Rabengelächter. Viona Kagerer

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Название Rabengelächter
Автор произведения Viona Kagerer
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783962298500



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      Ich ging die mit Steinmetzarbeit verzierte Treppe hinunter, in die Mitte der Halle, in der sich ein kleiner Brunnen in Form einer Muschel befand. Um ihn herum war eine runde Bank aufgestellt, auf die ich mich, den Blick staunend auf meine paradiesische Umgebung gerichtet, sinken ließ. Ich schwang meine Beine auf die andere Seite der Bank und betrachtete fasziniert die unterschiedlich großen Glaskugeln in dem Brunnen, die auf kleinen, goldenen Sockeln thronten. Das Paradoxe daran war, dass in ihnen jeweils ein kleiner Fisch seine Kreise schwamm.

      Ich verlor mich in dem Geplätscher des Brunnens und hörte somit nicht, dass noch jemand im Raum war … bis meine Träumereien von einem Räuspern und einer Hand auf meiner Schulter unterbrochen wurden. Ich zuckte zusammen, sprang auf und stand Auge in Auge einem genauso erschrocken aussehenden Jungen gegenüber. Das Erste, was mir auffiel, war, dass er normal gekleidet war; na ja, fast. Er hatte eine Jeans und ein blaues TShirt an; das einzig nicht Normale waren das Schwert an seiner Hüfte und der Bogen, den er in seiner Hand hielt.

      Er fand als Erster seine Sprache wieder, was auch gut war, denn außer Gestotter hätte ich nichts herausbekommen. Sahen etwa alle nordischen Krieger aus wie Götter?

      „Hi, tut mir leid“, er fasste sich an den Nacken, „es war nicht meine Absicht, dich so zu erschrecken, aber ich wollte fragen, ob ich mich zu dir setzen darf.“ Er deutete auf die Bank. Ich nickte. Warum war ich nur so verdammt schüchtern? Ich kam nur aus meinem Schneckenhaus heraus, wenn ich wütend war, so ungefähr wie Hulk, nur ohne die coolen special effects. Er lehnte seinen Bogen an die Bank und hielt mir zu meiner Überraschung seine Hand hin. Als ich sie nehmen wollte, lachte er – ein Geräusch, das durch meinen ganzen Körper hindurchfloss. „Du bist noch nicht lange an der Halvarschule, oder?“ Ich biss mir auf die Unterlippe. „Nein, aber dank dir weiß ich jetzt wenigstens, wo ich bin.“ Diese Frage hatte sich jetzt also schon mal geklärt. Er legte den Kopf schief und eine Strähne seines dichten, schwarzen, gewellten Haars rutschte ihm ins Gesicht. Schneewittchen in männlicher Version. Seine Lippen waren voll und leicht geschwungen, seine Nase gerade und seine hohen Wangenknochen ließen seine grünen Augen wie Sterne erscheinen.

      Du bist auf einer Eliteschule der nordischen Gesellschaft und wusstest es nicht?“ Seine Stimme war die pure Verblüffung. Ich schob die Hände in meine Hosentaschen und zuckte mit den Schultern. „Oder wollte es einfach nicht wahrhaben.“ Er lachte. „Ich bin seit meinem zehnten Lebensjahr in den verschiedensten Trainingslagern und wollte es ebenfalls nicht wahrhaben, nun auf eine Schule gehen zu müssen, wo es nicht nur um Töten geht und man auch Unterricht wie die Menschen hat.“

      Töten? Ich strich mir eine lange Locke zurück. „Ich glaube, dass es bei mir ein wenig anders war.“ Er schaute mich fragend an. „Das musst du mir jetzt aber erklären. Übrigens, mein Name ist Runeas.“ Wieder hielt er mir seine Hand hin. Ich runzelte die Stirn. „Ich könnte jetzt alle möglichen Wege ausprobieren, wie dieses Begrüßungsritual der Nordis funktioniert, oder du sagst es mir einfach.“ Er lachte erneut, es war ein unbeschwertes Lachen. „Weißt du überhaupt irgendetwas über die nordische Kultur?“ Mit gespielter Nachdenklichkeit griff ich mir ans Kinn. „Hm, lass mal sehen … Nein, da muss ich dich enttäuschen, nur dass ich diesen Satz „Weißt du überhaupt irgendetwas über die nordische Kultur?“ in den letzten vierundzwanzig Stunden schon zum dritten Mal höre.“ Runeas grinste „Na, dann werde ich mal zu deiner Bildung beitragen, namenloses Mädchen!“

      Hatte ich versäumt, meinen Namen zu sagen? Hoppla. „Ich heiße Anouk.“ Er nickte. „Dein Name bedeutet die Friedliche … Aber nun zurück zu dem überaus komplizierten Begrüßungsritual der sogenannten ‚Nordis‘. Schritt Nummer eins“, er ließ seine angenehm tiefe und rauchig klingende Stimme noch dunkler klingen und atmete scharf ein, als würde das nun Folgende das Spannendste überhaupt sein, und brachte mich somit zum Kichern, „man strecke eine Hand aus, tue es mir nach, junge Dame! Und der alles entscheidende Schritt Nummer zwei“, er zog seine Sprechpause dramatisch in die Länge und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht wieder loszukichern, „man schlägt ein und hält die Hand seines Gegenübers kurz fest!“ Seine Stimme klang jetzt wieder normal tief und rauchig.

