Название | Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht |
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Автор произведения | Anne Hahn |
Жанр | |
Серия | C.F. Müller Wirtschaftsrecht |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811447066 |
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Im Jugendmedienschutz sind zwei gegenläufige Interessen zu harmonisieren. Der Staat muss den Schutz Minderjähriger vor Gefahren durch mediale Angebote aus dem Bereich „Sex and Crime“ gewährleisten. Zugleich hat er aber die Medien von staatlichem Einfluss freizuhalten. Bei der Aufsicht sind Schutz durch Kontrolle und staatliche Neutralität bei inhaltlichen Fragen zugleich geboten. Zudem spielen die ökonomischen Belange der Anbieter eine Rolle. Das Problem des Jugendschutzes ist also ein innerer Konflikt. Es liegt auf der Hand, dass gerade mit den Anforderungen des Jugendschutzes nicht vereinbare Angebote bei Minderjährigen und Erwachsenen auf Interesse stoßen und deshalb ökonomisch besonders reizvoll sind. Das System der Co-Regulierung ist zur Lösung dieses Konflikts insofern aber gut geeignet, als es möglichen Vollzugs-, Wissens- und Steuerungsdefiziten beim Staat begegnen kann.[117] Es weist aber zugleich eine unübersehbare Schwäche auf, die jeder freiwilligen Selbstkontrolle innewohnt. Sie liegt darin, dass der Rückzug des Staates aus der Freiheitsphäre des Bürgers ein gesteigertes Maß an Verantwortung und die Bereitschaft voraussetzt, ökonomische Interessen den Jugendschutzbelangen im konkreten Fall unterzuordnen. Je geringer die Kontrolldichte ist, desto größer ist die Gefahr des Freiheitsmissbrauchs. Konkret muss also bei der Selbstkontrolle der Gefahr, dass die Veranstalter die Jugendschutzvorschriften eher wirtschafts- als jugendschutzorientiert auslegen, Rechnung getragen werden. Soll die Nähe der kontrollierten Anbieter zu den Kontrollierenden das System des Jugendschutzes nicht konterkarieren, so muss auf die sachangemessene Ausübung der freiwilligen Kontrolltätigkeit, der gerade wegen des erheblichen Vertrauensvorschusses, den der JMStV den Anbietern und der Selbstkontrolle einräumt, besonderes Augenmerk gelegt werden. Dieses Postulat ist für Anbieter von Telemedien, deren Angebote lediglich anzeigepflichtig sind, besonders augenfällig. Sie unterliegen nicht dem für Rundfunkveranstalter geltenden Lizenzierungserfordernis, können aber etwa über gewaltverherrlichende oder pornographische Abrufinhalte in erheblichem Maße entwicklungsbeeinträchtigend wirken.
3.1 Aufgabe der freiwilligen Selbstkontrolle am Beispiel der FSM
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Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) überprüft nach § 19a Abs. 1 JMStV „im Rahmen ihres satzungsgemäßen Aufgabenbereichs die Einhaltung der Bestimmungen des Staatsvertrages (…) bei (…) ihnen angeschlossenen Anbietern“. Sie ist ein gemeinnütziger privatrechtlicher Verein, der sich mit Jugendmedienschutz in Onlinemedien befasst,[118] und von der KJM als Selbstkontrolleinrichtung für den Bereich Telemedien anerkannt ist. Diensteanbieter haben die Möglichkeit, sich dem im JMStV vorgesehenen Modell der regulierten Selbstregulierung anzuschließen und sich damit der Kontrolle der FSM zu unterwerfen. Die Mitglieder genießen dadurch die im JMStV vorgesehene Privilegierung der anerkannten Selbstkontrolle nach § 20 Abs. 5 JMStV. Selbiges gilt beispielsweise für eine Mitgliedschaft bei der Freiwilligen Selbstkontrolle USK.online, die neben dem Telemedien-Bereich auch für den Rundfunkbereich staatlich anerkannt ist Die FSM gibt sich eine Beschwerdeordnung (im Folgenden: FSM-BO). Sie verfügt über eine Beschwerdestelle, die für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Angeboten in Telemedien, die geeignet sind, deren Entwicklung oder Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu beeinträchtigen oder zu gefährden, zuständig ist. Zudem werden dort Angebote in Telemedien behandelt, die die Menschenwürde oder sonstige durch den JMStV geschützte Rechtsgüter verletzen. Im Hinblick auf die unüberschaubare Menge der Medienangebote im Internet, bei der nur ein kleiner Bruchteil der illegalen Inhalte erfasst werden kann, spielen Beschwerden von Nutzern für das Auffinden und die anschließende Ahndung von Verstößen eine zentrale Rolle.[119] Die eingehenden Beschwerden werden auf Grundlage einer Vereinssatzung geregelt. Der Prüfung liegen der von den Mitgliedern verabschiedete Verhaltenskodex, die Prüfgrundsätze der FSM sowie der JMStV mit dessen Satzungen und Richtlinien der KJM zugrunde.
