Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Ellbogen auf die Tischecke und sagte so leise, daß es wie eine gütige Anrede aussah, und so laut, daß es alle Umsitzenden hören konnten: »Thu’ mir’s sagen, Baumhackel, wo bist Du denn gestern früh Morgens gewesen?«

      »Ich? Gestern früh Morgens?« entgegnete der Kleine und machte ein krummes Auge, »kümmert’s Dich was? Ein ordentlicher Mensch wird wohl in der Kirchen gewesen sein.«

      »Hast schon Recht,« hierauf der Lange, »wenn’s nur im Evangeli stünde, daß Du ein ordentlicher Mensch bist!«

      Darauf lachten die Leute. Der kleine Baumhackel jedoch blieb ernsthaft, machte einen langen Hals gegen den Langen und sagte: »Wie weißt denn Du das, Stoß-Nickel, daß es nicht im Evangelibuch steht? Du hast Dein Lebtag nicht hineingeschaut.«

      »Da braucht man auch nur Dich anzuschaun, und das habe ich gestern ums Sonnenaufgehen, wie wir uns draußen bei der Trachbrucken begegnet sind. Und da muß ich wohl sagen: Wenn Du so andächtig den Rosenkranz gerieben hast, daß dabei Deine Finger sind blutig worden, so mußt Du schon ein höllisch frommer Christ sein.«

      Wie die Umsitzenden und Umstehenden bisher über den Wortwechsel gelacht haben, so wurden sie plötzlich still.

      Dem Baumhackel quollen die Augen hervor; er machte eine Geste, daß man seine beiden Hände sehen konnte und versetzte dem Stoß-Nickel: »Brauchtest über das Rosenkranzbeten just nicht so zu spötteln.«

      »Ja, heute hast sie freilich gewaschen, Deine Klauen,« sagte der Nickel, »aber die Hirschlederne hast heute nicht an, und ich will nicht selig werden, wenn auf der nicht heute noch die rothen Flecken sind, die ich gestern ums Sonnenaufgehen so schön gesehen habe.«

      Das war genug, die Leute drängten sich lauernd um den kleinen Baumhackel; dieser wurde todtenblaß bis über die Lippen – und das war mehr als genug.

      In den nächsten Minuten schon war es ausgeschrien im Dörfchen: »Der kleine Baumhackel hat ihn umgebracht!«

      Es war unglaublich, und die besonneneren Männer, der Feuerwart darunter, beruhigten die Leute und suchten sie zu überzeugen, daß dem kleinen Flänk so was nie und nimmer zuzutrauen sei. Aber die alten Weiber: »Geht’s weg! Dem schaut so was gerade gleich! Dem habe ich schon lange nicht ‘traut, das ist ein Schlechtling, das! Wie man nur nicht gleich auf den gekommen ist! Gar keine Frag’, kein Anderer hat’s gethan, wie der! Und schilt voreh selber noch über den Mörder wie ein gerupfter Spatz, dieweilen der Lump in seiner eigenen Haut steckt. Du elendlicher Spitzbub’, Du!«

      Als nun der Faun von Trawies inne wurde, hier drehe sich etwas Unbehagliches um seinen bluteigenen Hals, da goß er rasch den Rest von seinem Kruge durch diesen Hals, stieß den Krug auf den Tisch, daß es schrillte, sprang hart vor die Nase des Stoß-Nickel und schrie:

      »Verdächtigen willst mich, Du Wicht, Du Nichtsnutziger! Wo hast an mir Blut gesehen? leicht ist Dir die Prügelsuppen von Deinen hungrigen Weibern noch im Aug’ gewesen. Weil Du Deine Erste zu früh todtgeprügelt hast, so reitet Dir der Teufel jetzt zwei auf einmal zu. Dein Heidenleben ist es gewesen, Du Wildbock, das den Pfarrherrn so gegen die Trawieser Leut’ aufgebracht hat, und Deine Red’ ist es gewesen! weißt Du, am Sonnwendtag da beim Bach unten – Deine Red’, wie Du gesagt hast: Den da oben – gegen das gemauerte Haus ist Dein Deuten gewesen, man hat sich leicht mögen denken, wen Du gemeint hast – Den da oben sollt’ Einer in der Still’ wegputzen, hätt’ die Narrheit ein End’. – Hast es nicht gesagt, Stoß-Nickel? Leugne es, wenn Du kannst! – Und einen Andern willst einreiten! ‘leicht hast es Du gethan! – Na, spring her, spring her! Will Dir’s nur weisen, daß ich es so gut von Dir kunnt ausschreien, als wie Du von mir. Thu’s aber nicht, weil ich gleich wohl weiß, daß Du mir ums Sonnaufgehen, wie ich von der Kirche heimgeh’, weit draußen bei der Trachbrucken begegnet bist. Bedenk’s Dir, Nickel, ich bin dein einziger Zeuge, daß Du selb’ Stund’ vom Tärnwald bist hergegangen! Bedenk’s Holzriesner, und sei still!«

      Dem kleinen Baumhackel, der sich das Gesicht krebsroth und die Kehle heiser geschrien hatte, wurde bedeutet, still zu sein. Daneben standen die Landwächter, fingen jetzt seine Arme und legten ihm ein Eisenschloß an die Hände.