      Als sich unsere Hände berührten, trafen sich auch unsere Blicke und blieben aneinander hängen. Er hatte verschieden grüne Augen; das eine war ein helles Mintgrün, das andere ein dunkles Moosgrün. Normalerweise mied ich es, Menschen in die Augen zu schauen, doch bei Runeas konnte ich einfach nicht anders. Schließlich wurde ich unter seinem intensiven Blick nervös und entzog ihm meine Hand, während ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr steckte. Nachdem dieser betörende Moment abgeebbt war, tat ich es Runeas gleich und setzte mich.

      „Also Anouk, inwiefern waren deine Umstände, auf Halvar zu kommen, anders?“ Ich hatte nicht das Gefühl, ihm etwas verschweigen zu müssen, und so fing ich an, draufloszuerzählen. „Ich bin angeblich eine Halbgöttin, so wie anscheinend die meisten hier.“ Ich schaute ihn kurz an und er nickte zustimmend. „Ja, ich bin der Sohn irgendeiner unbedeutenden Waldgöttin.“ Ich nickte verständnisvoll, obwohl ich keine Ahnung hatte, was eine Waldgöttin war. „Mein Vater ist nach sechzehn Jahren des Schweigens bei meiner Mutter und mir aufgekreuzt und hat was von Gefahr und Bedrohung gefaselt. Du musst dir mal vorstellen, ich hatte mein ganzes Leben lang geglaubt, dass ich ein Mensch wäre, und jetzt …“, ich schüttelte den Kopf, „… ist die Rede von nordischen Göttern, Lichtalbi hier, Odin da, und ich soll verstehen, dass ich auf eine Schule gehen soll in einer wahrscheinlich auch noch anderen Welt …“ Ich hielt inne. Dieser Gedanke war mir gerade eben erst gekommen: War das hier überhaupt noch meine Welt? Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und ich fuhr eilig fort, um nicht mit diesem aberwitzigen Gedanken herauszuplatzen „… in einer völlig anderen Kultur. Ich sollte sofort meine Sachen packen und brav mitkommen, aber das Letzte, was ich in jenem Moment wollte, war, mit meinem völlig gestörten Vater und seinem Federvieh mitzukommen, da bin ich einfach abgehauen und durch den Wald zu einer Bushaltestelle getürmt, wo ich von einem Ausgestoßenen oder so was überfallen wurde.“

      Ich redete immer schneller, ohne Luft zu holen und auf die Details in meiner Erzählung zu achten. Die Wörter sprudelten einfach nur so aus mir heraus, wie ein Wasserfall, und ich ließ ihnen freien Lauf. Runeas’ Gesichtsausdruck, der immer verwirrter wurde, ignorierte ich beflissentlich. „Ich bin dann wieder zurück in den Wald gerannt und hab versucht, mich zu verstecken, was leuchtend aber gar nicht so einfach ist, ich meine, hallo, im dunklen Wald, leuchtend wie eine Glühbirne, keine Chance, aber dann kam Espen, dieser arrogante Idiot, und hat mir das Leben gerettet, mich dann kurz gegeißelt, bis ihm klar wurde, dass ich die Tochter seines hochverehrten Lehrers bin, und hat mich schließlich wieder zu Hause abgeliefert, und von dort aus wurde ich dann gegen meinen Willen hierhergebracht.“ Ich holte tief Luft und fühlte mich um zehn Kilo leichter, jetzt, da ich mir den Ballast von der Seele geredet hatte.

      Gedankenverloren schaute ich kurz an die Decke und erinnerte mich dann daran, dass da noch jemand neben mir saß. Und dieser Jemand sah mehr als verwirrt aus. Runeas hatte die Augen zusammengekniffen und schaute mich mit einem leicht entrückten Gesichtsausdruck an. Als ich dann noch mal durchging, was ich gesagt hatte, hätte ich meinen Kopf am liebsten gegen eine Tischtennisplatte gedonnert. Ich musste wie eine Verrückte geklungen haben. Runeas schüttelte den Kopf, als versuche er, meine Worte zu ordnen und ihnen einen Sinn zu verleihen. „Langsam, langsam, du redest ja ohne Punkt und Komma!“ Na super, jetzt hatte ich es doch tatsächlich geschafft, dass ein absolut süßer Typ mich für jemanden hielt, der keine Freunde hatte und sich an der Schulter des Erstbesten ausheulte, bevor dieser die Flucht ergreifen konnte. Dass mit den Freunden stimmte ja, aber der Rest entsprach dann doch nicht der Realität. Ich musste das unbedingt wieder geradebiegen!

      Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und lächelte verlegen. „Sorry, normalerweise bin ich nicht so“, ich schüttelte hilflos den Kopf, „es ist nur“, ich atmete tief aus, um den Kloß in meinem Hals zu beseitigen, „es ist einfach ein bisschen viel gewesen, mein Vater und Espen haben mich einfach mitgenommen, weg von allem, was mir vertraut ist, an einen Ort, den ich schon angefangen habe zu hassen, bevor ich ihn überhaupt kannte. Dass sie mich zu jemandem gemacht haben, den ich vorher gar nicht kannte.“

      Runeas nickte langsam „Du wusstest also nicht, dass du eine Halbgöttin bist?“