Название | Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3 |
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Автор произведения | Karl Michael Görlitz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844231502 |
Tieglein, Tieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?- Mutti natürlich! Als Kind hatte ich andächtig zu ihr gesagt: »Wenn ich einmal heirate, muss sie aber mindestens genau so schön sein wie du.« Wie oft hatte sie diese krasse Fehleinschätzung herumerzählt. Wieder und wieder, und nun hielt sie mir den Tiegel entgegen, in dessen blanken Boden sich mein angstverzerrtes Gesicht spiegelte. Dabei tropfte völlig ungeniert das gesottene Gebratene auf den schwarzweiß gekörnten Terrazzoboden der Küche, wo es zerspellte. Hartgesotten!
»Ich bin immer für dich da, mein Sohnemann, unn ich führ dir's traude Heem.«, trällerte sie dazu und reimte weiter: »Mitt'n Säx, daß laß mer sein, denn da guggen wer erschma, unn dann machen wir uns Zwee, unn dann machen wir uns Zwee im Leehm ma so richtsch schön bequem.«
Oh Mutter, nicht einmal das Versmaß stimmte, und das sagte ich ihr auch. Und plötzlich schwoll sie an, wie ein wütender Flaschengeist, und ragte drohend in den unendlich schwarzen Himmel. Auch ihre Stimme schwoll mit und dröhnte wie der Bass im Metropol, der nicht nur im Magen vibrierte.
»Jetzt wär ma nich so frech, mei Klääner!«
Wie eine verlangsamte Tonspur wurde ihre Stimme zum tiefen Bass und ich war bass erschrocken. Ich versuchte zu fliehen, jedoch das Hartgesottene am Boden wollte mich nicht ziehen lassen und zog seinerseits, bei jedem Schritt, der wie in Zeitlupe erfolgte, gummiartige Fäden aus dem wirbelnden Muster des Fußbodens. Das ehemals gleichmäßige Terrazzo-Dessin aus schwarzen und weißen Punkten ordnete sich, nach wilden Pirouetten, immer wieder neu und erstarrte dann für einen Moment zu einem anderen phantastischen Horrorbild. Höhnische Fratzen, bleckende Mäuler, Lippen von denen der Schaum troff. Uuuaah - in welchem Film war ich denn hier gelandet?
Die Bilder wechselten in immer schnellerem Rhythmus, bis der ganze Boden flackerte und die Einzelbildschaltung nicht mehr erkennbar war. Als würde der Boden brennen!
Nein! Es brannte tatsächlich, und nicht nur unter den Nägeln - auch unter den Füßen. Und der Boden wurde mir zu heiß und ich kam nicht richtig weg und der Schatten über mir drückte meine Kehle zu und mich würgte eine Hand, die mir gänzlich unbekannt. Und mein wilder Schrei erscholl:
»Mann, hab ich die Nase voll!!« Und von oben dröhnt es mit Gedröhn: »Komm, wir machen uns jetzt schön!»
Blitzartig war ich wach, herausgerissen aus dem Sekundenschlaf. Aber der Alp hielt an.
»Komm, wir wollen uns doch ein bisschen nett machen, steh auf.«
Auf Normalgröße geschrumpft, oder war sie noch etwas kleiner geworden, stand Mutter am Lager und trieb zur Eile. Der Wecker hatte noch nicht einmal geklingelt und zeigte stur auf halb Vier. Rudi stellte ihn regelmäßig etwas vor, damit wir ja nicht zu spät zur Arbeit erschienen. Also war es gegen Drei.
Na Hilfe, was hatte die Frau denn nun schon wieder vor? Wollte sie etwa zu Fuß in den Grunewald, im Sturmgepäck noch ein paar Hardeggs als Wegzehrung? So schön konnte man sich in den drei Stunden bis zum Abmarsch doch gar nicht machen, bis dahin war meine dezente Gesichtsbräunung schon längst wieder überholungsbedürftig. Mutter legte ohnehin nur Lippenstift auf, nicht einmal Wimperntusche. Die Basedowaugen und für immer ausgezupften Brauen verbarg sie hinter einer dunklen Brille, wie Heino.
Hat man in diesem Haushalt denn nie seine Ruhe?
»Komm Mimi, mach schon, sei lieb und steh auf!«
Wenn sie mich mit meinem alten Kosenamen aufs Betteln verlegte, hätte sogar Lazarus nicht widerstehen können und wäre geflohen. Also erhob ich mich auch und wandelte. La Somnambule von Bellini war geradezu ein Ausbund von Fröhlichkeit gegen mich und Zombies ein Haufen ausgelassener Kinder. Herr Romero wäre begeistert gewesen. Sollte ich mir Pflaster auf die Lider kleben, damit die Augen offenblieben? Ständig fielen sie wieder zu. Ich schaffte es bis zum Sofa. Dort sank ich nieder, was weniger feinfühlige Autoren als Plumpsen geschildert hätten, um noch ein halbes Schläferstündchen mit Morpheus zu vertändeln.
