Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3. Karl Michael Görlitz

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Название Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3
Автор произведения Karl Michael Görlitz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844231502



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mit Produkten des Discounters beschäftigte. Das fand ich reizvoll. Ich überlegte so lange, bis ein Buch namens Aldidente erschien. Das wars dann, und soll nur am Rande vermerkt werden, als Beispiel für die Duplizität oder Multiplizität der äquitemporären Inspirationen.

      Ich blieb lieber Gastgeber und aufmerksamer Beobachter, der sich über die Eitelkeiten der neunmalklugen Besucher heimlich amüsierte. Das gefiel mir ausgezeichnet und passte auch besser zu der Rolle, die ich im KaDeWe zu spielen begann. Die graue Eminenz im Hintergrund der Abteilung, denn neuerdings wurde meine Meinung zu fast allen gestalterischen Problemen eingefordert.

      Außerdem war da noch etwas, das mich regelrecht zwang, mehr im Verborgenen zu agieren. Dieses dumme Gefühl, nie ganz komplett zu sein und alles was ich tat, nur vorläufig so zu machen, bis der Chef wieder zu Hause war. Wie soll jemand, der innerlich so zerrissen ist, dass er zur Idee auch gleich das Gegenargument produziert, auch klar Stellung beziehen und vertreten. Das mach mir mal einer vor! Gleichzeitig Pode und Antipode, Ying und Yang - und Jung war ich auch nicht mehr.

      Ich hätte gern mehr mitgemischt. Einerseits war ich bereit, mit den Wölfen zu heulen, aber andererseits auch keine Heulsuse, also verlegte ich mich mehr auf das Beobachten. So blieb ich selbst nur eine Randnotiz im eigenen Leben, und dem der anderen sowieso.

      Aber ich begann daran zu arbeiten, denn ein halbes Leben war verstrichen, ohne Antwort zu finden, was diese merkwürdige Zwiespältigkeit verursachte. Zwei Jahre noch und ich war Vierzig. Höchste Zeit, ein wenig aufzuräumen in diesem seltsamen Leben. Das wäre vielleicht ein Thema für ein biografisches Werk ohne Happy-End, denn momentan sah es nicht danach aus.

      Rudi und Norbert kamen gut miteinander zurecht, auch wenn Tefelski nicht schwul war. Auf ihrem gemeinsamen Herd köchelte eine Suppe, die nie zu Ende ging, weil sie täglich mit frischen Zutaten verlängert wurde. Das sah gar nicht gut aus für die französische Kochkunst, denn beiden gefiel es so. Norbert besuchte mich öfters, Rudi kam schon seltener.

      Auch Dieterchen erschien regelmäßig, und in seinem Schlepptau der Clan der Intellektuellen. Herby brachte selbstverständlich seine leicht angestaubten Damen mit, von denen eine unter mittelschwerer Mannstollheit litt und jedem Schnurrbart hinterherstieg. Der Rest rekrutierte sich aus Kollegen, deren Partnern, und Zufallsbekanntschaften aus der Gay-Community.

      Meistens war die Bude voll und ich spielte Literatursalon und diskutierte, wie ehedem mit meinem Bruder, über Bücher, von welchen ich nur den Klappentext kannte, oder über Filme, von denen ich lediglich die Kritik gelesen hatte.

      Natürlich dauerte es nicht lange, bis auch neue Lover mein Heiabettchen wärmten. Zwar war ich wieder einmal in die Breite gegangen, aber noch recht ansehnlich, da ging es flott: Gino, aus dem Reisebüro, mit welchem ich einen Ausflug nach Potsdam unternehmen wollte und stattdessen auf Mallorca landete. Otto, der so eifersüchtig war wie dereinst Othello und mir fast das gleiche Schicksal bescherte wie seiner erwürgten Desdemona. Zum Glück hatte ich mich als stärker erwiesen. Hubert, die Schönheit mit dem Silberblick, dem ich im Schlaf ein blaues Auge verpasste, weil ich im Traum einen schweren Kampf ausfocht. Francois, aus der französischen Kochbrigade im KaDeWe, der nicht nur Crèpes herumwirbeln konnte, sondern auch sein interessantestes Stücklein, wie er im Lastenaufzug bewies. Um nur einige zu nennen. Und was man sonst noch so an One-Night-Stands als normaler Homosexueller mitbekommt, soll gar nicht erst erwähnt werden Es war nicht soviel Action wie bei anderen, in jenen sinnenfrohen Zeiten vor Aids, aber direkt keusch konnte man das wohl auch nicht nennen.

      Herby war eifriger Saunagänger und manchmal gelang es ihm, mich zu überreden. Da er stets fast sofort in den Danpfschwaden verschwand, um nur gelegentlich an der Bar wieder aufzutauchen, verkürzte ich mir natürlich auch die elend lange Wartezeit und mietete eine Ruhekabine in der unruhigsten Zone. Sogar im Darkroom hätte man mich einige Male erwischt, wenn was zu sehen gewesen wäre. Jugend forscht und Spätjugendliche erst recht.

