Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3. Karl Michael Görlitz

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Название Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3
Автор произведения Karl Michael Görlitz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844231502



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und krümmte sich dermaßen, dass er beim fünften oder sechsten Abnicken mit der Stirn auf das vor ihm liegende Reißbrett schlug. Kein Witz! Bisher dachte ich immer, Hubert von Meyerinck übertreibt hemmungslos in seinen Knallchargenrollen. Mitnichten! Die Wirklichkeit war noch viel gnadenloser und der Mann trug schwere Verletzungen davon. Auch wenn sie äußerlich nicht so direkt zu sehen waren.

      War das Telefonat beendet, richtete sich der Kollege wieder auf zu der beeindruckenden Größe seiner 1,60 m und schmetterte den schuldlosen Hörer auf die erschrockene Gabel mit einer Wut, dass die Fensterscheiben vor Angst erzitterten.

      »Mistkerl! Blödmann! Scheißauftrag!!!«

      Es war eine Wucht. Besonders für den Telefonhörer, der schon zweimal ausgewechselt worden war und den Zuhörer, der ebenfalls immer öfter an Wechsel dachte. Auch Butterbeck tobte gern. Ein blitzeschleudernder Zeus, wenn etwas nicht nach seinem Willen lief. Und das war einiges. Der Mann litt außerdem an einer Entscheidungsneurose. Er ließ Muster für Fenstereinbauten und Sonderschauen anfertigen, gleich im Dutzend. Damit spielte er wie ein kleiner Junge mit der Eisenbahn. Wochenlang, bis es fast zu spät war. Diese Farbe, dieser Stoff vielleicht, jener Warenträger eventuell.

      »Herr Spallek, baun se mir ma davon ein Produktfenster!«

      Selbst fasste er schon lange nichts mehr an. Dafür gab es Leute. Aber die Kunst des Delegierens lag ihm auch nicht so recht. Nichts lief in seinem Sinne, da er sich nicht richtig mitzuteilen wusste. Es brauchte schon hellseherische Fähigkeiten, um den verborgenen Sinn der gemurmelten Absichten zu erahnen. Aber wehe, jemand schwamm nicht gleich auf der Welle, die Monsieur gerade trug, und hatte etwas missverstanden. Dann wurde sein Büro zur Löwengrube und der Boss brüllte, als wolle er sich gleich selbst fressen. Theater, Theater, der Vorhang geht auf. Kaum war er wieder geschlossen und der Abgekanzelte auf Knien hinausgerutscht, lächelte er spitzbübisch den erschütterten Zeugen an. Ja, unser Ton ist rauh, liebe Frau.

      Die anderen gingen etwas pfleglicher miteinander um und murrten nur hinter dem Rücken. Bevor ich anfing, Alpträume von goldenen Zeiten zu erleiden, rettete mich eine dringende Aufgabe. Eine Sonderschau für Küchenzubehöhr, in Neudeutsch Kitchen-Workshop geheißen.

      Butterbeck war ausschließlich für Design modernsten Zuschnitts. Davon war er regelrecht besessen. Nostalgie war etwas völlig Fremdes für diesen vorwärts strebenden Geist. Dass es vor der Bauhaus-Moderne schon andere Stilrichtungen gegeben hatte, interessierte ihn nicht die Bohne, ja, war geradezu ein Reizthema für ihn. (Vielleicht weil er auch über keinerlei Wissen diesbezüglich verfügte?)

      Und nun hatte die Leitung des Hauses ihm wieder etwas aufs Auge gedrückt, was ihm gar nicht passte. Olle Küchenherde und uralte Kochmaschinen sollten aufgestellt werden, zwischen welchen die modernen Gerätschaften zum Verkauf auslagen. Also, das lag ihm nun gar nicht, und das war mein Glück.

      Meine Vorschläge überzeugten ihn, bis hin zu den Zeitungsanzeigen, und plötzlich hatte ich alle Hände voll zu tun, denn auch die Direktionsetage hatte sich begeistert gezeigt von seiner Präsentation. Mir war es recht, dass er die Lorbeeren bei diesen Herren einkassierte, nach Karriere in diesem Haus stand mir nicht der Sinn. Mir war nach Privatleben, da gab es einiges nachzuholen ...

      Die Küchenaktion wurde ein Erfolg, mit Anzeigen und Plakaten, die aussahen, wie von Oma im Kreuzstichmuster gestickt. Ganz allerliebst. Von da ging es aufwärts und ich wurde ein wichtiger Mann in der Abteilung, der zu allem seinen Senf dazu geben musste.

      Ich brüllte zurück, wenn der Boss laut wurde, dass die Wände wackelten, nur mit dem Unterschied, dass der Ärger von mir nicht so spurlos abprallte, wie bei ihm.

      Oftmals dachte ich, der Kerl habe das Gemüt eines Kettenhundes, doch gelegentlich überraschte er auch durch eine gewisse Sensibilität. Ich begann mich für die graue Eminenz im Hintergrund zu halten und zog daraus ein nicht geringes Vergnügen. Manchmal lief ich durch das Riesenhaus und sang: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Vergessen war, dass ich in Düsseldorf noch einen Blindenstock auf Rollen, mit Fahrradlampe und Klingel, zum Abschied von Hermann-Josef und Kurt erhalten hatte, bei dessen Auswahl ich sogar noch ahnungslos mithalf.

