Название | Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3 |
---|---|
Автор произведения | Karl Michael Görlitz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844231502 |
»Du führst mich in die Geheimnisse der Grafik ein und ich dich in die Berliner Gesellschaft«, hatte er getönt und dabei eine Liste von Prominenten heruntergerasselt, die klang wie das Berliner Who is Who, die ebenfalls eingeladen worden waren. Er kannte diese tatsächlich, denn er führte die VIP-Kartei des Hauses und entschied, wer zu welchem Empfang eingeladen wurde und welcher Autor zur Signierstunde. Natürlich gab es gewisse Anweisungen vom Direktorium, aber die Einladungslisten liefen über seinen Schreibtisch, und die Verhandlungen mit den gehätschelten Promis führte fast ausschließlich er mit seiner leicht quäkenden Telefonstimme, die zu exorbitanten Schmeicheleien fähig war.
Ebenso stellte er die Programme für Veranstaltungen im Haus zusammen, und die Mannequins für Modenschauen wurden auf seine Empfehlung engagiert, vorausgesetzt Butterbeck war mit deren Aussehen einverstanden. Prominenz war Uwes ganze Welt und die Upperclass sein Leben. Darin harmonierte er auch vollkommen mit seinem Freund Carlo, der die Generalvertretung für ein bekanntes Kreditkarten-Unternehmen innehatte. Beide wohnten standesgemäß am Rüdesheimer Platz, und bei der Einrichtung war auch nicht gespart worden. Dort sah er aus wie auf den Fotos, die in Illustrierten von den Behausungen prominenter Mitbürger Zeugnis ablegten. Jaha. Und nun sollte ich ganz allein in diese illustre Gesellschaft eingeführt werden, denn Rudi hatte wenig Lust verspürt auf den ganzen Rummel.
Schon das Haus in der Kantstraße, in welchem die Prominenzfete stattfinden sollte, wirkte nicht eben vertrauenerweckend, aber derlei war in Berlin bedeutungslos. Hinter wackeligen Stiegen und Putzschäden im Treppenhaus verbargen sich oftmals ganze Schlösser, zumindest im Vorderflügel. Hinten allerdings hatte man schon vor dem Krieg gespart. Sogar unsere Wohnung in Neukölln hatte einst den beliebten Personaleingang besessen, jetzt war er zugemauert. Dieser Quatsch mit dem Status war längst abgeschafft worden. Unsereins konnte nur grinsen über Schilder wie Aufgang nur für Herrschaften oder die formidablen Klingelkästen in der Küche, die anzeigten, in welchem Raum Hilfe benötigt wurde. Wahrscheinlich damit sich das blöde Zimmermädel nicht in der weitläufigen Dreizimmerresidenz verirrte. Viele Mieter bevorzugten mittlerweile die relative Ruhe der Hinterhäuser, abgeschirmt vom Straßenlärm. Und dennoch! Irgendetwas war geblieben von der minderen Wertschätzung des Gartenhauses, wie es im eleganten Westen Berlins vornehm umschrieben wurde.
Der Innenhof, den ich durchquerte, zeigte noch Spuren des ehemaligen Großbürgertums, mit seiner runden Rabatte in der Mitte, die nur wenig verwildert war. Aber die Zweizimmerbutze, die ich betrat, war dann doch eher auf Personalniveau. Wohin man auch blickte, waren Bömmelchen und Fransen, kunstseidene Lampenschirmchen mit Glasperlenbehang in Puffrosarot. Rosa Wolken vor den Fenstern, rosa Stimmung unter den ausschließlich männlichen Gästen. Hier sollte ein Stelldichein der Prominenzen stattfinden? Hatte denen noch keiner gesagt, dass die Sechziger Jahre längst vorbei waren? Im Trend lag immer noch Art-Deko, die Retrowelle schwappte erst langsam zu den Fünfziger Jahren. Oder waren die so ultramodern, dass sie zehn Jahre einfach übersprangen, und ich erlebte zum ersten Mal, wie wir Geschichte wurden? Nein, wohl doch nicht, die Gäste waren originell. Die meisten von ihnen waren von der effeminierten Sorte, die angeblich viel mutiger ihre Sexualität zeigten, als wir gewöhnlichen Homomänner. Diese hier waren besonderes mutig.
Schon im Hof war das Gekreisch unüberhörbar gewesen. Ich glaub ja gerne, dass eine gewisse Courage dazu notwendig ist, sich dermaßen affektiert zu geben, aber warum es immer die hässlichsten Vögel der Community sein müssen, erklär mir mal einer. Weil bei denen sowieso schon keine Chance besteht, den Traummann zu finden? Und eh alles egal ist? Emanzipation ist ja gut und schön, aber muss man seine Sexualität gleich dermaßen plakativ dem abgeneigten Publikum vor die Füße knallen? Und dauernd?
Oder gehts es auch eine Nummer leiser und etwas weniger exaltiert. Die Parallelen zur Frauenemanzipation schienen mir unübersehbar. In den Fernsehdiskussionen rissen auch immer jene den schmallippigen Mund am weitesten auf und tönten über männliche Gewalt gegen Frauen, die sie am wenigsten zu befürchten hatten. Man muss nicht gleich ein Macho sein und beladen mit Vorurteilen, wenn man die Komik sieht. Und komisch konnten sie sein - gelegentlich. Meist fand ich allerdings die Kreischschwestern nervtötend und ziemlich unoriginell. Nur wenn eine gewisse Pfiffigkeit dahinter steckt, mag ich es leiden. Und besonders helle schien mir an jenem Abend keiner.
