Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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er.

      »Ah, des Raubmordes wegen,« fiel der Bart vom Tärn ein, »ja gut, daß Ihr da seid. Ganz Trawies ist aus Rand und Band. Wir sind, wie Ihr seht, eben beisammen, um zu berathen, was vor Allem zu geschehen hat. Schier haben wir selbst den Kopf verloren. Ein solches Unheil, Herr Gerichtsbot’!«

      »Zuvörderst hat gar nichts zu geschehen, als das Protokoll aufzunehmen,« sagte der Bote im gemessenen Amtstone, sich in seiner wichtigen Mission weidlich streckend, »im Namen des Gerichtes seid Ihr aufgefordert, hierin nach heiligem Wissen und Gewissen unseres Dienstes zu sein. Wir verfügen uns sofort an den Ort der That.«

      Die Männer standen auf. Der Feuerwart blies die eine Kerze aus, mit der anderen leuchtete er die Treppe hinab. Seine Züge waren fast entstellt. Mehrere stahlen sich davon. Von diesen bemerkte einer: »Hockt uns richtig schon im Nest!«

      »Wer?«

      »Der Teufel.«

      »Du meinst des Gerichtsboten wegen. Der schreckt mich aber gar nicht. Wenn es die Herren zu Neubruck nicht einmal der Mühe werth halten, daß von ihnen Einer selbst kommt, sondern sie nur den Boten schicken, das Protokoll aufzunehmen, nachher denke Dir’s, wie groß ihnen die Sache stehen mag.«

      »Du trau’ nicht! Bedenk’ den wilden Schneehaufen jetzt. Wenn Du der Landvogt bist draußen zu Neubruck und es heißt: den Trawieser Pfarrherrn hätten sie heut’ erschlagen, ich stell’ mich auf die Wag’, daß Du Dir denkst: Bei so einem Höllengestöber jagt man keinen Hund nach Trawies. Ich werde nachschauen, bis der Weg fahrbar ist. Einstweilen schicke ich den Boten voraus. Verlaß Dich d’rauf, er kommt noch selber.«

      »Nachher geht’s uns nicht gut.«

      Der Bart vom Tärn, der Firner-Hans und der Feuerwart gingen mit den Gerichtspersonen gegen das Dörfchen hinab und zur Kirche hinan.

      Der Gerichtsbote blickte suchend um sich und fragte endlich:

      »Wo ist er denn, der Todte?«

      »Den haben wir ja in den Pfarrhof getragen, daß er zu einer würdigen Aufbahrung gekommen ist.«

      »Wer hat Euch gesagt, daß Ihr den Todten solltet von der Stelle tragen?« fuhr der Bote scharf drein.

      »Gesagt?« entgegnete der Feuerwart, »so viel wird Einer doch selber verstehn, daß er da nicht liegen bleiben kann.«

      »Schon so alt, Weißbucher, und immer noch nicht wissen, daß man an einem Thatort nicht ein Tüpfel ändern darf, bevor die gerichtliche Untersuchung stattgefunden hat!«

      »Das mag wohl ein Gerichtsbot’ wissen,« redete der Firner-Hans drein, »Einer der gleich überall dabei sein muß, wie der Rab’ beim Aas. Wir Waldleute können es nicht so genau wissen, was der Brauch ist, wenn Einer abgeschlachtet wird –«

      »Das verbiet’ ich mir, Du Malefiz-Mensch! Wo ich jetzt steh, da stehe ich im Namen des hohen Gerichtes!«

      »Nein, thut Euch nicht erhitzen, Männer,« beschwichtigte der Bart vom Tärn. »Ihr habt manches Schöppel getrunken zu Trawies, das Euch nicht in den Beutel gezwickt hat. Bot’, so werdet es uns auch nicht so streng aufmessen, wenn wir in unserer Unwissenheit as Unrechtes gethan haben. Ihr hättet es sehen sollen, wie schreckbar er dagelegen ist, Herr Jesus, den Graus vergeß ich meiner Tage nicht! Die Leute, die ihn gesehen haben, sind schier wahnsinnig worden und haben geschrien nach einer christlichen Bahre.«

      »Die Kirche hätte in den ersten Stunden geschlossen werden sollen,« belehrte der Gerichtsbote, da sie das Gotteshaus verließen, »mit dem Beten ist’s in diesen Mauern nun wohl doch für alle Zeit vorbei, – Was machen denn die Leute dort am Rain?«

      »Das Grab machen sie,« antwortete der Feuerwart.

      »Für wen?«

      »Nu eben für –« er wies mit dem Daumen gegen den Pfarrhof.

