Die Chroniken der drei Kriege. S. A. Lee

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Название Die Chroniken der drei Kriege
Автор произведения S. A. Lee
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Год выпуска 0
isbn 9783967525557



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Kiefermuskeln waren starr und ließen sich nicht bewegen.

      »Du elender Narr hast dich einfangen lassen. Dabei habe ich geplant, Narvek und dich für eure Heldentat zu belohnen. Ja, Narvek hat mir bereits berichtet, dass es ihm gelungen ist, sich des Gefäßes zu bemächtigen«, nickte Skaidridt, und sein Gesicht verschwamm vor Stilichos Augen. »Er ist so begierig, sich zu beweisen. Als ich von deinem Versagen erfuhr, war ich fast sicher, dass er es irgendwie bewerkstelligen würde, dich zu töten, in der Hoffnung, ich würde es nicht erfahren. Doch offenbar habe ich seinen Mut überschätzt … ebenso wie deinen Nutzen.« Die Reflexion des Obersten auf dem Schild stieß heftig Luft aus. »Doch ist es nun gleich; die Aufgabe wurde erfüllt, das Gefäß wird in Sicherheit gebracht werden. Und der Großfürst von Aracanon und die Seinen werden nie erfahren, wie groß ihr Versagen wirklich war, bis der Eine herannaht und sie verschlingt. Denn der einzige, dem sie das Geheimnis entlocken könnten, wird nicht mehr in der Lage sein, zu sprechen.«

      Stilicho kämpfte gegen die Starre in seinem Körper an, wehrte und sträubte sich bis zum Zerreißen – doch in seinen Eingeweiden begann es zu kochen, und noch ehe einer seiner Wächter mehr tun konnte, als aufzuschreien, erfasste das Feuer seinen gesamten Körper, und er zerfiel zu Asche.

      Es war fast Mittag, als Megan siegestrunken in die Bibliothek zurückkehrte. In den Armen trug sie ein in Leder gebundenes Buch, das dicker war als die eichene Tischplatte, an der Kirin saß. Mit einem Krachen ließ sie den Wälzer auf den Tisch fallen. »Ich musste eine Ewigkeit lang suchen, aber ich glaube, ich habe die Stelle gefunden«, sagte sie. »Galihl war vielleicht ein Wahnsinniger, aber seine Bibliothek ist gut geordnet.«

      Eifrig schlug sie die Seite auf, die sie mit einem Lesezeichen markiert hatte. Der Text war auf Hochfallonisch, erkannte Kirin, und da er schon in einem sehr frühen Stadium erkannt hatte, dass er dieser Sprache niemals mächtig sein würde, versuchte er gar nicht erst, ihn selbst zu entziffern. Stattdessen blickte er Megan erwartungsvoll an, und sie las vor:

       Aus den Büchern des Staubes, Kapitel L: Vom Ende des ersten Zyklus

      

      Die Zweigeborene, ein aus sterblichem Fleisch geborenes Kind, war nun also von dem Dunklen Gott gefangengenommen worden und sah keine Möglichkeit, ein weiteres Mal zu fliehen. Und der Schatten machte sich von seinem Sitz, dem Schwarzen Turm aus, daran, eine Stadt zu errichten als Zeichen seiner Stärke und als Mahnmal für all jene, die seinen göttlichen Willen herauszufordern suchten. Es ward eine Stadt, schwarz wie der Turm, an den Ufern des Ozeans, der heute Verlorenes Meer genannt wird, und die mit Ausnahme der Zweigeborenen niemals von Sterblichen bewohnt wurde. Kreaturen und Geschöpfe gingen darin um, deren Gestalt die menschliche Vorstellungskraft übersteigt und deren Willen allein an den des Dunklen Gottes gebunden war. Auf sein Geheiß vergrößerten und schmückten sie die Stadt, auf dass sie schrecklicher und gewaltiger werde als alles, was vor ihr dagewesen war. Als Kunde an die Ohren des Dunklen drang, dass auch der Letzte der Großen Alten getötet worden war, war sein Triumph über die Massen groß: Keine Macht sollte es mehr geben, die der seinen trotzte, und die Schwarze Stadt würde als ihr Symbol überdauern.««

      Sie hielt einen Moment inne und suchte mit zusammengezogenen Brauen die Seite ab – ihr Finger wanderte Zeile um Zeile hinab. »Blablabla, das ist alles uninteressant … ach, hier geht es weiter:

       »Und die Götter erkannten, dass ihre Macht schwächer wurde. Der Glaube der Menschen verließ sie, wie die Kinder die Liebe zu ihren Eltern verlässt, und langsam, aber unaufhaltsam, waren sie gezwungen, sich zurückzuziehen. Die Magie verließ die Bühne der Welt und an ihre Stelle traten Krieger, Menschen, Könige. Licht und Waage waren es zufrieden, die Menschen von ihren hehren Wohnsitzen herab oder in der Gestalt von Tieren zu beobachten und nur noch selten in ihre Geschicke einzugreifen. Doch der Schatten konnte und wollte seinen Machtverlust nicht hinnehmen. Um seine mächtigste Waffe, das Verfluchte Schwert, betrogen, sann der Göttliche auf Rache und fasste einen grausamen Plan; Fußend auf dem, was er einst dem blinden Seher an Wissen entlockt hatte, wollte er ein Kind auf der Erde hinterlassen, das seine Göttlichkeit in sich trug, vermischt jedoch mit dem Blut des sterblichen Geschöpfes, dessen er sich bemächtigt hatte. In diesem Kind, so wusste er, würde sein göttlicher Geist sich mit menschlicher Stärke vereinen und kein Zauber und kein Gesetz der Welt würden ihm so die Rückkehr in die Welt verwehren können.