      Düsseldorfs blindester Grafiker hatten sie mich gern gerufen, und in gewisser Weise hatten sie recht damit. Starke Vorstellungskraft und ein optisches Gedächtnis haben auch Nachteile. War ich auf einen roten Umschlag programmiert und der Vorgang mittlerweile in einem grünen abgelegt, sah ich ihn ums Verrecken nicht, auch wenn er direkt vor meiner Nase lag und in dicken Lettern auf sich hinwies. Das ist annähernd so geblieben. Zu Hause brauche ich gelegentlich ein Foto von unserer Wohnung, um die Ecken zu sehen, die noch nicht fertig sind, da ich im Geist immer die Lösung imaginiere. Solange, bis ich tatsächlich den Realzustand übersehe. Erst ein Foto vermittelt den nötigen Abstand, und manchmal erschrecke ich dann regelrecht. Blind.

      Überdies wähnte ich mich immer öfter, in einer Behörde gelandet zu sein. Nicht nur wegen der ausufernden Bürokratie der Verwaltung, sondern auch wegen der Mentalität vieler Mitarbeiter. Es gab Laufzettel und Formulare für fast alles, Stechuhren und Stechschritt. Manchmal fand ich es regelrecht verwunderlich, dass in diesem Warenumschlags-Amt auch noch Geld erwirtschaftet wurde, so umständlich, wie alle Vorgänge geregelt waren. Man konnte das Gefühl kriegen, die Verwaltung sei zum Selbstzweck geworden, so emsig, wie sie Vorschriften und Formulare produzierte, die als Hemmschuh wirkten. Irgendwie kannte ich das bisher aus der freien Wirtschaft anders. Ich begriff es einfach nicht und bockte.

      Angefangen hatte es mit den Stechuhren und diesen Anwesenheitskärtchen. Entweder ich steckte sie falschrum in die Uhr, oder ich ordnete sie im falschen Fach ein. Nach einer Weile gaben sie erschöpft auf. Ähnlich war es mit dem Pünktlichkeitswahn. Meist blieb ich abends länger, wenn wirklich was zu tun war. Das regte niemanden auf. Aber morgens! Umständehalber musste ich durch die Dekoabteilung, da alle anderen Türen um acht Uhr in der Früh noch geschlossen waren, und jedesmal lief ich meinem Spezi in die Arme, der bei mir nicht weisungsbefugt war. Der war mit der Anwesenheitskontrolle der Dekorateure beschäftigt, da anscheinend die Kontrolle im Personaleingang nicht ausreichend war. Zum Glück mussten die nicht auch noch ihre Fingernägel vorweisen, sonst wäre der Mann bis Mittag beschäftigt gewesen. Rauschte ich nur fünf Minuten zu spät an ihm und seinen Schäfchen vorbei, erscholl mir ein giftiges: »Mahlzeit!« entgegen, was ich mit einem gutgelaunten Lächeln und einem dummen Spruch wie: »Was gab's denn heute?« oder ähnlich Geistreichem quittierte. Auf die Dauer war das ein ödes Spiel, und so gewöhnte ich mir an, erst dann den Arbeitsplatz aufzusuchen, wenn die Luft wieder rein war, und ich plädierte für Gleitzeit.

      Tatsächlich war ich dann auch der erste Mitarbeiter, der offiziell diese Möglichkeit erhielt, bis sie allgemein in der Abteilung eingeführt wurde. Passiver Widerstand kann äußerst effizient sein, das wusste niemand besser. Leider war ich dann auch der erste, dem sie wieder aufgekündigt wurde, da mein Minuskonto auf unvertretbare Weise angeschwollen war. Das war einige Jahre später, als die Gnadensonne nicht mehr so hell strahlte.

      Es war nicht nur so, dass die Grafikabteilung verdächtig klein war und technisch vollkommen unzulänglich ausgerüstet, nein, es gab sogar noch eine Konkurrenzabteilung namens Verkaufsförderung, die ähnliche Ziele verfolgte, allerdings mit noch weniger Effizienz.

      Und das Beste war: die wirklich wichtigen Großanzeigen wurden außer Haus gegeben. Ein Dozent vom Lette- Verein erledigte das. Ein wirklich netter Mann und guter Grafiker, der sich damit ein dickes Zubrot verdiente. Mir gefiel überhaupt nicht, wie man ihn ohne Vorwarnung von heute auf morgen absägte, nachdem ich das Geschäft aufs Auge gedrückt bekam. Jedoch was sollte ich machen? Wir verstanden uns gut, mir grollte er nicht, und überdies hatte er es kommen sehen, nachdem immer mehr Aufträge an meinen Schreibtisch abgeladen wurden.

      Nach einem halben Jahr hatten auch die Tunten am Mittagstisch den Schock überwunden, dass ich mich ungefragt dazu gesellt hatte und nun auch das Frühstück mit ihnen gemeinsam verzehrte. Es war der Tisch der Auserwählten, der Erstkräfte, an welchem man nicht ungebeten saß. Anfangs versuchten sie mich zu ignorieren und benahmen sich hochmütig, aber steter Tropfen höhlt den Stein, wie schon gesagt.

      Auch Hagen, der mich ja auch als Privatperson kannte und zu vermitteln versuchte, konnte an ihrer Abneigung wenig ändern. Es war