Название | Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3 |
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Автор произведения | Karl Michael Görlitz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844231502 |
»Eine Lady Curzon noch für mich!«, herrschte sie den Kellner an, so dass dieser leicht zusammenzuckte. Jaa - wir können auch anders.
Leider verspielte Rudi den kleinen Heimvorteil gleich wieder, in dem er nach Soljanka fragte. Die russische Restesuppe in diesem Montsalvat der Gourmandise! Hätte er wenigstens nach dem Gral verlangt! Der Ober war merklich erschüttert. Wankte das Gebäude, oder kam es mir nur so vor? Es schien in sanften Wellenbewegungen zu schaukeln - ach nein - das war doch eher die Servierkraft, in den Grundfesten tödlich getroffen, die Serviette über seinem Arm zitterte merklich. Man einigte sich auf Tomatensuppe mit Gin und Sahnehäubchen. Nachtisch würden wir später ordern. Mit einer leichten Verbeugung und Segenswünschen für unser restliches Erdenwallen zog sich der Ober zurück. Stille. Aah- !
Ach ja, Gin und Sahnehäubchen. Damit kriegt man jede Dosensuppe fit. Mutters Schildkrötensuppe à la Lady Curzon trug selbstverständlich auch eines und kam ebenso selbstverständlich aus der Weißblechpackung wie Rudis Tomate. Arme Lady, was war nur aus Eurer berühmten Suppe geworden. Aus Vergnügen hatte ich einmal das Originalrezept gelesen und versuchte Mutter damit zu unterhalten. Erst erfreute ich sie mit dem genauen Schlachtvorgang, mit Ausbluten und Abhängen. Danach amüsierte ich sie mit der Herstellung von Schildkrötenwürstchen, die unbedingt hineingehören, und dem Aufbrechen des Panzers und der Entnahme der Innereien.
Sie winkte ab. Damit war sie nicht zu erschüttern, schließlich hatte man auf dem Land gelebt. Aber eines erstaunte sie dann doch, dass der Panzer nicht mitgekocht wurde, so wie Knochen in der Brühe. Die Kraft steckt doch in den Knochen, hatte sie mich stets gelehrt. Flugs schaltete ich um und erklärte ihr, die gallertartige Minimaleinlage von Schildkrötenfleisch auf dem Dosengrund, sei exakt nichts anderes, als in drei Tagen weichgekochte Panzerung. Was sie wiederum nicht glauben wollte.
»De Gnochen in där Subbe wärn ooch nich weech!«, meinte sie ganz richtig, aber mein Widerspruchsgeist war geweckt.
»Nach drei Tagen schon, Mutter, am besten, du probierst es zu Hause einmal aus.«
Weiterhin erklärte ich, diese Hauptzutat für die Turtlesoup schlicht vergessen zu haben, aber mit Kalbsknochen könne sie unbedenklich einen Versuch starten, da dieselben schon nach zwei Tagen unvergleichlich zart gerieten.
»Mike, das habb'ch ja noch nie geheert, du spinnsd wie immer.«
Aber ich blieb ernst und Rudi griente verstohlen. Das verunsicherte sie tatsächlich, und während sie einen langen Monolog über Brühe und das Kochen derselben ansetzte, nickte ich hin und wieder ein, zufrieden, Mutters wachen Verstand eine angemessene Aufgabe geboten zu haben. Unterbrochen wurde ihr Gedankengang nur durch das Nahen des Obers, der ähnlich gemessenen Schrittes herbeieilte wie sein Maître, welcher befürchten ließ, dass die Suppe, die er auf dem Serviertablett balancierte, bei ihrer Ankunft endgültig erkaltet war.
Aber sie kam mit Stil. In silbernen Serviertassen, die mit altmodischer Grandezza vor dem Gast in die bereitstehenden Teller befördert wurden. Mit einer eleganten Drehbewegung glitt die dünne Flüssigkeit geräuschlos in den Porzellanteller, dass es eine Freude war. Seit meinen Kindertagen hatte ich das altmodische Prozedere nicht mehr erlebt.
Nur Mutters Schildkröte kam in der vorgeschriebenen winzigen Tasse, auf welcher überdies noch eine Abbildung zu sehen war.
Wider Erwarten war alles heiß geblieben, die Teller waren so gut vorgewärmt, dass man sich die Finger fast noch verbrennen konnte. Toll!
Natürlich fragte Mutter den Kellner, ob der Panzer bei der Herstellung mitgekocht wurde. Das war zu befürchten gewesen, und natürlich wusste der gute Mann keine schlüssige Antwort darauf, zeigte sich aber bereit, in der Küche nachzuforschen, bevor er weiterpreschte. Ob er wohl an diesem Abend mit einer Antwort zurückkehren würde?
