Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3. Karl Michael Görlitz

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Название Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3
Автор произведения Karl Michael Görlitz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844231502



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pfeifend mit feiner Leberwurst, die in die geretteten Feinkostterrinen abgefüllt und mit zerlassener Butter als Deckschicht übergossen wurden, was täuschend echt aussah. Dafür band ich extragroße Schleifen mit allerhand weihnachtlichem Suppengrün darum und wars zufrieden. Leberwurst im Festtagskleid, hoffentlich war niemand beleidigt.

      Für Rudi und mich war auch noch ein winziges Schälchen der Originalmasse übriggeblieben, die Heiligabend verzehrt werden sollte.

      Die Beschenkten zeigten sich entsprechend begeistert. Wunderbarer Geschmack. Einzigartig. Unvergleichlich! So tönte es mir entgegen, als ich später nachfragte. Na bitte! Mit ein paar Tropfen Cognac hatte ich die Leberwurst beim Durchmengen französisiert. Niemand merkte auch nur das Geringste. Nur Kollegin Paula vertraute mir später an, dass ihre Erwartungen an diese Delikatesse wohl ein wenig zu hoch gegriffen gewesen waren. Es hätte zwar ausgezeichnet geschmeckt, aber eigentlich auch nicht viel anders als besonders feine Leberwurst. Womit sie unbedingt recht hatte, denn ich hatte die Gute im Golddarm verwendet.

      So rückte der heilige Abend heran, und im traulichen Kerzenschein saßen Rudi und ich uns gegenüber. Zwischen uns bog sich der Tisch unter der Last der angehäuften Delikatessen. Von Aal bis Zunge (natürlich vom Kalb) war alles vorhanden, was das Herz begehrte. Nur die Liebe nicht. Die hatte Ausgang und feierte woanders. Nicht nur Lebensmittel türmten sich zwischen uns, sondern auch ein Haufen unbeantworteter Fragen, die zu stellen keiner wagte. Es lag eine fast greifbare Spannung im Raum, die keiner von uns ansprechen mochte, und so schwiegen wir uns an und quälten uns durch das anspruchsvolle Menü. Welcher Idiot war nur auf die blöde Idee gekommen, solche Haufen von Lebensmitteln für drei Tage zu horten. Fischstäbchen in Leberkuchensauce hätten es bei Rudi genau so gut getan. Ach welch vergebliche Müh, durch seinen Magen ging die Liebe jedenfalls nicht.

      Sogar einen Tannenbaum hatten wir in dem noch leeren Erkerzimmer aufgestellt, und darunter lagerte ein beachtlicher Haufen bunt verpackter Geschenke. In Ermangelung des klassischen Christbaumschmuckes war ich auf die Idee gekommen, einen italienischen Baum zu kreieren. Schließlich ist man Künstler und muss ausgetretene Wege nicht noch breiter latschen. Also hingen statt Lametta gekochte Spaghetti an den Zweigen, was genau so festlich aussah. Dazwischen glänzten in weihnachtlichem Rot getrocknete Tomatenviertel und in grobem Salz gerollte Fleischklößchen.

      Geriebener Parmesan zauberte die Andeutung von frisch gefallenem Schnee auf das winterliche Grün, und wir fanden es hinreißend originell. Mit den duftenden Bienenwachskerzen dazwischen sah der Baum wirklich traumschön aus, nur das der Duft nicht ausreichte, den etwas strengeren Geruch des Reibekäses zu überlagern. Genau genommen, roch unsere gesamte Wohnung so, wie die Kantine an Tagen, an denen es Spaghetti Bolognese gab, was mich stets bewog, den Räumlichkeiten fern zu bleiben. Frisch gerieben geht dieser Käse ja noch, aber was die Industrie an getrocknetem Pulver bereit hält, ist eine Beleidigung nicht nur für die Nase. Da hatte ich wieder an der falschen Stelle gespart. Rudi an der Richtigen, denn wie sich herausstellen sollte, hatte er unser altes Werkzeug säuberlich verpackt, und jedesmal, wenn ich einen Hammer oder zerkratzten Schraubenzieher auswickelte, krähte er vor Vergnügen und gluckste dazu:

      »Siehst du, nur Praktisches unter dem Baum.«

      Himmeldonnerwetternocheinmal! Es fiel mir schwer, Haltung zu bewahren bei dem Ulk, denn so wie er sich benahm, war noch eine wirkliche Überraschung zu erwarten. Ein Verlobungsring? Ein Nerzmantel? Ein Schloss in den Karpaten? Bei jeder Niete, die ich zog, steigerte sich die Erwartungshaltung noch ein wenig. Ich hingegen hatte mich an die Abmachung gehalten und wirklich Nützliches erstanden. Langweiligen Kram, wie einen Teppichboden für sein Zimmer und Bettwäsche mit Donald Duck drauf, für die er so schwärmte. Eine Micky Maus als Halter für eine elektrische Zahnbürste, die bei Gebrauch losschmetterte:

      »Brush your teeth, brush your teeths everyday, brush and brush and brush, what's the one and only way.«, oder so ähnlich. Die enervierende Melodie hab ich besser behalten, als die hinfort quäkende Stimme. Alles so praktisch hier.

