Die Ethik. Baruch de Spinoza

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Название Die Ethik
Автор произведения Baruch de Spinoza
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783843802734



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Als ich erkannte, dass dies bloß geschehen, weil Gott ihnen ein besonderes Land auf dieser Erde ausgewählt, wo sie sicher und gemächlich leben konnten, so erkannte ich auch, dass die von Gott dem Moses offenbarten Gesetze nur das Recht des besonderen jüdischen Staats bezeichnen, weshalb Niemand ausser ihnen sie anzunehmen braucht, und dass selbst Diese nur für die Dauer ihres Reiches daran gebunden waren.

      Um ferner zu wissen, ob man aus der Bibel folgern könne, dass der menschliche Verstand von Natur verderbt sei, so ermittelte ich, ob die katholische Religion oder das göttliche Gesetz, was durch die Propheten und Apostel dem ganzen Menschengeschlechte geoffenbart worden, von der verschieden sei, welche das natürliche Licht lehrt; und ferner, ob Wunder gegen die Ordnung der Natur geschehen sind, und ob das Dasein und die Vorsehung Gottes sicherer und klarer durch Wunder bewiesen werde, als durch die Dinge, welche wir klar und deutlich nach ihren obersten Ursachen erkennen. So fand ich, dass in den ausdrücklichen Lehren der Bibel nichts enthalten ist, was mit dem Verstande nicht übereinstimmt oder ihm widerspricht, und dass die Propheten nur ganz einfache Dinge gelehrt haben, die Jedermann leicht begreifen konnte, und dass sie nur dieselben mit solchen Ausdrücken verziert und mit solchen Gründen unterstützt haben, welche die Gemüter der Menge am meisten zur Ehrfurcht gegen Gott bewegen konnten. Ich überzeugte mich, dass die Bibel die Freiheit der Vernunft völlig unbeschränkt lässt, dass sie nichts mit der Philosophie gemein hat, und dass sowohl diese wie jene auf ihren eignen Füßen steht. Um dies aber zweifellos darzulegen und die Sache zu entscheiden, zeige ich die Art, wie die Bibel auszulegen ist, und wie die ganze Kenntniss von ihr und von den geistlichen Dingen aus ihr allein und nicht aus dem, was man mit dem natürlichen Licht erfasst, abgeleitet werden muss.

      Sodann decke ich die Vorurteile auf, die daraus entstanden sind, dass die Menge, welche dem Aberglauben ergeben ist und die Religion der Zeit mehr als die Ewigkeit selbst liebt, lieber die Bücher der Bibel als Gottes Wort selbst anbetet. Demnächst zeige ich, dass das Wort Gottes nicht in einer bestimmten Zahl von Büchern offenbart ist, sondern die einfache Vorstellung des göttlichen Geistes ist, wie er sich den Propheten offenbart hat, und zwar dahin, Gott mit ganzem Herzen zu gehorchen und die Gerechtigkeit und Liebe zu pflegen. Ich zeige, dass in der Bibel dies gemäß der Fassungskraft und Kenntnis Derer gelehrt wird, denen die Propheten und Apostel das Wort Gottes zu predigen pflegten, und dass sie es so getan haben, damit die Menschen es ohne Widerstreben und mit ganzem Gemüte ergriffen.

      Nachdem ich so die Grundlagen des Glaubens dargelegt habe, folgere ich, dass der Gegenstand der geoffenbarten Erkenntnis nur der Gehorsam sei, und deshalb von der natürlichen Erkenntnis sowohl dem Gegenstande, wie den Grundlagen und Mitteln nach gänzlich verschieden sei, mithin beide nichts mit einander gemein haben, sondern jede ihr Reich ohne alles Widerstreben der andern besitze und keine die Magd der andern zu sein brauche. Da ferner der Geist der Menschen verschieden ist, und dem Einen diese, dem Andern jene Meinung besser gefällt, und da das, was den Einen zum Glauben, den Andern zum Lachen bestimmt, so folgere ich ferner, dass Jedem die Freiheit seines Urteils und das Recht, die Grundlagen des Glaubens nach seiner Einsicht auszulegen, gelassen werden müsse, und dass der Glaube eines Jeden nur nach seinen Werken, ob diese fromm oder gottlos, beurteilt werden dürfe. Denn dann werden Alle von ganzem Herzen und frei Gott gehorchen können, und nur die Gerechtigkeit und Liebe wird bei Allen im Werte stehen.

      Nachdem ich diese Freiheit, welche das geoffenbarte göttliche Gesetz Jedem gewährt, dargelegt, gehe ich zu dem zweiten Teil der Untersuchung über und zeige, dass diese Freiheit auch ohne Gefahr für den Frieden des Staats und die Rechte der höchsten Staatsgewalt bewilligt werden kann, ja muss, und ohne Gefährdung des Friedens und ohne Schaden für den Staat nicht genommen werden kann. Ich beginne zum Beweise dessen mit dem natürlichen Rechte jedes Einzelnen. Dies erstreckt sich so weit, als sein nach dem Naturrecht gehalten, nach eines Andern Willen zu leben, sondern Jeder ist Herr über seine Freiheit. Ich zeige ferner, dass Niemand dieses Rechtes verlustig geht, ausser wenn er seine Macht, sich zu verteidigen, auf einen Andern überträgt, und dass Derjenige notwendig und unbedingt dieses natürliche Recht erhalte, auf den der Andere das Recht, nach seinem Willen zu leben, zugleich mit der Macht, ihn zu verteidigen, übertragen hat. Damit zeige ich, dass die Inhaber der höchsten Staatsgewalt ein Recht auf Alles haben, so weit ihre Macht reicht; dass sie allein die Bewahrer des Rechts und der Freiheit sind, und dass die Übrigen in ihrem ganzen Handeln nur die Anordnungen Jener zu befolgen haben. Allein da Niemand sich der Macht, sich zu verteidigen, so begeben kann, dass er ein Mensch zu sein aufhört, so folgere ich daraus, dass Niemand seines natürlichen Rechtes ganz beraubt werden kann, und dass die Untertanen Manches gleichsam nach dem Naturrecht behalten, was ihnen ohne grosse Gefahr für den Staat nicht genommen werden kann, und was ihnen deshalb entweder stillschweigend zugestanden wird, oder was sie Denen gegenüber, die die Staatsgewalt inne haben, ausdrücklich sich vorbehalten.