      Und in der Nacht des Rìzhar, als der Blutmond am Himmel erstrahlte, umhüllte der Dunkle Gott den geschwächten Geist der Zweigeborenen und beschlief sie, und aus dieser Verbindung entsprang ein Samen der Finsternis, der in ihr wucherte und sie mit fürchterlichen Visionen quälte, bis die bisher unbezwungene Seele zu brechen drohten. In diesem Augenblick der höchsten Not geschah es nun, dass die Zweigeborene die Treppe zum schwarzen Turm selbst erklomm und über seine Zinnen hinweg die Stadt sah, die sich wie ein Pestmal auf dem Gesicht des Kontinents auszubreiten drohte. Und endlich erkannte sie, dass es nur einen Weg gab, die geplanten Gräuel zu verhindern: Wie eine Taube in das Maul des Drachen, warf sie sich von der Spitze des Turms und setzte ihrem Leben ein Ende, bis zuletzt voller Rechtschaffenheit.

       Als der Dunkle erkannte, was sie getan hatte, stieß er einen Schrei aus, der die Grundfesten der Stadt erschütterte und alle Ungeheuer und Kreaturen, die darin waren, vor Angst erstarren ließ. Der Berg, an den die Schwarze Stadt grenzte, spie Feuer, die Mauern der Feste begannen zu bröckeln, das Meer, blutrot im Angesicht des grausigen Mondes, toste und kochte unter dem Zorn seines Gebieters, und endlich öffnete sich der Rachen des Ozeans und verschlang die verfluchte Stadt mit all jenen, die in ihr waren. Sie sank auf die Tiefen des Meeresgrundes, wo sie immer noch darauf wartet, dereinst an die Oberfläche zurückzukehren und den alten Schrecken heraufzubeschwören, der selbst an jenem Ort der Vergessenheit noch immer in ihr ruht.

      Der Schatten selbst jedoch fügte sich scheinbar dem Spruch seiner Geschwister und zog sich in die Finsternis hinter der Welt zurück, wo er wartet, bis es ihm dereinst möglich sein wird, in Form eines Kindes auf die Erde zurückzukehren, auf dass er in Gestalt eines der Ihren über die Menschen gebiete, sie zum alten Glauben zurückführe und schließlich die Fesseln des Menschseins sprenge, um in seiner wahren, ursprünglichen Gestalt in seiner Heimstätte am Amodros zu herrschen.««

      Als sie geendet hatte, bemühte sich Kirin, seine Gedanken zu ordnen.

      Langsam sagte er: »Die Zweigeborene … wer ist das?«

      »Der Sage nach eine junge Frau, der es als einzigem Menschen jemals gelungen ist, aus den Verliesen des Dunklen Gottes zu entkommen. Es gibt jedoch eine Legende, die von der Entstehung des Hauses Aracanon berichtet und in der erzählt wird, dass sie später erneut an den Schatten ausgeliefert wurde, im Austausch gegen das Schwarze Schwert. Es ist eine ziemlich verwickelte Geschichte und für das, was hier berichtet wird, nicht von Bedeutung«, fügte sie hinzu, als Kirin sichtlich orientierungslos den Mund öffnete. »Der Punkt ist, diese junge Frau wurde von dem Dunklen Gott selbst geschwängert, der einzige Weg, nach dem Ende des Götterzeitalters in die Welt zurückzukehren. Sie jedoch brachte sich um, bevor die Schattenbrut geboren werden konnte, und damit ging auch sein Sitz, die Schwarze Stadt, unter. Wenn ich richtig verstehe, was der alte Priester euch erzählt hat, und es mit den merkwürdigen Träumen in Verbindung bringe, die Elouané und du hattet …«

      Kirin begriff, noch ehe sie geendet hatte: »Du glaubst, die Schattenjünger wissen von dieser Geschichte und haben vor, sie zu wiederholen. Sie wollen, dass dieser andere ‹Auserwählte’ Elouané schwängert und ihr Gott in einem Kind wiedergeboren wird.«

      »So oder so ähnlich«, nickte Megan, deren Begeisterung über ihre Entdeckung verblasste. »Und zwar, wenn ich das richtig deute, in dieser einen bestimmten Nacht, in der ‹der Blutmond am Himmel erstrahlt’, was auch immer das bedeutet.«

      Kirin rieb sich die Stirn. »Als ich in der Bibliothek in Aléh war, hat mir einer der Astronomiemeister erzählt … lass mich überlegen … dass es bei einem bestimmten Stand der Sonne dazu kommen kann, dass ein Schatten auf den Mond fällt und es so aussieht, als wäre er rot. Er meinte, in den alten Geschichten hätten die Leute dann von einem Blutmond gesprochen.«

      Megan zog die