, weil nämlich, obwohl sie außerhalb des Geistes nicht wirklich existieren, ihr Wesen doch in einem anderen so enthalten ist, dass sie durch dieses begriffen werden können. Die Wahrheit der Substanzen aber ist außerhalb des Geistes nirgends als in ihnen selbst, weil sie durch sich begriffen werden. Wenn also jemand sagen würde, er habe eine klare und deutliche, d.h. wahre Idee von einer Substanz und zweifle trotzdem, ob eine solche Substanz existiere, so wäre das wahrlich ebenso, als würde er sagen, er habe eine wahre Idee und zweifle trotzdem, ob sie nicht falsch sei (wie jedem klar sein wird, der die Sache im rechten Licht betrachtet). So wenn jemand behaupten würde, eine Substanz werde geschaffen, so behauptet er zugleich, dass eine falsche Idee wahr geworden sei. Widersinnigeres als dieses kann wahrlich nicht gedacht werden. Daher muss man notwendig zugeben, dass die Existenz der Substanz, ebenso wie ihr Wesen, ewige Wahrheit sei.

      Wir können hier auch noch auf eine andere Weise den Schluss ziehen, dass es nur eine einzige Substanz von gleicher Natur geben könne, und ich halte es der Mühe wert, dies hier zu zeigen. Um ordnungsgemäß zu verfahren, merke ich folgendes an: 1. dass eine richtige Definition eines jeden Dinges nichts in sich schließt noch ausdrückt als die Natur des definierten Dinges. Daraus folgt 2. dass keine Definition eine bestimmte Zahl von Individuen in sich schließt oder ausdrückt, da sie eben nichts anderes ausdrückt als die Natur des definierten Dinges. Zum Beispiel drückt die Definition eines Dreiecks nichts anderes aus als die einfache Natur des Dreiecks, nicht aber eine bestimmte Zahl von Dreiecken; 3. ist zu beachten, dass es von jedem existierenden Ding irgendeine bestimmte Ursache geben muss, weswegen es existiert; 4. schließlich ist zu beachten, dass diese Ursache, weswegen ein Ding existiert, entweder in der Natur selbst und der Definition des existierenden Dinges enthalten sein muss (weil nämlich das Dasein zur Natur desselben gehört), oder dass diese Ursache außerhalb derselben liegen muss.

      Aus diesen Sätzen folgt, dass, wenn in der Natur irgendeine bestimmte Anzahl von Individuen existiert, es notwendig eine Ursache geben muss, weshalb jene Individuen und weshalb nicht mehr oder weniger existieren. Wenn z.B. in der Natur zwanzig Menschen vorhanden wären (von denen ich, der größeren Deutlichkeit wegen, annehme, dass sie gleichzeitig existieren und dass keine anderen vor ihnen exis­tierten), so wird es nicht genügen (um nämlich den Grund anzugeben, weshalb zwanzig Menschen existieren), die Ursache der menschlichen Natur im allgemeinen darzulegen, sondern es wird außerdem nötig sein, die Ursache darzulegen, weshalb nicht mehr noch weniger als zwanzig existieren; da es (nach Punkt 3) von jedem notwendig eine Ursache geben muss, weswegen es existiert. Diese Ursache kann nun aber (nach Punkt 2 und 3) nicht in der menschlichen Natur selbst enthalten sein, da die wahre Definition des Menschen die Zahl Zwanzig nicht in sich schließt; es muss also (nach Punkt 4) die Ursache, weshalb diese zwanzig Menschen existieren und folglich auch, warum jeder einzelne existiert, notwendig außerhalb eines jeden liegen. Daher muss man unbedingt den Schluss ziehen, dass alles, von dessen Natur mehrere Individuen existieren können, notwendig eine äußere Ursache für sein Dasein haben muss. Da es nun zur Natur der Substanz gehört zu existieren (wie in dieser Anmerkung bereits gezeigt worden), so muss ihre Definition notwendige Existenz in sich schließen, und folglich muss aus ihrer bloßen Definition ihre Existenz geschlossen werden. Dagegen kann aus ihrer Definition (wie bereits in Punkt 2 und 3 dargestellt) nicht die Existenz mehrerer Substanzen folgen. Es folgt somit aus ihr mit Notwendigkeit, dass nur eine einzige Substanz von gleicher Natur existiert, wie im Lehrsatz behauptet wurde.

      Lehrsatz 9

      Je mehr Realität oder Sein jedes Ding hat, desto mehr Attribute kommen ihm zu.

      Beweis: Es erklärt sich dies aus Definition 4.

      Lehrsatz 10

      Jedes Attribut einer Substanz muss durch sich begriffen werden.

      Beweis: Denn ein Attribut ist das, was der Verstand an der Substanz als zu ihrem Wesen gehörig erkennt (nach Definition 4), folglich muss es (nach Definition 3) durch sich begriffen werden. W.z.b.w.

      Anmerkung: Daraus erklärt sich, dass, wenn auch zwei Attribute als tatsächlich verschieden begriffen werden, d.h. eines ohne Zuhilfenahme des anderen, wir daraus doch nicht schließen können, dass sie zwei Wesen oder zwei verschiedene Substanzen bilden. Denn das gehört zur Natur der Substanz, dass jedes ihrer Attribute durch sich begriffen wird, da ja alle Attribute, die sie hat, immer zugleich in ihr gewesen sind und eines vom anderen nicht hervorgebracht werden konnte; jedes einzelne drückt vielmehr die Realität oder das Sein der Substanz aus. Weit entfernt daher, dass es widersinnig wäre, einer Substanz mehrere Attribute zuzuschreiben, ist im Gegenteil nichts in der Natur klarer, als dass jedes Wesen unter irgendeinem Attribut begriffen werden muss und dass, je mehr Realität oder Sein dasselbe hat, es auch desto mehr Attribute hat, die sowohl die Notwendigkeit oder Ewigkeit wie auch die Unendlichkeit ausdrücken. Demzufolge ist auch nichts klarer, als dass das absolut unendliche Wesen notwendig definiert werden muss (wie schon in Definition 6 geschehen) als ein Wesen, das aus unendlichen Attributen besteht, von welchen jedes eine gewisse ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt. Fragt nun aber jemand, an welchem Zeichen wir dann die Verschiedenheit der Substanzen unterscheiden können, so möge er die nachstehenden Lehrsätze lesen, die zeigen, dass in der Natur nur eine einzige Substanz existiert und dass dieselbe absolut unendlich ist; dass also ein solches Zeichen vergebens gesucht würde.

      Lehrsatz 11