      Der Bote blieb stehen und sagte: »Liebe Leute, wenn Ihr in Allem so eigenmächtig handelt, dann haben die Klagen Eures Pfarrherrn einen guten Grund gehabt. Nicht ein todtgeborenes Kind dürfet Ihr selbstmächtig begraben. Und erst ein solcher Fall! Ich hafte dafür und Ihr haftet dafür, daß von diesem Augenblicke an dem Todten nicht ein Haarfaden angerührt werden! Voreh muß Vieles geschehen, ich sage Euch: Der kommt vor Wochen und Tagen nicht in die Erden!«

      Schweigend schritten sie die finstere Treppe hinan zur Wohnung des Pfarrherrn. Aus der offenen Thür leuchtete der Schein vieler Kerzen. Dieselben umstanden ein Gerüste, auf welchem ein Körper lag, der mit einem grauen Tuche ganz bedeckt war. Nur zu Füßen ragten die Stiefelspitzen hervor; zu Häupten stand, fast bis an die Decke der Stube ragend, ein großes Kreuzbild.

      Betschemel waren vorgerückt, aber kein Beter war da, das ganze Haus war leer und kalt. Keiner der Männer von Trawies schritt vor, um den Todten zu enthüllen. Der Gerichtsbote selbst mußte es thun, schrak aber mit dem Rufe: »Jesus Maria!« heftig zurück. Selbst die beiden Landwächter waren blaß geworden.

      »Für uns ist da jetzund nicht zu thun,« sagte nach einer Pause der Gerichtsbote, »löscht die Lichter aus, verschließt das Zimmer und das Haus.«

      Das Gestöber hatte sich erschöpft, ein kalter Sternenhimmel mit dem aufsteigenden Monde stand über der weißen Berglandschaft. Der Gerichtsbote in Begleitung der Wachen schritt an der Trach dahin. Es begann die Fahnde nach dem Verbrecher.

      Ein heiterer Wintermorgen voll Blinken und voll Glitzern. In der Farbe der freudenreichen Unschuld liegt des Winters lilienreiner Mantel über den Bergen, die in das Blau der Himmelsglocke ragen. Die Mauern von Trawies, die sonst hell im Grünen schimmerten, stehen jetzt wie graue Würfel im lichten Schnee. Aber das Auge des Erzählers kann sich nicht freuen an diesem Glanze, es ist verschleiert von dem Schatten der unseligen Nacht; im Geiste sieht es das Verhängniß, welches mit geschäftigen Fingern aus dieser Nacht zarte, dunkle Fäden spinnt. Durch das Meer des Lichtes ziehen diese Fäden von Haus zu Haus, von Hütte zu Hütte, ja von Baum zu Baum und von Stein zu Stein, und verschlingen und verweben sich zu immer dichteren Schleiern, bis sie die Sonne verdecken und die Zukunft, welcher auch zu Trawies jedes junge Herz entgegenlachen will, mit schwarzem Flor verhüllen.

      Nur wenige dieser Fäden spannen sich gleich anfangs so stramm, daß sie reißen und ein geangeltes Menschenkind wieder frei wird. – Doch an solchem Tage der Unruhe und des inneren Aufruhrs ist keine Zeit für Betrachtungen. Seht die Rotte, die dort aus dem Wirthshause strömt! Der kleine Baumhackel ist in der Klemme, der kleine Baumhackel mit seinen großen Kinnbacken und seinem kegelspitzen Haupte, der kleine Ausbund von Verschlagenheit und Bosheit, der Faun von Trawies mit den kurzen Beinen und den langen Fingern, der behende Zwerg mit den Schafsaugen, mit den Hasenfüßen und mit dem Fuchsschweif, dem so viele Sünden auf der gelben Stirne geschrieben stehen, als Platz haben, und dem nirgends beizukommen gewesen – dieser kleine Baumhackel war jetzt in der Klemme.

      Gestern, bis spät in die Nachtstunde hinein, war er im Wirthshause gesessen und hatte mit den Anderen spintisirt über den Mord in der Kirche.

      Die Nacht hatte er in der Wirthsstube unter der Ofenbank verschlafen, weil auf derselben ein Anderer lag, den auch das Heimgehen verdrossen hatte. Heute Früh, da sich die Stube wieder füllte, begann das Spintisiren neuerdings. Der kleine Baumhackel war der Lauteste dabei. – Den – den Mörder nämlich – wenn er, der kleine Baumhackel – erwischen thät’! »Aufhängen! Bei den Füßen auf den Kirchthurm hängen! Aus der Haut Riemen schneiden, für den neuen Pfarrherrn Schuhriemen! – Gehört ihm nichts Anderes! Geht her und haut Einem den Kopf auseinander! So ein Pölli! Möcht’ wissen, wie ihm so was selber thät’ taugen! Und noch dazu an dem heiligen Ort, daß uns die ganz’ Kirchen verschandirt ist jetzunter! Erzschurk’, vermaledeiter!«

      Auf solche Entrüstung hinkte der Stoß-Nickel zu Baumhackel’s Tisch herbei. Der Stoß-Nickel, Holzriesner aus dem Tärn, war schon seit lange nicht der beste Freund des Baumhackel, sie hatten kein »gerades Zusammensehen«; nicht just, weil der Eine so lächerlich klein war, und der Andere so heidenmäßig lang, als vielmehr, weil sich der kleine Baumhackel einmal um die Holzriesenarbeit im Tärn beworben hatte. Er hat die Arbeit nicht bekommen,