Rabengelächter. Viona Kagerer

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Название Rabengelächter
Автор произведения Viona Kagerer
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Серия
Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783962298500



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Blick wurde lauernd. „Und Espen ist dein Mentor?“ Ich schnaubte. „Allerdings!“ Er zog die Augenbrauen in die Höhe. „Alle anderen Mädchen würden Luftsprünge machen, wenn er sie auch nur eines Blickes würdigen würde.“ Ich setzte mich bequemer hin und zuckte mit den Schultern. „Tja, ich bin halt nicht so wie andere Mädchen. Espen nervt mich mit seiner Ich-binder-Allertollste-Art, schon seit er mir das Leben gerettet hat. Es ist einfach zum Davonlaufen! Da hätte er mich auch gleich im Wald liegen lassen können! Er behandelt mich wie etwas, was zu ekelhaft ist, um es überhaupt von der Schuhsohle abzukratzen! Er ist so ein Kotzbrocken!“

      Runeas lachte. „Was für eine schöne Beschreibung!“ Mit einem Mal wurde er wieder ernst. Er schaute mir ruhig in die Augen. „Du hast recht, ich habe ebenfalls nicht das Gefühl, dass du wie andere Mädchen bist, ganz und gar nicht.“ Meine Wangen wurden warm und ich fragte, mir ein Lächeln verkneifend: „Ist das jetzt positiv oder negativ gemeint?“ Seine Stimme war wie der Geruch von einem kalten Wintermorgen. „Ich denke, das wird sich im Laufe der Zeit, die wir miteinander verbringen werden, zeigen.“ Ich zog eine Augenbraue hoch und lächelte. „Hast du mir gerade durch die Blume gesagt, dass wir mal etwas zusammen unternehmen werden?“ Er schaute mich durch eine Haarsträhne hindurch an, die ihm ins Gesicht gefallen war, und verzog spitzbübisch seinen perfekten Mund. „Ja, und nicht nur mal; von nun an betrachte ich es als meine persönliche Aufgabe, dir die nordische Welt schmackhaft zu machen und dich zudem sicher durch das Schulhaus zu begleiten.“

      Ich schnaubte belustigt. „Warum willst du uns nicht gleich aneinanderketten?“ Er fasste sich ans Kinn und tat so, als würde er meine Idee ernsthaft überdenken. Dann schaute er mich von der Seite an. „Nein, ich glaube, wir sollten deine Idee lieber nicht umsetzen – zu meiner eigenen Sicherheit, falls sich zeigt, dass du in Wirklichkeit gar nicht so friedlich bist, wie es dein Name sagt.“ Ich boxte ihm spielerisch in die Schulter. „Fordere dein Glück nicht zu früh heraus!“

      Was bei seinen Muskeln natürlich lächerlich war. Mit einem gespielten Ächzen griff er sich an die Schulter. „Gnade, ich kapituliere!“ Zufrieden mit seiner Ergebung nickte ich gütig. „Dir sei verziehen, Unwürdiger!“ Unsere Plänkelei wurde plötzlich von einer ironischen Stimme unterbrochen. „Na Anouk, wie ich sehe, hast du dich ja schon ganz gut eingelebt!“ Runeas’ ausgelassenes Grinsen war auf einmal wie weggeblasen. Mit einem Ruck stand er auf. Ich drehte mich um und erblickte Espen, der sich mit verschränkten Armen vor mir aufgebaut hatte. „Ja, dank Runeas ist die Welt nicht mehr ganz so schwarz! Schön, dass dich mein Wohlbefinden interessiert. Was machst du eigentlich hier?“ Als ich Runeas erwähnte, verfinsterte sich sein Blick noch mehr. „Ich sammle gerade meine Schülerin ein, die eigentlich noch bewusstlos im Bett liegen sollte, aber stattdessen flirtet sie mit irgendeinem dahergelaufenen Typen – das mache ich hier!“

      Jetzt stand auch ich auf. Was glaubte der eigentlich, wer er war? „Jetzt pass mal auf! Was interessiert es dich, mit wem ich flirte? Und ob ich im Bett liege oder hier mir Runeas rede“, ich betonte die beiden folgenden Wörter überdeutlich, „ist ja wohl kein Problem, außer dass es vielleicht dein kleinkariertes Weltbild zusammenstürzen lässt!“

      Espen rang um Fassung, während Runeas an mich herangetreten war und mir ins Ohr flüsterte, sodass ich seinen heißen Atmen an meinem Ohr spüren konnte: „Wohl doch nicht so friedfertig.“ Ich drehte mich zu ihm um. Unsere Gesichter waren jetzt so nah beieinander, dass er sich nur hätte herunterbeugen müssen und unsere Münder hätten sich berührt. Diese Anziehungskraft zwischen uns war seltsam betörend. Espens knurrender Laut riss mich aus diesem tranceartigen Moment. Verlegen trat ich einen Schritt zurück, während Runeas sich bückte und seinen Bogen aufhob, Espen beflissentlich ignorierend. „Ich werde dich dann morgen zu deinen verschiedenen Klassenzimmern begleiten, wenn das in Ordnung für dich ist?“ Mein Herz machte einen Freudensalto. „Und wie willst du mich finden?“, fragte ich neckisch. Runeas grinste schief. „Das überlass mal mir.“

      Während Runeas mit leichten, federnden Schritten die prunkvolle Treppe hinaufstieg und in einem Flur verschwand, breitete sich zwischen Espen und mir eine aggressive Stille aus. Ich knirschte mit den Zähnen und versuchte, das explosive Gefühl in meinem Magen so gut es ging zu unterdrücken. Nein, ich hatte keine Chilischoten gegessen; ich war dabei, mich in Rumpelstilzchen zu verwandeln. Wie dieser Mann mich nervte! Ich atmete tief ein und wieder aus und musste mich beherrschen, ihm nicht an die Gurgel zu gehen. Wie er dastand. So eingebildet, so arrogant, so … Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Nicht ausrasten, ermahnte ich mich. Zu meiner großen Verärgerung musterte Espen mich erst von Kopf bis Fuß und lächelte mich dann träge an.

