Название | Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3 |
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Автор произведения | Karl Michael Görlitz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844231502 |
Andreas, der Wirt, schnurbelt höchstpersönlich heran. Früher sollte er als äußerst attraktiver Mann gegolten haben, das war heute schwer zu glauben. Glaubet und hoffet, ein Kind ist euch heute geboren. Wir kannten uns noch nicht so besonders gut und das sollte auch so bleiben.
Andreas war feist, allerdings nicht auf die schwammige Art, sondern mehr in Richtung Kernschinken. Sein Kopf schien mit in die Breite gewachsen zu sein, hatte aber eine gewisse Kantigkeit in den Konturen nicht eingebüßt. Kurzer Hals, Stiernacken, Quadratschädel. Sah man ihn, wollte man nicht glauben, daß er als glamouröser Mittelpunkt der berühmten Tuntenbälle in atemberaubenden Frauenfummeln auftrat. Vom Türsteher und Rausschmeißer im legendären Kleist-Casino hatte er sich hochgearbeitet zur eigenen Kneipe, wie übrigens fast alle ehemaligen Mitarbeiter, die ihrerseits ebenfalls Szenebars eröffnet hatten, während ihr ehemaliger Chef in die Pleite segelte. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Andreas war Mitbegründer der berühmten Tuntenbälle, die er mittlerweile allein ausrichtete, oder besser gesagt, mit seinem Exfreund, dem er bei der Trennung einen Saunabetrieb als Morgengabe hinterlassen hatte. Man munkelte, dass er mittlerweile mehrere Kneipen besaß, außerdem betrieb er noch eine Künstleragentur, die für das hochkarätige Bühnenprogramm der Bälle zuständig war. Ein wahrhaft umtriebiger Charakter, der knallhart war, sich aber gern mütterlich gab. Wir sind doch alle eine Riesen-Familie, und er die große Mutter mit dem weiten Herzen. Eine Mutter war er schon - aber lediglich im Getriebe der Berliner Restwirtschaft, deren Väter längst in Westdeutschland weilten, um den warmen Subventionsregen zu kanalisieren.
»Oh, ganz allein heute? Und fröhliche Weihnachten aber auch.«, flötete es aus ihm wie aus einem siedenden Wasserkessel. »Aber, aber, Mike, du wirst doch keinen Ärger haben, und hier hab ich auch was Extraschönes für dich, mein Extrasüßer. Und gleich kümmere ich mich persönlich um dich, sobald ich mein Glas mit den Herrschaften dahinten geleert habe.«
Ich zuckte mit keiner Wimper bei dieser Drohung und betete innerlich, dass der verdammte Apotheker bald eintrudelte. Leider wurden meine Gebete nicht erhört. Sich mit dem Freund zu verabreden, war meistens das reine Vabanquespiel. Er neigte zu Nachlässigkeiten. Aber ausgerechnet heute! Am Telefon hatte er noch schallend gelacht, als er unsere Unstimmigkeiten andeutungsweise mitkriegte, aber mittlerweile hatte er sich es wohl anders überlegt. So richtig verübeln mochte ich es ihm auch nicht. Aber als zuverlässigen Freund strich ich ihn endgültig von der Liste. Ohnehin war er immer mehr Rosas Verehrer gewesen, und ich eher gelitten.
Herby war nur was für die sonnigen Tage, den Rest blendete er geschickt aus. Bei sich und erst recht bei anderen.
Aber das sollte sich jetzt ändern, mit psychologischer Hilfe. Und es änderte sich auch - zumindest bei ihm. Er war vollkommen hingerissen von der Therapeutin, auf deren Couch er lag, während er Rede und Antwort stehen musste. Bei ihr ließ er sich privat analysieren, und das war überhaupt kein Schweinkram, wie man proktologisch vermuten könnte, sonder nur schweineteuer. Das zahlte seine Kasse nicht, aber das war es ihm erklärtermaßen wert. Vierzig Eier pro Stunde. Die Dame nahm es von den Lebendigen, wie man so schön sagt, da Tote ohnehin zu Zahlunsverweigerung neigen.
»Ungeheuer, was da rauskommt, du musst unbedingt auch sowas machen«, hatte er einmal geschwärmt, bevor mich sein Blick flüchtig streifte und er fortfuhr: »Allerdings gehört eine gewisse Intelligenz zur Analyse, die nicht jeder mitbringt.«
Wen hatte er eigentlich gemeint?? Die Therapeutin oder sich? Ich schied von vornherein aus. Wie ich mehrfach erklärt hatte, war ich ohnehin zu dumm dazu. Außerdem war ich mir soviel nicht wert, obwohl ich privat versichert war und mich längst aus Vaters Familienvertrag herausgelöst hatte, dessen langes Bestehen mir den günstigsten Tarif bescherte. Sogar eine Krankenhaustagegeldversicherung war abgeschlossen worden, mit Hinblick auf Mutters Vergünstigungen. So seriös war ich geworden, und natürlich auch viel bescheidener. Hundertfünfzig Mark am Tag war zwar nicht die Welt, aber nach damaliger Kaufkraft auch nicht gerade wenig, falls es mal zum Fall der Fälle kommen sollte. Ich ging auf die Vierzig und die sogenannte Midlife-Krisis zu, wäre ich ein wenig pekuniär getröstet.
