Die Ethik. Baruch de Spinoza

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Название Die Ethik
Автор произведения Baruch de Spinoza
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783843802734



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Spinozas Interpretation von laetitia und tristitia lässt sich in eine Reihe stellen mit den Überlegungen antiker Ethik (Epikur) bis zum klassischen Utilitarismus (Bentham, Mill), für die die Übersetzungen Lust und Unlust ebenfalls die passendsten und üblich sind.1

      Die eigentümliche Übersetzung Sterns von modus als Daseinsform wurde rückgängig gemacht, um die drei grundlegenden ontologischen Begriffe Spinozas: Substanz, Attribut, Modus als Fremdwörter gleichzuschalten. Deutsche Begriffe provozieren an dieser Stelle zu große Missverständnisse und würden die Grenze von der Übersetzung zur Interpretation zu weit überschreiten. Beibehalten aber wurde der Sternsche Begriff der Erregung für Affektion; der körperbezogene Gehalt wird damit sehr deutlich.

      Stern hatte gelegentlich ein- und dieselbe Übersetzung für verschiedene lateinische Begriffe gewählt. Hier wurde aus Gründen der Präzision in seine Übersetzung eingegriffen: Differenziert wurden die Übersetzungen der Begriffe vis mit Kraft, potentia mit Macht und potestas mit Gewalt; die Stern-Übersetzung Tätigkeitsvermögen für potentia agendi wurde aber beibehalten – ein immer noch sehr gut passender Begriff, der die alternativen Übersetzungsmöglichkeiten Wirkungsmacht oder Handlungsmacht integriert, zugleich aber den durch den lateinischen Text angezielten Gehalt des Könnens deutlicher hervorhebt. Die Begriffe cupiditas mit Begierde, appetitus mit Trieb und impetus mit Antrieb wurden ebenfalls besser voneinander abgegrenzt.

      Jede Übersetzung ist immer auch eine Interpretation. Bei allen Eingriffen muss doch festgestellt werden, dass die über einhundert Jahre alte Stern-Übersetzung, damals schon ein Markstein, immer noch ein zentraler Orientierungspunkt für jede Neu-Übersetzung oder Übersetzungsbearbeitung der Ethik Spinozas ist.

      Erster Teil der Ethik: Über Gott

      Definitionen

      1 1. Unter Ursache seiner selbst verstehe ich etwas, dessen Wesen die Existenz einschließt, oder etwas, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann.

      2 2. Dasjenige Ding heißt in seiner Art endlich, das durch ein anderes von gleicher Natur begrenzt werden kann. Ein Körper z.B. heißt endlich, weil wir stets einen anderen größeren begreifen. Ebenso wird ein Gedanke durch einen anderen Gedanken begrenzt. Dagegen wird ein Körper nicht durch einen Gedanken noch ein Gedanke durch einen Körper begrenzt.

      3 3. Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch sich begriffen wird; d.h. etwas, dessen Begriff nicht den Begriff eines anderen Dinges nötig hat, um daraus gebildet zu werden.

      4 4. Unter Attribut verstehe ich dasjenige, was der Verstand an der Substanz als zu ihrem Wesen gehörend erkennt.

      5 5. Unter Modus verstehe ich eine Affektion der Substanz; oder etwas, das in einem anderen ist, durch das es auch begriffen werden kann.

      6 6. Unter Gott verstehe ich das absolut unendliche Wesen, d.h. die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen ein jedes ewiges und unendliches Sein ausdrückt.

      7 Erläuterung: Ich sage absolut unendlich, im Gegensatz zu: in seiner Art. Denn was nur in seiner Art unendlich ist, dem können wir unendliche Attribute absprechen. Was dagegen absolut unendlich ist, zu dessen Wesen gehört alles, was Sein ausdrückt und keine Verneinung in sich schließt.

      8 7. Dasjenige Ding wird frei genannt, das allein durch die Not­wendigkeit seiner eigenen Natur existiert und allein durch sich selbst zum Handeln bestimmt wird; notwendig oder vielmehr gezwungen wird ein Ding genannt, das von einem anderen bestimmt wird, auf gewisse und bestimmte Weise zu existieren und zu wirken.

      9 8. Unter Ewigkeit verstehe ich die Existenz selbst, sofern sie aus der Definition des ewigen Dinges allein als notwendig folgend begriffen wird.

      Erläuterung: Denn ein solches Dasein wird als ewige Wahrheit, wie das Wesen des Dinges, aufgefasst und kann daher durch die Dauer oder die Zeit nicht erklärt werden, wenn man auch unter Dauer »ohne Anfang und ohne Ende« versteht.

