Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Trawies blieb oder nach Trawies eilte, und im Wirthshause Wort und Rath halten wollte. Als Wahnfred aber auch am zweiten Tage nicht erschien, wollte sein Weib nachfragen und suchen lassen; wie konnte ihm bei dem Unwetter auf unwirthlichen Wegen leicht was zugestoßen sein! – Da kam an diesem Tage eine Botschaft vom Feuerwart: Die Wahnfredin möge nicht nachfragen und nicht suchen lassen, sie möge still sein, ihr Mann sei wohlbehalten und in Hut. Er grüße sein Weib und sein Kind, und sie sollten tapfer sein, Gott wolle, daß er sich ihnen auf kurze Zeit entziehe, aber nach den bösen Tagen würden sie sich glücklich wiedersehen. Nur auf Gott vertrauen und schweigen!

      Da stieg in dem Weibe die Ahnung auf, die gräßliche Ahnung, die ihr nimmer Ruhe ließ. Sie sann bei Tag und betete bei Nacht. Und wenn sie an den entheiligten Altar ihrer Pfarrkirche dachte, da wurde ihre betende Seele lahm.

      Nun war auch ein Todter im Hause. Wahnfred hatte seinem Söhnchen einen kleinen Handschlitten gezimmert, auf welchem Erlefried gern über die Schneebahn der Berglehne in das Thal hinabfuhr. So auch am Abende des Barbaratages, als es am Himmel klar geworden war, als hinter dem Johannesberge der kalte Tag verblaßte, und über den Wäldern des Tärn der rothe Mond aufging. Und als der Knabe auf seiner fröhlichen, vom Sturme glattgefegten Bahn zum Wege herabgefahren kam, der arg verschneit sich neben dem Flusse hinzog, sah er aus dem Schnee einen dunklen und von scharfem Winde halbverwehten Gegenstand ragen. Es war ein alter, in sich zusammengeschauerter und zusammengekauerter Mann. Es war der Pfründner Lull, der, von Haus zu Haus wankend, seinen Unterhalt suchen mußte. Es war – wir wissen es – derselbe Greis, der an jenem Sonnenwendtage im Hause des kleinen Baumhackel darniederlag und vergebens auf die letzte Wegzehrung wartete. Da der Priester aber anstatt zu seinem Krankenbette zur Wildwiesen hinaufgestiegen war, so sagte der alte Lull: ohne geistlich’ Hilf’ wolle er nicht sterben, und wurde wieder gesund. Nun schien er aber doch nicht mehr länger warten zu können. Man weiß nicht, wann zu Trawies wieder ein Priester sein wird. Auch hat man in allen Häusern auf den Lull vergessen, er ist alt gegen die neunzig Jahre, und der Wind bläst rauh.

      »Lull!« Rief der Knabe. »Lull!« Schrie er dem Alten ins Ohr, »was machst Du denn da?«

      Der Pfründner fröstelte, blickte starr vor sich hin und murmelte: »Sterben.«

      Da lief der Kleine, was er konnte zum Hause hinan und verkündete entsetzt: »Da unten stirbt der Lull! Da unten stirbt der Lull!«

      Sie eilten hinab, sie trugen ihn ins Haus und betteten ihn weich, und das Weib flößte ihm warme Brühe ein, und der Knabe stand daneben und blickte mit seinen großen, hellen Augen dem Greise in das fahle Antlitz.

      Dieser murmelte müden Mundes und stieren Auges: »Jetzt, Trawieser Leut’, jetzt kommt das jüngste Gericht mit Noth und Schrecken.« Dann tastete er mit seinen mageren Händen gegen das Lockenhaupt des Knaben: »Dich, Du liebes, schönes Kind, hulde der himmlische Herr!«

      Das Weib wollte die Nacht bei ihm wachen, aber er bat, daß sie sich schlafen lege. – Am anderen Morgen wurde er todt gefunden.

      Die Frau des Wahnfred wollte nun Anstalt treffen, den alten Lull zu bestatten, da erfuhr sie, daß jetzt zu Trawies Keiner begraben werden könne. Es fehle der Priester, es fehle die Weihe der Kirche und des Friedhofes. Es sei kein gesegnetes Grab mehr zu Trawies.

      Wie lange denn sollte der kalte Gast im Hause liegen? War das ein Ersatz für Wahnfred? .... Grauenhafte Gedanken durchzogen das Haupt des armen Weibes.

      In einer dieser Nächte hub der kleine Erlefried im Schlafe zu schluchzen und zu weinen an. Das hatte er sonst niemals gethan. Die Mutter wollte ihn wecken und fragen, was ihn denn so sehr schmerze; aber er blieb im Schlummer befangen und weinte – weinte.

      Da kam der Bart vom Tärn. Sein Gesicht war so ernst, daß es, als er in der Vorkammer die Leiche sah, nicht mehr ernster werden konnte. Das bedrängte Weib bat ihn händeringend um Rath, was zu thun sei, daß der Todte davon und der Lebendige ins Haus käme? Es sei ihr so unsagbar bange ums Herz, sie wisse sich all das, was jetzt vorgehen, nicht zu deuten. Man möge ihr doch sagen, was wäre!