Die Fasanenconsommé erwies sich als sehr blass und sah mächtig dünn aus. Rudis Sahnehäubchen war untergegangen, nur eine helle Schliere zog durch das dunkle Rot. Der Kellner war auch noch nicht sonderlich weiter gekommen und ich sinnierte klug vor mich hin. Eigentlich könnte man gravitätisch auch mit 'f' schreiben. Maje- stetisch, grafitätisch, herzoglich. Weiter kam ich nicht, denn plötzlich wurde mir heiß. Sehr heiß sogar und besonders im Gesicht. Kein Wunder, lag ich doch mit dem Kopf in der Fasanenbrühe. Als lebende Einlage sozusagen, und als ich mich schleunigst wieder herausfischte, war die Suppe auch nicht mehr so jämmerlich blass, dank des dezenten Brauntons, der bis dato meine slawischen Wangen zierte. Ich hingegen schon, bis ein gesundes, natürliches Rot aufzog. Teils von der heißen Suppe und teils vor Verlegenheit. Fassungslos starrte mein mütterliches Gegenüber und leider nicht nur die. Das Platschen, mit dem mein stolzes Haupt in Consommé und kurzen Schlaf fiel, war auch an den Nebentischen registriert worden.
Au weia! Das war aber nun wirklich peinlich. Rudi unterdrückte mit Müh und Not einen mittelschweren Lachanfall. Er war schon fast so rot wie eine Tomate und ich brauchte keinen Spiegel, um zu sehen, dass ich ihm nacheiferte. Gut, dass ich ein Taschentuch aus Stoff mitführte und die Brühe so dünn gewesen war. Nicht auszudenken, was mir mit mit einer geeisten Gurkensuppe passiert wäre. Entweder ich hätte noch eine Weile seelig geschlummert oder für die Schlagzeile GAST IN SUPPE ERTRUNKEN gesorgt.
Mutter starrte immer noch, als hätte sie eine Erscheinung, und es dauerte ein Weilchen, bis sich langsam ihre Lippen aufeinander zubewegten, bis sie einen waagerechten blutroten Strich bildeten. Danach holte sie tief Luft und legte los. Ersparen sie sich und mir die Worte der geflüsterten Suada, die sich nun über mich ergoss. Sie zischte wie ein Dampfdruckkochtopf, der kurz vor der Explosion steht, oder besser gesagt, wie eine alte Lokomotive, die Überdruck ablässt. Lokomotive Leipzig. In ihrer Erregung vergaß sie sogar hochdeutsch zu schimpfen, wie sonst, wenn sie sauer war. Wie konnte man nur leise so laut keifen, so dass der ganze Raum es mitkriegte. Piano, piano! Auch so war das Ganze schon peinlich genug. Mir jedenfalls. Flucht war sinnlos. Und so löffelte ich brav die Suppe, die ich mir selbst eingebrockt hatte, bis zum letzten Quentchen aus. Ohnehin sah sie jetzt viel appetitlicher aus, man merkt doch gleich, was ein bisschen Farbe ausmacht. Farbe bringt Farbe ins Leben, befreit vom grauen Alltag.
Ich wünschte, ich wäre gar nicht hier, weit fort, am besten dort, wo die Sonne, die farbenprahlende - äh, prangende ... Ich war wieder eingeschlafen. Rudi rüttelte sanft an meinem Arm, das Hauptgericht war eingetroffen und Mutter hielt zwangsweise einen Augenblick mit dem Diavortrag inne. Kinder - Miracoli! Kurze Pause.
Danach ging die Stimme der Kritik in Zimmerlautstärke weiter, so dass ich nicht solche Schwierigkeiten hatte, immer wieder mal einzunicken.
Auf den Nachtisch verzichteten wir großzügigerweise, das Essen war nicht so besonders gewesen, nur Rudi hatte sich zufrieden gezeigt. Wir gingen nie wieder hin. Erst als Karl Lagerfeld das Schloss innen und sich außen restauriert hatte, und es sich Vier Jahreszeiten nannte, trieb mich die Neugier, und es war ganz reizend geworden.
Mutter aber sprach die nächsten Jahre nie wieder vom Zusammenziehen, was zwar sein Gutes hatte, aber in dieser drastischen Form wirklich nicht beabsichtigt war. Schon am nächsten Tage reiste sie ab und stand erst zu Weihnachten wieder vor der Tür. Allerdings währte dieser Besuch auch nicht allzu lange, da sie noch am heiligen Abend ihre Abreise beschloss. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ach, und übrigens! Der Schildkrötenpanzer wird nicht mitgekocht, diese Botschaft aus der Küche wäre mir fast entfallen.
DER KNALL
Auch die Ehe des Bruders war gelöst worden, der Bund fürs Leben gebrochen. Um die Ausgleichszahlung