Die Ethik. Baruch de Spinoza

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Название Die Ethik
Автор произведения Baruch de Spinoza
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783843802734



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es daher ist, die Menschen in jede Art von Aberglauben einzufangen, so schwer ist es, sie in demselben festzuhalten. Die Menge, die immer gleich elend bleibt, mag deshalb niemals lange bei einem Aberglauben aushalten; nur das Neue gefällt ihr am meisten, was noch nicht betrogen hat. Aus dieser Unbeständigkeit sind viele Aufstände und verheerende Kriege hervorgegangen; denn, wie aus dem Obigen erhellt, und Curtius B. IV. Kap. 10 treffend sagt: »Nichts regiert die Menge wirksamer als der Aberglaube.« Deshalb lässt sie unter dem Schein der Religion sich verleiten, bald ihre Könige wie Götter anzubeten und bald wieder zu verwünschen und als die gemeinsame Pest des Menschengeschlechts zu verfluchen.

      Um diese Übel zu vermeiden, hat man mit unendlicher Sorgfalt die wahre oder falsche Religion im äussern Gottesdienst und den Gebräuchen so ausgeschmückt, dass sie allen Verleitungen überlegen blieb und im höchsten Gehorsam von Allen gepflegt wurde. Am besten ist dies den Türken gelungen, die sogar alles Streiten darüber für Unrecht halten und den Verstand des Einzelnen mit so viel Vorurteilen beladen, dass in der Seele für die gesunde Vernunft kein Platz, nicht einmal für den Zweifel, übrig bleibt.

      Wenn es in monarchischen Staaten als das wichtigste Geheim­mittel gilt, und es da vor Allem darauf ankommt, die Menschen im Irrtum zu erhalten und die Furcht, mit der man sie bändigt, unter dem glänzenden Namen der Religion zu verhüllen, damit sie für ihre Sklaverei, als wäre es ihr Glück, kämpfen und es nicht für schmählich, sondern für höchst ehrenvoll halten, ihr Blut und Leben für den Übermut eines Menschen einzusetzen: so kann doch für Freistaaten nichts Unglücklicheres als dies erdacht und versucht werden, da es der allgemeinen Freiheit geradezu widerspricht, wenn das freie Urteil des Einzelnen durch Vorurteile beengt oder sonst gehemmt wird. Jene Aufstände aber, die unter dem Schein der Religion erregt werden, entspringen nur daraus, dass man über spekulative Fragen Gesetze erlässt, und dass bloße Meinungen wie Verbrechen für strafbar erklärt und verfolgt werden. Die Verteidiger und Anhänger solcher Meinungen werden nicht dem Wohle des Staats, sondern nur der Wut und dem Hasse der Gegner geopfert. Wenn nach dem Rechte eines Staates nur Handlungen verfolgt würden, Worte aber für straflos gälten, so könnten solche Aufstände mit keinem Rechtsvorwande beschönigt werden, und blosse Streitfragen würden sich in keine Aufstände verwandeln.

      Da ich das seltene Glück geniesse, in einem Freistaate zu leben, wo Jeder die volle Freiheit des Urteils hat, wo er Gott nach seiner Überzeugung verehren darf, und wo die Freiheit als das teuerste und liebste Besitztum gilt, so schien es mir kein undankbares noch unnützes Unternehmen, wenn ich zeigte, dass diese Freiheit nicht bloß ohne Schaden für die Frömmigkeit und den Frieden des Freistaats gewährt werden kann, sondern dass sie auch nicht aufgehoben werden kann, ohne gleichzeitig diesen Frieden und die Frömmigkeit aufzuheben. Dies ist es hauptsächlich, was ich in dieser Abhandlung darzulegen mir vorgesetzt habe. Zu dem Ende muss ich die erheblichsten Vorurteile in Betreff der Religion, d.h. die Spuren einer alten Knechtschaft andeuten; ebenso aber auch die Vorurteile in Betreff des Rechts der höchsten Staatsgewalt, welches Viele in ausgelassener Frechheit sich zum grossen Teile anmassen, um unter dem Schein der Religion die Gesinnungen der Menge, die noch dem heidnischen Aberglauben ergeben ist, davon abzuwenden und Alles wieder in die Knechtschaft zurückzustürzen. Die Ordnung, in der ich dies ausführen will, werde ich mit wenig Worten angeben; vorher aber möchte ich die Gründe mitteilen, die mich zu dieser Schrift bestimmt haben.