      Ach ja, und dann gab es natürlich auch noch Lothar aus der Therapiegruppe, der lange Zeit Intimus wurde. Und Franziska, der eigentlich Frank hieß und gern Pinocchio gerufen wurde, weil sein Riechorgan (und nicht nur das) nicht ganz der Norm entsprach. Beide wurden für viele Jahre zu Nachfolgern, als Hausfreund Dieter mehr und mehr entschwand. Von Vereinsamung konnte also wirklich nicht die Rede sein, aber der Mensch denkt und das Herz lenkt. Verliebt war ich in keinen.

      Aber ich lernte langsam, mich von Rudi zu lösen und nahm das ganze etwas lockerer. Erst in Einzelsitzungen mit dem Jungarzt, zu welchem ich leider keinen Draht fand, und danach in einer Gruppentherapie, in der mir mit dem Leiter das genaue Gegenteil passierte. Wir wurden privat Freund und der Therapieansatz verrauchte in männlicher Prahlsucht.

      Norbert Tefelski fragte bei Rudi und mir an, ob wir nicht an seinem Magazin ein wenig mitarbeiten wollten, und so gestalteten wir zusammen zwei Titelseiten und ich schrieb eine Musikkritik, für die ich mich noch heute schäme.

      Die unruhigen 70er Jahre waren vorbei, mit ihren Studentenrevolten und Terrorzellen, dem Ölschock und der Essigkrise. Die Republik hatte sich wieder einigermaßen beruhigt, die Welt war immer noch nicht untergegangen, und auf unserer Insel erlebten wir nur noch die kleinen Nachbeben. Natürlich wurde immer noch demonstriert gegen dieses und für jenes.

      Dazwischen aber machte man es sich gemütlich, so gut es ging, und wem Wohnraum zur Selbstverwirklichung fehlte, besetzte ein leerstehendes Haus. Von diesen gab es mehr als nur einige, denn so mancher Immobilienbesitzer war auf die glänzende Idee verfallen, die mietpreisgebundene Altbausubstanz bis zur Abrissreife verkommen zu lassen, um sie hernach, neu aufgemauert, auf dem freien Wohnungsmarkt teuer weiter vermieten zu können.

      Die Sonnenallee war vielleicht nicht die beste Adresse, und viele stöhnten über die langen Anfahrtswege, aber sie kamen gern, wenn ich rief, und meistens war die Bude voll. So lernte ich auch einige Prominente kennen, wie den Filmemacher Frank Riploh, dessen Film Taxi zum Klo an der Kinokasse für lange Warteschlangen sorgte.

      Hausfreund Dieter hatte eine Rolle übernommen, eine kleine zwar nur, aber eine wichtige. Er spielte den Scheidungsgrund, dessentwegen die Partnerschaft der Protagonisten zerbricht. Dieser Schwulenfilm zog die Heteros gleich massenweise ins Kino, auch wenn sich so mancher Mann an der Kinokasse noch leicht genierte und ängstlich schaute, ob ihn nicht etwa Bekannte erwischten und die falschen Schlüsse zogen. Ganz so frei war das Thema eben doch noch nicht. Aber man arbeitete daran.

      Eine Filmrolle hätte ich auch gern gehabt. Ich war ganz sicher, einer solchen Aufgabe gewachsen zu sein, zumal nicht gleich der ganze Text hintereinander abgehaspelt wurde, sondern hübsch in mundgerechten Scheibchen. Damit fiel die größte Angst weg, nämlich die: hängenzubleiben vor Publikum. Schon der Gedanke daran, trieb mir kalten Schweiß aus den Pörchen.

      Rosa von Praunheim hatte ich verärgert, nachdem ich ihm dreimal hintereinander erklärt hatte, er sei zu mollig um die Hüften geworden, und der große Faßbinder beliebte keinerlei Notiz von mir zu nehmen, wenn er in der Knolle, einem Lederlokal, herumturnte. Ulrike Ottinger war es, die sich meiner erbarmte und mir eine kleine Rolle in ihrem nächsten Projekt anbot. Freak Orlando hieß der Film, in welchem ich einen Professor geben sollte, der im Kochtopf landet oder so ähnlich.

      Gesehen hab ich den Film nie, aus stummem Protest, denn mein Arbeitgeber dachte nicht im Traum daran, mir eine Woche Urlaub zu geben, um bei den Dreharbeiten mitmachen zu können. Für Butterbeck war Urlaub sowieso ein Reizwort, und er hielt seine Mitarbeiter ständig im Ungewissen, ob er seine Unterschrift auf den Urlaubszettel setzte. Trotz Planung zum Jahresanfang wussten diese meist bis zum letzten Tag nicht, ob sie wirklich zum beantragten Zeitpunkt verschwinden konnten. Und es war jedesmal ein Riesenaufstand, wenn jemand von den engen Mitarbeitern eine Reise gebucht hatte.

      Blödsinnigerweise hatte ich die Filmaufnahmen als Grund für die plötzliche Urlaubswoche angegeben und so konnte ich auch nicht krankheitshalber meine Abwesenheit erklären. Das wäre zu sehr aufgefallen, denn anscheinend wurde meine Weisheit täglich benötigt und der Alte kriegte Zustände, wenn ich mal nicht da war.

      Also sagte ich ab, voll innerem Groll, und das bis dahin ungetrübte Verhältnis zu meinem verehrten Vorgesetzten erhielt den ersten Knacks. Wenn viel zu tun war, und das war ziemlich oft, blieb ich freiwillig bis zum späten Abend,