      Er fuhr sich durch die Haare, die leicht sein Kinn umspielten, drehte sich mit einem „Komm“ um, so als wäre nichts gewesen, und steuerte eine große, reich verzierte Tür an. Ich verschränkte meine Arme und blieb wortlos stehen. Kurz meldete sich der vernünftige Teil in meinem Gehirn, und ich fragte mich, warum ich eigentlich so sauer auf Espen war, doch ich verdrängte diese Frage schnell wieder. Es tat gut, dass meine Wut nicht mehr ziellos umherschwirrte, sondern endlich einen Fixpunkt hatte.

      An der großen Tür blieb Espen stehen und blickte über seine Schulter. Er zog eine Augenbraue hoch. Er war es anscheinend nicht gewohnt, ein Mädchen zweimal aufzufordern, ihm zu folgen. Auch ich zog eine Augenbraue hoch. Er drehte sich jetzt vollkommen zu mir um. „Was ist, bist du festgewachsen?“ Ich schnaubte verächtlich und warf schwungvoll meine Haare über die Schulter. „Wenn dem so wäre, würde ich beantragen, dass du dich mir in einem Radius von fünfzig Kilometern nicht nähern darfst!“

      Ein frustrierter Ausdruck huschte über sein Gesicht, und ich konnte sehen, wie er die Zähne zusammenbiss. Wenn ich so weitermachte, könnte ich ihn bald los sein. Ich rieb mir innerlich die Hände. Ich drehte mich auf dem Absatz um und meinte, ohne zurückzublicken: „Ich gehe jetzt mal dahin, wo ich mit keinem Typen flirten kann.“

      Ich war schon bei der Treppe angekommen, als er mit gefährlich leiser Stimme sagte: „Wenn du jetzt nicht sofort kommst, dann wirst du so viele Liegestütze machen, bis du deinen Namen nicht mehr sagen, geschweige denn denken kannst!“ Ich umkrallte das Treppengeländer mit einer Hand. Hatte er mir gerade gedroht? Mit Liegestützen? Ich wandte mich zu ihm um, aber nicht um ihm den Gefallen zu tun und klein beizugeben, sondern um ihm direkt ins Gesicht zu lächeln, das einem wütenden Kriegsgott glich. Dann drehte ich mich um. Ein scharfes „Anouk!“ veranlasste mich dann dazu, ihm den Finger zu zeigen und die Treppe hochzustiefeln.

      Ich hörte ihn mit schnellen Schritten hinter mir hereilen. Seine nächsten Worte ließen mich überlegen, ihn eventuell in einen menschlichen Boxsack zu verwandeln. Er packte mich an den Schultern und drehte mich zu sich herum. Ihn als wütend zu beschreiben, wäre untertrieben. Seine blauen Augen durchbohrten mich förmlich. Ich versuchte, gelassen zurückzublicken. „Wenn du jetzt nicht sofort mitkommst, dann …“ Ich stieß seine Hand von meiner Schulter und schaute ihn herausfordernd an. „Dann was? Willst du mich dann etwa tragen, oder was?“ Mit einem „Pff“ wollte ich mich wieder umdrehen, als ich seinen festen Griff um meine Hüfte spürte. Ich schrie überrascht auf und fand mich im nächsten Moment über seiner Schulter wieder. Als würde ich nichts wiegen, ging er zu der großen Tür zurück und stieß sie auf. Ich explodierte auf seiner Schulter förmlich. Ich trat, schlug und versuchte mich von ihm wegzudrücken. Er quittierte das alles jedoch nur mit einem Lachen. „Du verdammter nordischer Arsch!“, zischte ich mühsam zwischen meinen Zähnen hervor, als ein Nerv an meiner Augenbraue gefährlich zu zucken begann und mein Kopf schwer wurde.

      Im Gegensatz zu mir war er wieder die Ruhe selbst. Wir beziehungsweise er ging durch einen großen Gang. Er gab mir einen Klaps auf den Hintern. „Na, na, Anouk, so was sagt man doch nicht. Schon gar nicht zu jemandem, der einem das Leben gerettet hat!“ Aus lauter Wut spielte ich mit dem Gedanken, ihm sein wohlgeformtes Hinterteil vollzukotzen, ließ es aber – dank meiner guten Erziehung – dann doch bleiben.

      „Ich wünschte, du hättest mich liegen gelassen, dann wäre ich jetzt nicht mit dir hier!“ Kurz lockerte sich sein Griff, was ich ausnutzte, um ihm mit Schwung in die Mitte zu treten. Der hat gesessen!, dachte ich fröhlich, bevor ich hart auf dem Boden aufkam. Keiner fasste mich unerlaubt an oder trug mich gegen meinen Willen durch die Gegend! Espen war in die Knie gegangen und