Название | Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3 |
---|---|
Автор произведения | Karl Michael Görlitz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844231502 |
Ich hatte ja schon fast vergessen, mit welcher Energie geklagt werden konnte. Meine Zuneigung zu ihr war mit der Entfernung gewachsen, aber in natura kam sie gleich nach einem größeren Beben. Während sie, wie immer, über ihren Mann jammerte, den anderen Sohn schlecht machte und über die undankbare Tochter herzog, putzte und kochte sie, als wäre es ihr Haushalt. Ein neuer Staubsauger musste her und eine Waschmaschine blieb auch noch hängen. Vorbei die Zeiten im Waschsalon schräg gegenüber. Das war ja alles nicht so schlecht, nur die ewigen Klagelieder konnten unsereinen ihren Aufenthalt höchlichst verleiden.Und neuerdings hatte sie eine Art zu klammern entwickelt, die ziemlich unangenehm war. Sie belegte mich mit Beschlag, wo immer nur möglich, dass man das Gefühl kriegte, langsam in ihrer großzügigen Umarmung zu ersticken. Es war ja rührend, wenn sie morgens das Frühstück richtete und abends vom Dienst abholte, beziehungsweise in der Silberterrasse des KaDeWes auf mein Erscheinen wartete. Einzelne Abteilungsleiter grinsten schon, wenn sie uns beieinander sitzen sahen, oder blieben auf ein Wort stehen, um der eleganten Frau ein Kompliment zu machen. Dann lächelte sie strahlend und fuhr den Flirtmechanismus aus, wie ein alter Zirkusgaul beim Losschmettern der Trompeten.
Ja, das war ihre Welt, der überdimensionale Luxusschuppen und ihr Sohn, der so freundlich akzeptiert wurde, dass sie allabendlich um einige Zentimeter wuchs. Ich gönnte es ihr von Herzen. Von Anerkennung war ihr Lebenslauf nun wirklich nicht gerade überschattet gewesen. Der Ehemann und sein Sohn hielten sie schlichtweg für ein wenig unterbelichtet, obwohl sie irgendwie an ihr hingen, und die Tochter in Leipzig konnte ihren hohen Ansprüchen nicht gerecht werden. Natürlich eilte auch Jutta nach Ostberlin, um sich mit Mutter zu treffen und einige diskrete Scheinchen abzugreifen. Geizig war Mutter ja nie und insofern hatte sie nicht ganz so unrecht, wenn sie über die Undankbarkeit ihrer Brut klagte. Aber vom frühen Morgen bis zum späten Abend wurden die ewig gleichen Elegien zur Zumutung.
Als tibetanische Gebetsmühle hätte ihr eine große Zukunft offengestanden, aber da wollte sie leider partout nicht hin. Stattdessen klammerte sie sich an ihren so plötzlich über alles geliebten Sohn und ließ den unermüdlich laufenden Strom von Verurteilungen über dessen Haupt plätschern, Rudi inbegriffen. Selbst vor dem Fernseher versiegte er nicht. Ab achtzehn Uhr bot ihr das zweite Programm Ablenkung von den Grausamkeiten des Tages, die lustigen Mainzelmännchen mussten es unbedingt sein, vom ersten Programm hielt sie überhaupt nichts, da war sie von seltener Markentreue. Egal was lief, sie redete sich den Ärger vom Herzen, während sie sich langsam mit Sekt vollsog wie ein trockener Schwamm. Es war zum Verzweifeln! Nachrichten und Fernsehspiele kriegte man nicht richtig mit, weil sie nicht aufhörte zu reden. Sich zu entfernen, um ein Buch zu lesen, grenzte an Hochverrat.
Kein Wunder, dass ich die shoppingmüde Frau am Abend ins Theater oder Kino schleppte, wo sie gezwungenermaßen ihren Redefluss eindämmen musste. Oper war dafür gut, ganz ausgezeichnet sogar, weil sie so lange dauert, ganz besonders die Werke von unserem geliebten Richardle. Anfangs zischten die Leute wütend, wenn sie einen halblauten Kommentar flüsterte, und erschrocken fügte sie sich und blieb stumm. Ruhe und Frieden, während auf der Bühne die Götterdämmerung krachte, dass sich die arme Frau in Reihe eins gelegentlich die Ohren zuhalten musste, um der fürchterlichen Plautzmusike (O-Ton) zu entgehen.
Dafür kriegte sie spätabends noch ein feudales Abendessen in einem der gehobenen Restaurants im Umfeld des Theaters, wo sie mit dem Kellner flirten konnte und kein Fernseher bei der Nahrungsaufnahme störte. Das blieb auch bei späteren Besuchen so, obwohl sie viel lieber zu Hause beim Zwoten gesessen hätte, um das Fernsehspiel der Woche nicht zu begreifen.
»Ich gomm da gar nich rin!«, war ihr beliebter Kommentar dazu. Was Wunder auch, wenn ihre Gedanken wieder einmal bei der Geldverschwendung des Gatten weilten. Da half nur noch Flucht. Besonders, nachdem sie mir wiedermal den Vorschlag, uns den Haushalt zu führen, unterbreitet hatte. Hilfe - rette sich wer kann!