      Nach diesen Betrachtungen gehe ich auf den jüdischen Staat über und zeige, auf welche Weise und durch welche Beschlüsse die Religion hier die Kraft eines Gesetzes zu erhalten begann, und erwähne da nebenbei auch noch Anderes ausführlich, was des Wissens wert ist. Demnächst zeige ich, dass die Inhaber der höchsten Staatsgewalt nicht bloß die Bewahrer, sondern auch die Ausleger, sowohl von dem bürgerlichen wie von dem geistlichen Recht sind, und dass sie allein befugt sind, zu bestimmen, was recht und unrecht, was fromm und gottlos sein soll. Endlich schließe ich damit, dass dieses Recht am besten bewahrt und diese Herrschaft sicher erhalten werde, sofern nur Jedem das, was er will, zu denken, und das, was er denkt, zu sagen gestattet ist.

      Dies biete ich den philosophischen Lesern zur Prüfung. Ich hoffe, sie werden es gern aufnehmen, da der Gegenstand sowohl des ganzen Werks wie der einzelnen Kapitel bedeutend und nutzbringend ist. Ich würde noch mehr sagen, allein diese Vorrede soll nicht zu einem Bande anschwellen, und das Hauptsächlichste ist ja bereits dem Philosophen genügend bekannt, während es nicht meine Absicht ist, den Übrigen diese Abhandlung zu empfehlen, da ihnen schwerlich darin etwas in irgend einer Beziehung gefallen wird. Denn ich weiß, wie hartnäckig gerade die Vorurteile dem Geist anhaften, die unter dem Schein der Frömmigkeit aufgenommen worden sind, und ich weiss auch, dass es gleich unmöglich ist, der Menge den Aberglauben wie die Furcht zu benehmen; ich weiss endlich, dass die Hartnäckigkeit der Menge zähe ist, und dass sie sich nicht durch die Vernunft leiten, sondern durch die Leidenschaft zum Lob und Tadel hinreißen lässt. Ich lade deshalb den großen Haufen und Alle, welche die gleichen Leidenschaften mit ihm hegen, zum Lesen dieser Schrift nicht ein, vielmehr ist es mir lieber, sie legen sie ganz bei Seite, als dass sie sie wie Alles verkehrt auslegen und damit lästig fallen. Sie haben dann davon keinen Nutzen und schaden Anderen, die freisinniger philosophieren würden, wenn sie nicht meinten, die Vernunft müsse die Magd der Theologie bleiben; denn Diesen würde sicherlich dieses Werk von großem Nutzen sein.

      Endlich haben vielleicht Viele weder die Müsse noch die Absicht, die ganze Schrift durchzulesen; ich muss deshalb hier ebenso, wie es am Schluss derselben geschehen ist, erinnern, dass ich Alles, was ich schreibe, gern und willig dem Urteil der höchsten Staatsgewalt meines Vaterlandes unterbreite. Sollte diese finden, dass das, was ich sage, im Widerspruch mit den Gesetzen des Landes stehe oder dem allgemeinen Wohl Schaden bringe, so will ich es nicht gesagt haben; denn ich weiß, dass ich ein Mensch bin und irren kann. Indes habe ich mich ernstlich vor Irrtümern zu bewahren gesucht und vor Allem gesorgt, dass Alles, was ich schrieb, mit den Gesetzen meines Landes, mit der Frömmigkeit und den guten Sitten durchaus übereinstimme.

      Anmerkungen des Übersetzers

      Die aus dem Jahre 1887 stammende, verdienstvolle Übersetzung von Spinozas Ethik durch Jakob Stern wurde für die Neuausgabe an vielen Stellen dem gegenwärtigen Sprachgebrauch angepasst sowie inhaltlich präzisiert, wobei unzutreffende oder uneinheitliche Übersetzungen korrigiert wurden. Der Leitgedanke der Überarbeitung war, den Duktus der Stern-Übersetzung beizubehalten und dabei behutsam vorzugehen unter dem Motto: soviel wie nötig, sowenig wie möglich. Die alte Rechtschreibung wurde deshalb dort, wo sie weiterhin gestattet ist, angewandt.

      Die Übersetzungen Lust für laetitia und Unlust für tristitia wurden beibehalten, die der Intention des Textes eher entsprechen dürften als Freude und Trauer, die in aktuellen Übersetzungen bevorzugt werden. Die Begriffe Freude und Trauer sind zu eng geführt, provozieren Zweideutigkeiten und transportieren zu wenig vom Bedeutungsumfang,