So ein Mist aber auch mit diesen Stimmungskanonen um mich herum. Noch zehn Minuten Wartezeit und ich war genau so depressiv.
Was für ein Werbegeschenk hatte mir Andreas eigentlich ins Patschehändchen gedrückt? Für einen Kalender, wie im letzten Jahr von Vatern, war es zu klein. Oder war es ein Taschenkalender? Ich war es nachgeradezu leid, Begeisterung zu heucheln für etwas, das ich nicht gebrauchen konnte. Nicht nach diesem Abend, und deshalb hatte ich etwas gezögert mit dem Auswickeln. Ein Taschenrechner kam zum Vorschein. Ohne Werbeaufdruck und ohne Batterie. Solarbetrieben! Als er aufgeklappt wurde, sprang er gleich an. Sogar das wenige Kunstlicht über der Bar reichte, um damit zu arbeiten. Genau so einen hatte ich immer haben wollen. Mann! Wieder einmal hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht! Andreas, ich liebe dich.
DIE MÜHEN DER EBENE
Natürlich versöhnten wir uns wieder. Ich war noch durch mehrere Schwulenkneipen getingelt, nachdem Herby überhaupt nicht aufgetaucht war und hatte überall die gleiche Stimmung angetroffen, bis mir selbst die Öhrchen soweit herunterhingen, dass sie beim Gehen störten und ein Taxi nötig wurde.
Vielleicht war der Apotheker zu Rudi geeilt, um besser diesen zu trösten. Nicht zum ersten Mal hatte er mehr Interesse an Rudi als an mir gezeigt, Nein, nichts, nada! Von Empfehlungen des Vermissten ließ ich mich nicht noch einmal verleiten. Von wegen Berlin feiert am heiligen Abend wie Paris! Nie wieder eine derart niederschmetternde Erfahrung. Wenn schon allein, dann doch wohl besser eine Schlaftablette oder die Mitternachtsmesse, aber kein Abhängen in der Kneipe. Rudi hatte seinen Schock überwunden und zeigte sich erheitert über den reumütigen Bericht. Nur mit Räucheraal stand er ein paar Jahre auf dem Kriegsfuß, ebenso mit Lachs. Dabei hatte die Farbe ihm gut gestanden.
Silvester, seinen Geburtstag, hatten wir ebenfalls ohne nennenswerte Verluste überstanden. Eher im Gegenteil. Wir hatten die erste gemeinsame Party einigermaßen erfolgreich geschmissen. Kollegen, neue Bekannte aus Berlin, einige alte aus Düsseldorf, der Nachbar von oben und die von der Seite vorsichtshalber auch. Es war ein launiges Miteinander gewesen und hatte frühmorgens im Metropol geendet, der angesagtesten Disco jener Tage.
Anfang des Jahres kam auch Rosa für einige Tage. Noch hatte sie nicht den Entschluss gefasst, wirklich mit der Trinkerei aufzuhören, und so wurde es eine sehr fröhliche Woche. Besonders Herby zeigte sich entzückt und führte seiner alten Freundin das Berliner Nachtleben vor, nur zu gern auch ohne mich, damit er allein mit Rosas frechem Mundwerk prunken konnte. Es war wie immer. Rosa tingelte mit dem Pharmazeuten ihres Vertrauens und den Erzeugnissen der Pharmaindustrie im Handtäschchen durch die Bars, während Herby den Nachschub regelte. Einige Male schlief sie auch gleich bei ihm, da der Heimweg zu lang schien. Noch immer wohnte sie in der Düsseldorfer Geibelstraße, wovon, war leider nicht ganz klar. Mir nicht und ihr wohl auch nicht, wie es schien. Manchmal zerriss es mir schier das Herz, aber was konnte man machen, wenn jemand nicht gewillt ist, die Selbstdemontage zu beenden. Ich rannte mit Schuldgefühlen herum und machte mir Vorwürfe, nicht konsequent genug gehandelt zu haben. Von vorn herein hätte ich keine festere Bindung zulassen dürfen.
Jetzt hatten wir den Salat. Aber das sagt sich immer so einfach und ist in der Praxis so schlecht durchzuhalten, außer man besitzt ein Herz von Stein. Also war mir gar nicht wohl, und mir verblieb die einzige Möglichkeit, nämlich abzuwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Ich selbst befand mich ebenfalls in einer kritischen Verfassung. Ohne chemische Krücken, wie allerlei Tranquilizer, kam ich selbst nicht mehr zurecht. So war ich heimlich ganz froh, als sie wieder abreiste und mich den eigenen Sorgen überließ, die auch nicht gerade klein waren.
Schon bald nahte Ostern und mit ihm auch Muttern. Vom Bahnhof Zoo ging es mit ihr direkt in die Mampe-Stuben. Die lange Zugfahrt hatte sie durstig gemacht, und nach einigen Cocktails dort, übersah sie gnädig die Dreckecken im gemeinsamen Haushalt, als wir endlich angelandet waren. In der Tat, es war noch einiges zu renovieren, aber der Rest sah schon ganz nett aus. Und auf ihrem alten Sofa fühlte sie sich fast wie zu Hause, besonders wenn sie ihren Home-Dress, die geliebte Kittelschürze,