      Schließlich durfte ich das letzte Geschenk auspacken, zu welchem er mich sorgsam dirigiert hatte. Für ein Schloss in den Karpaten und auch für den Nerz war es entschieden zu klein, und für einen Verlobungsring entschieden zu groß. Sicherlich war es etwas aus dem Antiquitätenhandel, meine Leidenschaft war ihm ja nur zu gut bekannt. Platten und Bücher, über die ich mich ebenfalls freuen konnte, schieden schon wegen der Form aus, außerdem fühlte es sich weich an und zerfiel in zwei Päckchen, als ich es aufriss. Das konnte nur was zum Anziehen sein. Na, egal, das ist ja auch was Nützliches.

      Als ich nun die Päckchen öffnete, fielen zwei Stoffpuppen heraus. Ich dachte, mich rührt der Schlag. Puppen! Ausgerechnet Puppen! Außer den Kasperle- Figuren in der frühen Kindheit hatten die kleinen Gesellen noch am allerwenigsten interessiert - eher im Gegenteil. Mein Bruder Peter sollte, nach Mutters Wunsch, eigentlich ein Mädchen werden und wurde mit Puppen immer wieder bedacht, die ich ihm nur zu gern überließ. Später waren es dann lustige Plüschtiere, und noch mit achtzehn Jahren fand sich ein schnurrender Kater zum Aufziehen auf seinen Gabentisch, mit welchem er gemeinsam die Augen verdrehte.

      Stoffpuppen! Dazu noch welche, die unverkennbar aus der DDR stammten, wie die Trikotagenknautschgesichter bewiesen. Machten sie drüben die doofen Dinger etwa immer noch? War denen noch nichts Besseres eingefallen? Ich erinnerte mich nur allzu gut an die ärmlichen Nachkriegsmodelle aus alten Strümpfen, meist mit Laufmaschen am Hinterkopf oder anderswo, die den eigentlichen Verwendungszweck nicht mehr zuließen und so der Resteverwertung zugeführt wurden. Sie waren überall auf den Jahrmärkten zu finden gewesen und gehörten zu jenen Produkten, die es in der schlimmsten Mangelzeit reichlich zu kaufen gab und uns Brüdern damals nur ein verächtliches Lächeln entlockten. Armeleutespielzeug aus abgewetzten Flicken.

      Es war, als hätte mich ein Pferd ins Kreuz getreten. Ich rang um Fassung. Ich rang und rang. Noch weniger hätte er meinen Geschmack nicht treffen können, dabei kannte er doch meine Vorlieben.

      Eigentlich hätte ich ja vorgewarnt sein müssen. Jemand, der ständig seine Harlekinmarionette in Bettnähe aufhängte und mit seinem Plüschdelphin und Entchen in die Badewanne ging, während die Kuschelbären im Regal warteten, war möglicherweise doch kein passender Umgang. Vielleicht sollte Rudi erst einmal seine Kindheit hinter sich bringen. Da fühlte man sich glatt wie der böse Onkel mit einem Zwölfjährigen. Eigentlich passten wir schon fast extrem nicht zueinander. Zwischen uns lagen Welten.

      Zum ersten Mal erfasste mich tiefe Mutlosigkeit. Solche Gegensätze, wie bei uns, waren wohl doch nicht zu überbrücken.

      Zwei Puppen!! Wie putzig - nein pupsig. Eine Oma, sitzend mit Kaffeetasse aus Karton, und Drahtbrille. Und ein Opa im Ausgehmantel, mit Pappzigarre, einen Regenschirm schwenkend. Oma bleibt zu Hause und hat die Schürze umgebunden. War das eine Allegorie auf das, was uns bevorstand? Gemeinsam alt werden war als Idee ja ganz nett, aber warum ein so konventionelles Pärchen - und wen sollte die Oma darstellen? - Doch wohl hoffentlich nicht mich. Das war eine Rolle, die mir dermaßen fremd war, dass mir grauste. Auch wenn ich in der Küche mit den Töpfen hantierte, alle berühmten Köche waren Männer. Oder sollte der unternehmungslustige Greis mich symbolisieren, mit halbgeöffnetem Mantel und keck geschwungenem Parapluie? Wohl eher nicht, so ausgehfreudig wie Rudi sich gebärdete.

      Hübsch und aufwendig hergestellt waren die neuen Hausgötter ja, das musste selbst ich zugeben. Und von billig konnte bei ihnen wohl kaum die Rede sein. Irgendwo im KaDeWe war ich über ähnlich kartoffelnasige Monster gestolpert, die an die Nachkriegsjahre erinnerten, und war stehen geblieben, um den heutigen Preis abzulesen. Der war dermaßen gepfeffert gewesen, dass ich regelrecht erschrocken weitergeeilt war. Waren die teuer! Das war Wucher der unverschämtesten Art.

      Erich und seine Genossen ließen sich die Handarbeit aber kräftig bezahlen. Oder wurden die gleich mit Gold aufgewogen, wie Porzellan aus Meißen? Plötzlich tat es mir um das viele Geld leid, das nutzlos zum Fenster hinausgeschmissen war. Hätte er wenigstens nicht zwei Kerle genommen, als Symbol für gemeinsames Altern! Aber so erfüllte es eigentlich den Tatbestand der Majestätsbeleidigung mit mir als Heimchen am Herd. Von dem rausgeworfenem Geld hätten wir auf die Balearen fliegen können, um dort zu feiern, ach was sag ich – zu überwintern.

      Wut quoll in mir auf, die sich nur