      Ich habe mich oft gewundert, wie Menschen, die sich rühmen, der christlichen Religion, also der Liebe, der Freude, dem Frieden, der Mäs­sig­keit und der Treue gegen Jedermann, zugetan zu sein, vielmehr in Unbilligkeit mit einander kämpfen und täglich den erbittertsten Hass gegen einander zeigen können. Man kann deshalb die Gesinnung des Einzelnen eher aus solchem Benehmen als aus jener Religion entnehmen, und es ist längst so weit gekommen, dass man die Christen, Türken, Juden und Heiden nur an ihrer äusseren Tracht und Benehmen, oder nach dem Gotteshause, was sie besuchen, oder nach den Meinungen, an denen sie festhalten, und dem Lehrer, auf dessen Worte sie zu schwören pflegen, unterscheiden kann, während der Lebenswandel selbst bei Allen der gleiche ist. Indem ich den Ursachen dieses Übelstandes nachspürte, schien er mir unzweifelhaft daraus entstanden zu sein, dass es bei der Menge als Religion galt, wenn die Ämter der Kirche als Würden, ihr Dienst als ein Einkommen behandelt, und ihre Geistlichen mit Ehren überhäuft wurden. Als dieser Missbrauch in der Kirche begann, so wurden gerade die schlechtesten Personen von der Leidenschaft erfasst, die heiligen Ämter zu verwalten; der Eifer in Ausbreitung der göttlichen Religion artete in schmutzigen Geiz und Ehrsucht aus; der Tempel selbst wurde damit zu einer Schaubühne, wo man nicht die geistlichen Lehrer, sondern Redner hörte, denen es nicht auf Belehrung des Volkes ankam, sondern die nur bewundert sein und die Andersdenkenden öffentlich bloßstellen wollten. Man lehrte nur das Neue und das noch nicht Gehörte, was die Menge am meisten mit Staunen erfüllte. Daraus musste notwendig viel Streit, viel Neid und Hass entstehen, der durch keinen Zeitverlauf besänftigt werden konnte.

      Es ist daher natürlich, dass von der alten Religion nur die äusseren Gebräuche geblieben sind, in denen die Menge Gott mehr zu schmeicheln als anzubeten scheint, und dass der Glaube jetzt in Leichtgläubigkeit und Vorurteile sich umgewandelt hat; und in welche Vorurteile! In solche, die den vernünftigen Menschen zu einem Tiere machen, die verhindern, dass man sein Urteil frei gebrauche und das Wahre von dem Falschen unterscheide, und die absichtlich dazu ausgedacht sind, das Licht des Verstandes völlig zu verlöschen. Die Frömmigkeit, o unsterblicher Gott! und die Religion bestellt aus verkehrten Geheimmitteln; wer die Vernunft gänzlich verachtet und den Verstand wegen seiner natürlichen Verderbniss verwirft und verabscheut, der gilt, – und das ist das Härteste, – als der Inhaber des göttlichen Lichts. Wenn sie nur einen Funken des göttlichen Lichts hätten, könnten sie nicht so frech wahnwitzige Reden führen, sondern würden lernen, Gott klüger zu verehren; nicht durch Hass, sondern durch Liebe würden sie vor den Übrigen sich auszeichnen; nicht mit feindlicher Gesinnung würden sie Andersdenkende verfolgen, sondern sich ihrer vielmehr erbarmen, in Sorge um deren Heil und nicht um die eigne Macht.

      Auch würde ihre Lehre es zeigen, wenn sie etwas von dem göttlichen Licht besässen; allein ich sehe wohl, dass sie die tiefsten Geheimnisse der Bibel immer auf das Höchste bewundert haben, aber gelehrt haben sie nichts, ausser die Aristotelische und Platonische Philosophie, welche sie überdem, damit es nicht scheine, sie folgten den Heiden nach, der Bibel angepasst haben. Sie begnügten sich nicht, mit den Griechen wahnwitzig zu reden; sie wollten auch, dass die Propheten dasselbe getan. Dies zeigt, dass sie die Göttlichkeit der Bibel nicht einmal im Traum erkannt haben. Je mehr sie deren Geheimnisse anstaunen, desto mehr zeigen sie, dass sie an die Bibel nicht glauben, sondern ihr nur beitreten. Dies erhellt auch daraus, dass man für deren Verständnis und die Ermittelung des wahren Sinnes in der Regel als Grundsatz hinstellt, die Bibel sei überall wahrhaftig und göttlich. Ein solcher Satz sollte nur in Folge deren Verständnisses und als Ergebniss einer strengen Prüfung aufgestellt werden; aber statt dessen stellen sie gleich an der Schwelle als Regel der Auslegung das hin, was weit besser erst aus der Bibel abgeleitet werden könnte, die der menschlichen Erdichtungen nicht bedarf.

      Indem ich so bei mir erwog, wie das natürliche Licht nicht bloß verachtet, sondern von Vielen selbst als Quelle der Gottlosigkeit verdammt wird; wie menschliche Erdichtungen für göttliche Lehren gelten; wie die Leichtgläubigkeit für Glauben gehalten wird; wie die Streitigkeiten der Philosophen in der Kirche und im Rathause mit der grössten Leidenschaft verhandelt werden, und daraus wütender Hass und Unfriede, der die Menschen selbst bis zu dem Aufstande treibt, und Anderes entsteht, das hier aufzuzählen zu lang sein würde: so beschloss ich, ernstlich die Bibel von Neuem mit vollem und freiem Geiste zu prüfen und nur das von ihr zu behaupten und als ihre Lehre zuzulassen, was unzweifelhaft aus ihr sich ergibt.

      Mit solcher Vorsicht habe ich mein Verfahren für Auslegung der heiligen Schriften eingerichtet, und auf solches gestützt, habe ich vor Allem ermittelt, was die Weissagung sei, und in welcher Weise Gott sich den Propheten geoffenbart habe, und weshalb diese von Gott erwählt worden; ob es wegen der erhabenen Gedanken geschehen sei, die sie von Gott und von der Natur gehabt, oder bloß um ihrer Frömmigkeit willen. Nachdem ich hierüber Gewissheit erlangt, konnte ich leicht erkennen, dass das Ansehn der Propheten nur in den Dingen Bedeutung hat, welche den Lebenswandel und die wahre Tugend betreffen, und dass im Übrigen ihre Ansichten uns nicht berühren.

      Nach