      »Meine liebe Wahnfredin,« entgegnete der Bart vom Tärn, »Du willst, daß ich Dir sage, was Du schon weißt. Dein Mann ist angeschuldigt, den Mord begangen zu haben.«

      Sie hörte es und schwieg. Sie stützte sich mit der Hand an die Tischecke, sie sah dem Mann ins Auge und sagte gelassen und leise: »Aber wahr ist es nicht.« Er merkte es kaum, daß die so ruhig scheinende Antwort eine von Angst und Pein durchzitterte Frage war.

      Der Bart versetze: »Heute kann noch nichts gesagt werden. Noch ist der Wahnfred in Sicherheit, aber man weiß nicht, wie lange.«

      »Nur wo er ist, will ich wissen!« Rief sie und hob die gefalteten Hände.

      »Er ist in guter Hand, in Freundesschutz, das magst glauben. Mehr kann ich nicht sagen. Sie verfolgen ihn. Schon in der nächsten Stunde können sie an Deine Hausthür schlagen. Wahnfredin, Du und Dein Knabe, Ihr müsset eilends fort, sonst schleppen sie Euch ins Elend. Das Gericht ist nicht mehr das Gericht, es ist wahnsinnig vor Wuth, es will Trawies zugrunde richten. Euch würden sie als Geißeln peinigen, bis er, den sie suchen, selbst hervorspringt. Wahnfredin, Ihr müßt mit mir hinein zu den Tärnwäldern. In meinem Hause will ich Euch verbergen.«

      »Dort ist auch Er?« Fragte sie mit heißer Hast, »nicht wahr, lieber Bart, dort ist auch Er?«

      »Macht Euch nur rasch bereit. Wenn sie uns treffen, so sind wir Alle verloren.«

      »O mein Gott, dieses Haus, dieses liebe Haus jetzt auf einmal verlassen! Sie werden es zerstören, sie werden es niederbrennen!«

      »Niederbrennen!« Versetzte der Bart vom Tärn, und seine Stimme hatte plötzlich einen fremden Klang, »niederbrennen! – Wahnfredin, thue das selbst. Das Haus, das die Voreltern Deines Mannes gebaut haben, das Haus, in welchem Ihr Euer Glück habt gelebt – lasse es nicht von rasenden Feinden zertreten, opfere es selbst, opfere es den Flammen!«

      »Wie könnte ich das thun, Ihr Heiligen Gottes!« Rief sie.

      »Ja, noch was Anderes!« Fuhr der Bart leiser, aber nicht weniger erregt fort. »Wenn das Haus niederbrennt: – natürlich geschah es zufällig, ein Unglück, die Leute entkamen bis auf ihn – den Wahnfred – verstehst Du?« Der Mann deutete auf die Leiche, »dieser wird verkohlt gefunden im Schutte und morgen geht es um in Trawies und in Neubruck und in Oberkloster: Der Schreiner Wahnfred ist verbrannt! Vielleicht hat er sich’s selbst gethan. Sie stellen das Suchen ein und Dein Mann ist gerettet.«

      »Es mag ja sein, es mag gut sein, aber weiß Gott: ich thu’s nicht, ich kann’s nicht thun!«

      »Stelle es Dem anheim,« sagte der Bart und deutete, man mußte nicht, nach dem Himmel oder nach seiner Stirne.

      Nach einer Stunde hatte er es so weit gebracht, daß die Wahnfredin und der Knabe Erlefried in ihren Winterkleidern vermummt an der Hausthüre standen. Während er noch auf den Dachboden stieg – vielleicht um von dem Fenster des Thürmchens aus zu sehen, ob nicht schon Verfolger nahten, vielleicht aus anderem Grunde – brach das Weib vor Schmerz an der Schwelle zusammen.

      »Wer hätte es vermeint,« rief sie aus in Klagen, »daß es so sollte kommen! Und jäh, wie der Blitz vom Himmel! Jetzt, im kalten Winter, fort in den Wald! Und wenn er kommt, verfolgt, gehetzt, um sich zu bergen, findet er sein Kind, sein Weib, vielleicht sein Haus nicht mehr. Nein, ich kann dich nicht verlassen, du liebes Dach, das Er mir hat gegeben. Gottes Segen ist gewesen an dieser Thür, an diesem Tische. Hier habe ich ihm das Kind geboren; an diesem Herde, um das Feuer herum sind wir oft gesessen in stillen Freuden und haben nicht gewußt, wie glücklich wir waren. Wie ist’s mein Traum gewesen, dereinst in alten Tagen der Ruhe zu pflegen in diesem Hause, neben mir den lieben Mann in weißem Haar, zufrieden und heiter und fromm, und um uns die Kinder unseres Kindes. Dann gehen wir schlafen, und sie leben fort unter ihrer Eltern Dach, von Großeltern, Eltern, Kindern und Enkeln ein einziges langes Leben ... Und jetzt ein Schlag, daß alles, alles hin ist, auf einmal! – O du mein getreues, mein süßes Haus, an jedem Stein deiner Festen, an jedem Nagel deiner Wand hängt dein Leben. Muß ich fort von dir, du mein getreues, mein liebes Haus!«

      »Wahnfredin,