Was soll ich sagen, um halb sieben war ich tatsächlich in Hemd und Krawatte, und zur vollen Stunde auch in der Hose. Mutter kämpfte derweil mit Rudis Unterstützung gegen einen leichten Nervenzusammenbruch. Noch im Taxi murmelte sie unzusammenhängendes Zeug wie:
»Ja noch nie erläbt... Transuse... hochheiliger Festtag... bin ich nicht schon gestraft genug...«
Sie beruhigte sich erst wieder, als wir durch die Halle des Restaurantschlosses schritten, die nicht annähernd so pompös wirkte wie im Reiseführer. Zwar führte eine beeindruckende Treppe schräg nach oben, aber der Gesamteindruck war eher muffig.
Dunkles Holz, dunkle Vorhänge, verräucherte Tapeten. Ein wenig Frische hätte hier wohl gutgetan. Hoffentlich war das, was hier auf den Teller kam, nicht auch so gut abgehangen, wie das Ambiente.
Im eigentlichen Restaurant herrschte gähnende Leere. Die vier oder fünf besetzten Tische änderten daran nicht viel. Warum nur hatte der Manager einen solchen Aufriss bei der Vorstellung gemacht? Der Mann hatte so getan, als könnte er nur mit Mühe noch einen Platz im Saal vergeben. Selbst jetzt musste er in einem gewaltigen ledergebundenen Journal nachblättern, wo er unsere Wenigkeit platzieren sollte und führte uns anschließend zu einem Tisch, der Mutter prompt missfiel.
Sie wollte ans Fenster, und so wie es aussah, sprach wenig dagegen. Wieder musste der Mann in seiner Hausbibel nachschlagen und studierte sie geraume Zeit, bis er zustimmend nickte und den verlangten Tisch gewährte.
Hatten die einen Knall hier, wie unliebsame Pauschaltouristen sahen wir wohl kaum aus. Mutter war, wie immer, geradezu die Verkörperung städtischer Eleganz. Mittlerweile hatte sie zu einem Stil gefunden, der zeitlos war, aber mit edelsten Materialien und schlichten Schnitten punktete. Anziehen konnte sie sich, auch wenn sie sonst nicht viel beherrschte.
Kellner knickten sofort ein, wenn die kostbar Gewandete erschien. Dieser hier war offensichtlich blind. Altersschwäche und Blindheit gehen nur zu oft Hand in Hand, und dieser hier träumte wohl noch immer von Romy Schneiders Hochzeit hier im Hause, oder was sonst noch an Prominenz erschienen war. Hallo, die Dame war längst tot und die Dame vor ihm kurz davor, zu explodieren. Die einstündige Verspätung war ja wohl hinnehmbar in dieser Ödnis.
Er stolzierte voran mit gravitätischen Schritten, drei majestätische Speisenkarten im Arm, die am gewünschten Platz niederlegte, als enthielten sie unseren Adelsbrief. Danach zog er sich zurück, wahrscheinlich in den Ruhestand, denn fortan ward er nicht mehr gesehen. Sieg und Platz für cher Maman.
Ein Kellner eilte herbei und nahm die Vorbestellung für den Apperitif entgegen, gleichzeitig leierte er die Empfehlung der Küche herunter. Wir winkten ab. Was dringend weg musste, brauchte nicht unbedingt in unseren Mägen zu landen. Lieber etwas von der Karte. Rudi schien enttäuscht, wieder mal kein Sauerbraten zu finden. In fast jedem Restaurant bestellte er dieses Gericht, sofern es auf der Karte stand, und jedesmal war er unzufrieden mit der Qualität. Rheinischer Sauerbraten gehört nun einmal nicht nach Berlin. Was Wunder, wenn das Fleisch nicht lange genug eingelegt wird, so dass es jedesmal wie ein gewöhnlicher Rinderbraten mit saurer Soße daherkommt.
Rudi wollte es einfach nicht glauben, genau so wenig, wie das mit den dunklen Socken in der weißen Kochwäsche. Beratungsresistent! Mittlerweile zuckte ich nur noch mit den Achseln, wenn er rheinisch anfing, und vielleicht fand er ja eines Tages ein Lokal, wo der Braten mundete. Bis dahin kochte ich ihm zu Hause gelegentlich sein Leibgericht, welches er allerdings allein verzehren musste, weil mir davor grauste. Dieser Mann mit seiner Vorliebe für Essig! Im Osten Soljanka und Rotkohlsalat, im Westen Sülze und Sauerkraut. Beim Chinesen Schweinefleisch süßsauer. Und beim Italiener alles, was nur im entferntesten mit Tomate zu tun hatte. Man konnte die Uhr danach stellen, so zuverlässig äußerte er seine Wünsche. Immerhin besaß er mittlerweile tadellose Tischmanieren, wir hatten auch fleißig geübt.
Seltsam, nie so müde gewesen wie heute. Hatten die nicht auch Hotelzimmer hier, mit breiten