Schon der Gastgeber starrte mich fassungslos an, nachdem er sein Geschenk ausgewickelt hatte. Jüngst hatte ich mir eine ultraschicke Artdeco-Schachtel als Zigaretten-Etui in Schwarzlack mit Silberstreifen gegönnt. Mit wehem Herzen hatte ich mich von dem schönen Stück getrennt. Und nun das! Der Typ sah nur eine alte Blechschachtel vor sich. So eine Schachtel war das. Kollege Uwe war an meine Seite geeilt, um die Vorstellung zu übernehmen. Der jauchzte auch gleich los:
»Ah, wie toll, Mike, das ist ja reines Art-Deco!«
Stimmt, vorher hatte ich sie noch extra sauber gemacht und auf Hochglanz poliert. Die Dose glänzte mit mir um die Wette. Offensichtlich war das Geburtstagskind in Stilfragen nicht so bewandert, denn sein Mienenspiel änderte sich nicht. Immer noch stierte er kommentarlos auf das hochelegante Etui.
»Meensch, wo hast du das nur aufgetrieben?«, sprang Uwe bei. »Das ist ja supertoll!«
Für teures Geld hatte ich im Antiquitätenhandel die Rarität erworben und mein Herz blutete noch ein wenig, sie gleich wieder herzugeben. Der so Beschenkte war leider nicht zu überzeugen. Blech bleibt Blech, und Uwe redete ohnehin viel Blech. Mit spitzen Fingern packte er das alte Ding auf den Gabentisch und würdigte es keines Blickes mehr. Ebenso wenig wie mich, was in dem kleinen Wohnraum gar nicht so einfach war, denn ich fand mich alsbald von zänkischen Nebelkrähen aller Art umlagert, die mich anscheinend für prominent hielten. Wer weiß, was Uwe ihnen vorher erzählt hatte. An blühender Phantasie bestand offensichtlich ein gewisser Überschuss in seinen grauen Zellen. Ach nein, bei ihm waren sie ja rosa. Die von ihm groß angekündigten Spitzen aus Film, Funk und Fernsehen hatten es allesamt vorgezogen, einen anderen Termin wahrzunehmen.
Da war keine Brigitte Mira und kein Günther Pfitzmann mit Würstchen vom Grill. Die Dinger kamen einfach aus der Dose. Keine Evelyn Künneke oder Hildegard Knef hatte den Nudelsalat zubereitet. Nichts, nada. Selbst Uwes blonder Kollege glänzte wieder durch Abwesenheit. Pech gehabt. Stattdessen wurde ich umlagert wie Wallenstein und das Geburtstagskind immer saurer. Kaum jemand kümmerte sich noch um seinen Ehrentag und das er Mitarbeiter der Woche in der Parfümabteilung geworden war. Die Blicke, die er verschoss, wurden immer giftiger. Mit Mühe gelang es mir, mich für einen Moment freizukämpfen.
»Muss eben Zigaretten holen!« Mit diesem Spruch hatte sich schon Allerhand verkrümelt. »Bin gleich zurück!«
Na, das kennt man ja. In zehn Jahren oder so. Am Bahnhof Zoo wählte ich am Nachtverkauf für Drachenfutter drei gelbe Rosen, deren Blütenränder zusätzlich mit etwas Glimmer aufgehübscht waren. Das fand ich angemessen. Zu üppige Sträuße wirken immer so neureich. Dann ging ich zur Party zurück und schnappte mir das unwillkommene Geschenk und legte die verzuckerten Rosen an seine Stelle. Noch einmal winkte ich den verblüfften Fans zu und verschwand. Dort wurde ich auch nicht wieder eingeladen. Irgendwie war ich wohl nicht der passende Umgang.
HEILIGABEND ZU ZWEIT
Traute Zweisamkeit. Festglanz. Weihnachtsglocken Süßer! - Die Glocken klingen!
Es lief nicht allzu gut mit uns beiden. Ständig schielte Rudi nach frischerem Gemüse. Manchmal kam er erst vormittags nach Hause und sah aus wie ein zufriedener Kater nach einer Extraportion Sahne. Fast vermeinte man noch den Milchbart zu sehen, wenn er mir behaglich schnurrend um die Beine strich. Ach so, das war jetzt Alfred, unser Kater, da hab ich was verwechselt. Aber genau so benahm sich Rüdiger. Von Reue keine Spur, schließlich führten wir eine moderne Beziehung. Also schluckte ich den Ärger runter und revanchierte mich mit einer Nacht in der Herrensauna oder einer anderen Kurzaffäre.
In die Sauna traute ich mich schon seit längerem. Rudi wohnte noch in der Keithstraße, als er mir anvertraut hatte, dass er zum Duschen gelegentlich die Sauna aufsuchte. Zum Duschen??! Normalerweise ging er am Arbeitsplatz im Druckhaus Tempelhof unter die Brause. Nur zum Duschen in die schwule Sauna, wo der Eintritt stolze 25 DM kostete? War deshalb das gemeinsame Konto stets so geplündert?
Also,