3.2 Ablauf das Prüfverfahrens
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Das Prüfverfahren gestaltet sich dabei wie folgt: Es beginnt mit einer Verstoßbehauptung durch die KJM, die im Rahmen ihrer Aufsicht auf ein Angebot stößt, das bei kursorischer Betrachtung auf einen Verstoß hindeutet. Diesen Vorgang beschreibt und konkretisiert die KJM, indem sie eine Verstoßbehauptung formuliert, die sie der Selbstkontrolleinrichtung zur Überprüfung und Entscheidung vorlegt. Dort wird sie einem mit mindestens drei Prüfern besetzten Beschwerdeausschuss vorgelegt, der über den durch die KJM behaupteten Verstoß gegen den JMStV entscheidet. Gegenüber dem jeweiligen Mitglied ergeht im Falle einer begründeten Beschwerde abhängig von der Schwere des Verstoßes entweder ein Hinweis mit Abhilfeaufforderung, eine Rüge oder eine Vereinsstrafe. Äußerstenfalls kann der Vereinsausschluss ausgesprochen werden. Nach ordnungsgemäßer Abhilfe durch das betroffene Mitglied wird das Verfahren eingestellt. Unbegründete Beschwerden werden zurückgewiesen.
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Die Prüfentscheidung der vorab mit behaupteten Verstößen gegen den Jugendschutz befassten anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle bindet die KJM gem. § 20 Abs. 5 S. 2 JMStV nur dann, wenn die Entscheidung oder Unterlassung die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums der Selbstkontrolleinrichtung nicht verletzt. Dies muss die KJM prüfen und ggf. Aufsichtsmaßnahmen ergreifen. Bei Beurteilungsfehlern des Beschwerdeausschusses, ist die in § 20 Abs. 5 JMStV verankerte „Sperrwirkung“ also ausgehebelt.
3.3 Umfang und Grenzen des Beurteilungsspielraums der Freiwilligen Selbstkontrolle
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In der Praxis sind Meinungsverschiedenheiten zwischen hoheitlicher Aufsicht und freiwilliger Selbstkontrolleinrichtung über Umfang und Ausgestaltung des Beurteilungsspielraums wegen des geschilderten Konflikts an der Tagesordnung. Es kommt daher maßgeblich auf die Auslegung der Reichweite des Beurteilungsspielraums der Selbstkontrolleinrichtung an. Im Staatsvertrag sind die rechtlichen Grenzen dieses Beurteilungsspielraums nicht im Einzelnen festgelegt. Zwar ist keine Rspr.[120]zum Beurteilungsspielraum der Kontrolleinrichtungen vorhanden, jedoch verweist die amtl. Begr. zu § 20 Abs. 3 JMStV auf die Grundsätze, die in der Rspr. für Beurteilungsspielräume der Verwaltung aufgestellt worden und auf die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle zu übertragen sind.[121] So heißt es in der amtlichen Begründung: „Der Beurteilungsspielraum kann insbesondere bei falscher Auslegung eines Rechtsbegriffs oder unzutreffender Tatsachenermittlung überschritten sein. Ist dies der Fall, so stehen der KJM sämtliche Maßnahmen zur Verfügung, die das anzuwendende Landesrecht vorsieht. Damit soll jeder Missbrauch vermieden und sollen grobe Fehleinschätzungen korrigiert werden.“[122] Nicht ausreichend für die Annahme eines Bewertungsfehlers ist es hingegen, dass die staatliche Aufsichtsbehörde lediglich zu einer anderen Auffassung gelangt als die Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle.[123] Ein gerichtlich überprüfbarer Rechtsverstoß liegt hiernach nur dann vor, wenn das Entscheidungsgremium
– | Verfahrensfehler begeht, |
– | von einem unrichtigen bzw. unvollständigen Sachverhalt ausgeht, |
– | anzuwendendes Recht verkennt, |
– | allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt oder |
– | sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt.[124] |
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Nach der Rspr. muss die Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle erkennen lassen, dass sie den zu Grunde liegenden Sachverhalt durch ihre