      So bewegte sich der Auftritt ins Freie und der kleine Baumhackel schrie und beschwor Himmel und Hölle, daß sie ihm zu Hilfe kämen und seine Unschuld bezeugten. Aber es war, als ob die Häscher gar keine Ohren hätten, hingegen um so stärkere Arme und Ellbogen. Endlich wurde der kleine in einem Kellergewölbe des Pfarrhofs aufbewahrt, bis am Nachmittage vom Baumhackel-Häuschen am Gestade die Untersuchungsmänner zurückkamen und die Bestätigung brachten: an der Hirschhauthose des Baumhackel seien wirkliche Blutspuren zu sehen. »Jetzt hilft Dir nichts mehr.« blinzelte der Sandhock dem Kleinen zu, als dieser zum weiteren Verhöre ins Wirtshaus gezerrt wurde, welches heute so voll war, daß die Leute auf Bänken und Tischen stehen mußten.

      »Man möchte dem kleinen Kerl so was gar nicht zutrauen!«

      »Der Große ist gut weg.«

      »Und der Kleine wird auch gut weg sein. Ist kein Schade.«

      So flüsterten die Leute.

      Etliche waren zugegen, die hätten reden können, aber denen war der Mund versiegelt. Der Waldhüter empfand dieses Siegel am peinlichsten. Jetzt schwieg er noch, aber, dess’ war er entschlossen, ehevor er den eigenen Bruder hängen läßt ...

      Mittlerweile war aus Neubruck auch ein Gerichtsbeamter angekommen, der redete dem nun allverzagten Baumhackel ganz gütig zu, er möge auf die Fragen kurz und wahr antworten und alles offen gestehen, das sei der beste und kürzeste Weg –

      »Zum Galgen!« rief Einer am Ofentische.

      Nicht an sein irdisches Los möge der Angeklagte jetzt denken; jedes Menschen Leben stehe in Gottes Hand; aber jener Welt möge er sich erinnern, wo nur der wahrhaft reumüthige Bekenner Erbarmen und Gnade hoffen könne.

      Der kleine Baumhackel barg sein Gesicht in den Winkel seines Ellbogens und weinte.

      Fürs Erste möge er sagen, wo er das Werkzeug habe. Mit einer Hacke sei es geschehen.

      Hacke hätte er gar keine gehabt, schluchzte der Kleine, nur ein Messer.

      Wo das Messer wäre?

      Das wäre noch oben in Freiwild’s Sommerstadl. Aber an dem Pfarrermord sei er unschuldig, so wahr die heilige Dreifaltigkeit im Himmel säße. Wenn er schon sagen müsse, woher das Blut rühre: dem Freiwild auf der Höhe habe er in der Sturmnacht einen feisten Schöps aus dem Stalle geführt und im Sommerstadl geschlachtet.

      »Was redet er von mir?« stand fragend am Nebentisch ein rothbärtiger Mann auf. Der Freiwild war’s, der Bauer auf der Höhe.

      »Er sagt aus, daß das Blut von einem Schöps herrühre, den er dem Freiwild aus dem Stalle geführt habe. Ist das wahr?«

      »Aus meinem Stall – einen Schöpsen?« rief der Rothbärtige, »so schaut’s aus! – – meine lieben Herren, da kann ich heute gar nichts sagen, mir ist kein Schöps aus dem Stalle gekommen.«

      »Lügenmaul, Du!« fuhr der kleine Baumhackel auf, »oder bist Du so reich, daß Du es nicht merkst, wenn Dir Schafe gestohlen werden? Ist gut für Dich und für mich.«

      »Da müßt’ ich erst nachschauen,« versetzte der Freiwild mit aller Ruhe, »heute kann ich gar nichts sagen.«

      Das Verhör mußte geschlossen werden. Der Baumhackel wurde in sein Gewölbe zurückgeführt, das für einen einfachen Schafdieb schier etwas zu finster und zu frostig war. Der Freiwild auf der Höhe, der so wohlhabend war, daß er nicht einmal seine Schafherde zählte, gewann bei Vielen außerordentlich an Respect. Andere jedoch meinten, der ganze Schafdiebstahl sei nichts als eine windige Ausflucht vom Baumhackel, der lieber sitzt als hängt.

      Als der Freiwild seines Weges ging, eilte ihm der Sandhock nach und sagte: »Schau, Freiwild, dem armen Teufel könntest Du jetzt aus der Klemme helfen. Man mag’s , wie der Will’, und Du denkst Dir’s selber: ein gutes Werk ist doch geschehen gestern Früh in der Kirche. – Hilf ihm aus. Laß’ Dir den Schöps gestohlen sein.«