Von ihrem Ehemann hielt sie nicht mehr viel und redete ständig über Scheidung - und ihre Bereitschaft, sich den Kindern zu opfern. Niemand wollte ihr Opfer, zumal sich in Nullkommanichts die Verhältnisse gewendet hätten. Schon so kriselte es genug zwischen Rudi und mir, gemeinsam mit Mutter wäre ich ihn im Handumdrehen wieder los. Und niemand im Leben wäre noch bereit, mit mir jemals zusammenzuziehen. Der Typ mit Mutti!
Und am schlimmsten war die Klammerei. Keine fünf Minuten konnte sie allein bleiben, stets auf der Suche nach Gesellschaft. Ich höre noch immer das ständige:
»Was machste denn gerade???«
»Mutter, ich sitze gerade in der Badewanne und onaniere.«
»Muss das denn gerade jetzt sein, ich hab mir doch ooch mein ganzes Leben den dreckchen Säx verkniffen!«
Och nö, lieber nicht. Bei ihr durfte sich nur der Hund verlustieren, der schließlich natürliche Reflexe besaß - Menschen eher nicht, das war selbstverständlich Schweinkram.
Also flohen Rudi und ich am Ostersonntag in die Disco, nachdem die Grundgute endlich schläfrig geworden war und sich ins Heiabettchen trollte.
Es wurde eine lustige Nacht, zumal ich einige Helferzellen, aus Rosas Vorrat, abgezweigt und verwahrt hatte. Natürlich nur zu Testzwecken. Wurde ich immer noch depressiv? Nein, diesmal war ich wieder vorschriftsmäßig munter geworden. Supermunter sogar! So munter, dass wir bis zum Morgen durchhielten und anschließend noch in den falschen Bus stiegen, der nur bis Tempelhof fuhr. Das fanden wir dermaßen komisch, dass wir lachend am Platz der Lustbrücke noch eine offene Kneipe aufsuchten, um ein offenes Wort miteinander zu reden, was ungefähr bis Mittag dauerte.
Zu Hause war dann Polen offen, denn Mutter kreiste schon seit neun um den festlichen Frühstückstisch, und die Ostereier waren längst kalt geworden. Mufften eben neue in den Offen. Ein biffchen nuschelten wir schon und Rudi war todmüde, während ich immer noch sehr lebendig war.
Es war ein Frühlingstag wie im Bilderbuch, die Sonne lachte hinter den Gardinen, die sich nicht aufziehen ließen, weil sonst auch die ungeputzten Scheiben zum Vorschein gekommen wären. Das ließen wir mal besser zu, vor allem schmeichelte das diffusse Licht viel mehr dem Teint. Wenn sie Sonne haben wollte, konnte sie ja auf dem Balkon sitzen, wir brauchten sonne olle Sonne nicht. Wir waren mehr für Bierlaternen und gedämpftes Licht. Am besten stark eingedämpffft. Nun seiet nicht gar so ungehalten, werte Frau Mutter, schließlich ift Ostern! Und darüber sollten wir unf freuen. Ffreue dich, jesaja, denn fiehe, der Frühling ist gekommen und läfft sein blaues Band flattern über Berg und Pfand.
»Du solltest wohl besser ins Bett gehen!« Wifo?? Immerhin hatte ich doch erst ein Brötchen verzehrt und ein Ofterei, ein kaltes Hartes, und kein warmes Weiches. Ich hasse harte Eier, seit ich als Kind einmal zwei Dutzend gefuttert habe. Igitt! Wo ich fo um Weiche gebeten habe, jeftt waren sie innen grün, wie die Heide. Heide witzka. Heia. Helau.
Ich überdaffte noch einmal den Forschlag. Heiabettchen war nicht schlecht zum Abchillen. Ich brauchte Schlaf, genau, das war der Menschheit Abchillesferse. Eine Mütze Schlaf. Und das war überhaupt kein Problem, dank Prinzessin Valium, in deren Armen sich ganz ausgezeichnet träumen ließ.
Schloss Gerhus im Grunewald war die eleganteste Adresse für ein festliches Menü.. Wer auf sich hielt, feierte dort seine Hochzeit. Und Mutter hatte einen Fisch, äh, Tisch bestellt. Für wann?- 19 Uhr! Mann Mutti, ist das nicht ein bißchen früh? Anständige Berliner gingen nicht vor 20 Uhr, nur Provinzgänse futterten um diese Zeit!Das hieße ja, spätestens um Sechs reisefertig zu sein und das würde aber knapp mit dem Abend-Makeup. Nun aber flott in die Daune gewickelt. Am besten nahm ich gleich drei von den winzigen Dingern, das bringt sofort wieder runter.
Ich fiel in den Schlaf wie in einen endlosen Brunnen. Ganz unten stand Mutter im Brautkleid mit Schleier am Herd und briet Gesottenes - was immer das auch war. Langsam verstummte der Brautchor aus Lohengrin und ich sang: »Das holde Lied verhallt. Wir sind allein. Zum ersten Mal allein.«
Mutter hielt mir drohend den Pfannenwender unter die Nase. »Was wills'dn damit saachen?«
Ich stutzte im Traum. Im Traum war ich genau so schwer von Begriff wie im realen Leben. » Wees ich ooch nich!«, antwortete ich deshalb.