      Axiome

      1 1. Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem anderen.

      2 2. Was nicht durch ein anderes begriffen werden kann, muss durch sich selbst begriffen werden.

      3 3. Aus einer gegebenen bestimmten Ursache folgt notwendig eine Wirkung, und umgekehrt: wenn keine bestimmte Ursache gegeben ist, kann unmöglich eine Wirkung folgen.

      4 4. Die Erkenntnis der Wirkung hängt von der Erkenntnis der Ursache ab und schließt dieselbe ein.

      5 5. Dinge, die nichts miteinander gemein haben, können auch nicht wechselseitig auseinander erkannt werden oder der Begriff des einen schließt den Begriff des anderen nicht ein.

      6 6. Eine wahre Idee muss mit ihrem Gegenstand übereinstimmen.

      7 7. Was als nicht existierend begriffen werden kann, dessen Wesen schließt die Existenz nicht ein.

      Lehrsatz 1

      Die Substanz ist von Natur früher als ihre Affektionen.

      Beweis: Derselbe erklärt sich aus den Definitionen 3 und 5.

      Lehrsatz 2

      Zwei Substanzen, die verschiedene Attribute haben, haben nichts miteinander gemein.

      Beweis: Derselbe erklärt sich gleichfalls aus Definition 3. Denn jede Substanz muss in sich sein und muss durch sich begriffen werden, oder der Begriff der einen schließt den Begriff der anderen nicht ein.

      Lehrsatz 3

      Von Dingen, die nichts miteinander gemein haben, kann nicht das eine Ursache des anderen sein.

      Beweis: Wenn sie nichts miteinander gemein haben, so können sie (nach Axiom 5) nicht wechselseitig auseinander erkannt werden. Daher kann (nach Axiom 4) das eine nicht die Ursache des anderen sein. W.z.b.w.

      Lehrsatz 4

      Zwei oder mehrere verschiedene Dinge unterscheiden sich voneinander entweder durch die verschiedenen Attribute der Substanzen oder durch die verschiedenen Affektionen derselben.

      Beweis: Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem anderen (nach Axiom 1), d.h. (nach den Definitionen 3 und 5), außer der Erkenntnis gibt es nichts als Substanzen und deren Affektionen. Es gibt folglich außer der Erkenntnis nichts, wodurch mehrere Dinge voneinander unterschieden werden können, als die Substanzen oder, was dasselbe ist (nach Definition 4), ihre Attribute und ihre Affektionen. W.z.b.w.

      Lehrsatz 5

      In der Natur kann es nicht zwei oder mehrere Substanzen von gleicher Beschaffenheit oder von gleichem Attribut geben.

      Beweis: Gäbe es mehrere verschiedene Substanzen, so müssten sie sich entweder durch die Verschiedenheit der Attribute oder durch die Verschiedenheit der Affektionen voneinander unterscheiden (nach dem vorigen Lehrsatz). Wenn allein durch die Verschiedenheit der Attribute, so wird damit zugestanden, dass es nur eine Substanz von gleichem Attribut gibt. Wenn aber durch die Verschiedenheit der Affektionen: da die Substanz von Natur früher ist als ihre Affektionen (nach Lehrsatz 1), so wird sie, von ihren Affektionen abgesehen und für sich betrachtet, d.h. (nach Definition 3 und Axiom 6) richtig betrachtet, als unterschieden von einer anderen nicht begriffen werden können, d.h. (nach dem vorigen Lehrsatz), es kann nicht mehrere Substanzen geben, sondern nur Eine. W.z.b.w.

      Lehrsatz 6

      Eine Substanz kann nicht von einer anderen Substanz hervorgebracht werden.

      Beweis: In der Natur kann es nicht zwei Substanzen von gleichem Attribut geben (nach dem vorigen Lehrsatz), d.h. (nach Lehrsatz 2) die etwas miteinander gemein haben. Darum kann (nach Lehrsatz 3) die eine nicht die Ursache der anderen sein, oder eine kann nicht von der anderen hervorgebracht werden. W.z.b.w.

      Zusatz: Daraus folgt, dass eine Substanz nicht von etwas anderem hervorgebracht werden kann. Denn in der Natur gibt es nichts als Substanzen und deren Affektionen, wie nach Axiom 1 und den Definitionen 3 und 5 klar ist. Von einer Substanz aber kann sie nicht hervorgebracht werden (nach dem vorigen Lehrsatz). Folglich kann eine Substanz von einer anderen Substanz überhaupt nicht hervorgebracht werden. W.z.b.w.