Название | Joseph |
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Автор произведения | Johannes Wierz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738004991 |
Ein Kälteschauer weckte David aus einem schwarzen Nichts. Im Kamin war das Feuer längst erloschen. Nur die unteren, größeren Holzscheite glühten noch. Das flimmernde Rot versetzte den Raum in einen sonderbaren Zustand. Der mannshohe Tresor war verschlossen und der Vorhang davor halb zugezogen. Der Tisch mit Mutters Glas und Aschenbecher war abgeräumt. Schwerfällig richtete sich David auf. Er fror am ganzen Körper, und es gab kaum eine Körperpartie, die nicht schmerzte. So schleppte er sich mühsam im Halbdunklen über die breite Stiege hinauf in den zweiten Stock, wo er am Ende des Ganges sein Zimmer hatte.
Joseph Huftreter wird getauft
In der kleinen Wehrkirche, die erhöht auf einem nackten Felsen im Zentrum des Bergdorfes steht, ist es bitterkalt. Der ehrwürdige Pfarrer Ignatius Sebastian von Tamm sitzt in seinem weißen Untergewand auf einer schmucklosen Holzbank und versucht, innere Ruhe zu finden. Schließlich muss er heute ein Kind taufen, das in Sünde entstanden ist. In jedem anderen Fall hätte er dies naturgemäß verweigert, aber wie ihm der Landarzt und designierte Landtagsabgeordnete Dr. Julius Holzer in einem vertraulichen Gespräch mitgeteilt hat, ist dem neuen Erdenbürger nur ein kurzes Leben beschert. Dann ist es schon besser, wenn er als Christenmensch vor den Thron des allmächtigen Herrn tritt. Nur ungern erinnert er sich daran, wie ihn die beiden Huftreter Schwestern mit Steinen und der Androhung den Hund von der Kette zu nehmen vom Hof gejagt haben, nachdem ihr Vater gestorben war. Jetzt liegt die arme Seele des alten Huftreter mit gebrochenen Knochen am äußersten Rand des Gottesackers direkt neben dem Gebeinhaus, und irgendwo oben auf dem Huftreteranwesen seine älteste Tochter Maria Magdalena, verscharrt wie ein Hundeknochen in ungeweihter Erde. Der Landarzt hat ihm das glücklicherweise gebeichtet. So obliegt beiden durch ihre gebotene Schweigepflicht zumindest nicht die unangenehme Aufgabe, irgendeine Aufsichtsbehörde zu benachrichtigen.
„Umso näher die Menschen dem Herrn, desto gottloser sind sie“, so sein Bischof vor mehr als zwanzig Jahren, als er hier in den Bergen seine Stelle angetreten hat. In tiefster Demut all die Jahre ertragen. Seit zwei Jahren aber friert er. Eine unheimliche Kälte hat sich in seinem Inneren breit gemacht. Eine Kälte, die ihn von Tag zu Tag immer mehr in Beschlag nimmt.
Knarrend öffnet sich die Sakristeitür. Der zwölfjährige Martin, jüngster Sohn des Gemeindebediensteten, steht im Eingang und klopft sich den Schnee von der väterlichen Kotze. Im weißen Untergewand kniet der Pfarrer vor dem dunklen Sakristeischrank, der von einem silbernen Heiland, einem Geschenk, derer von Tamm, zur Primiz, überragt wird.
Der Pfarrer ist ein Heiliger, dessen ist sich der Martin sicher. Ihm gehorcht er blind, ihm will er nachfolgen. Nach Ostern wird er seine Schulausbildung in einem Jesuitenkloster fortsetzen. Bis dahin will er fleißig Lateinvokabeln lernen, hat er sich geschworen. Er wird der erste in der Familie sein, der studieren darf. Das alles hat er dem Pfarrer zu verdanken, zu dem er sich jetzt auf den kalten Steinboden niederkniet, um ihm im Gebet noch näher zu sein.
Unterdessen machen sich oben, fast am Scheitel des Berges, alle auf dem Huftreterhof reisefertig. Der Schnee ist in den letzten zwei Tagen so stark gefallen, dass Elisabeth den großen Schlitten aus der Scheune geholt und den Klepper davor eingespannt hat. Der Gundi hat sie die Festtracht ihrer verstorbenen Schwester umgenäht und dem Kleinen das Taufkleid ihres Vaters angezogen. Doch, heute können sie sich alle wirklich sehen lassen. In einen Korb packt sie ein paar leere Milchfläschchen, über die sie eine Decke legt. Vor der Taufe muss sie, wie jeden Tag, noch schnell bei der Müllegger vorbei. Die hat fast zur selben Zeit ein Kind entbunden, und in ihren großen Brüsten steckt zum Glück so viel Milch, dass es für zwei Kinder reicht. Elisabeth hält es für ein gutes Omen, dass heute in der Früh bei ihr endlich die Blutungen, eine Folge der unauslöschlichen Nacht, aufgehört haben. Sie wird sehr stark sein müssen, das weiß sie. Das ganze Dorf wird auf den Beinen sein. Seit Tagen zerreißen sie sich unten das Maul über sie und überlegen, wer wohl aus ihren Reihen der Vater des zu taufenden Kindes sein könnte. Dass niemand von ihnen ihrer Schwester, der Maria Magdalena, eine Träne nachgeweint hat, das weiß sie. Das war schon bei ihrem Vater so und wird, wenn es denn an der Zeit ist, bei ihr nicht anders sein.
Der Kirchenwirt reibt sich die Hände und zählt draußen auf dem bitterkalten Häusl das Geld, das ihm vorhin der Landarzt Dr. Holzer in einem Umschlag zugesteckt hat. Im Voraus hat er alles bezahlt, die ganze Pauschale. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er ihn glatt für den Vater des Täuflings halten. Das schlechte Gewissen wird ihn plagen und Wut um den missratenen Sohn, der ihn jetzt eine Stange Geld gekostet hat. Den Betrag, ohnehin nur ein überhöhtes Phantasieprodukt des Wirtes, hat er auch noch aufgerundet. Sorgfältig steckt der den dicken Umschlag zurück in seinen Trachtenrock. Am späten Abend wird er das Geld in ein sicheres Versteck bringen. Die Frau muss nicht alles wissen.
Gut gelaunt schreitet der Kirchenwirt durch den tiefen Schnee über den Hof, wo bald die Remise der Poststation stehen wird, und betritt von außen die Küche. Wie ein Feldherr schreitet er die brodelnden Töpfe ab, in denen Suppe, Erdäpfel, Wurzelgemüse und Tafelspitz schwimmen. Seit zwei Tagen bereitet seine Frau mit zwei Aushilfen alles für die Taufe vor. Er selbst ist zudem günstig an ein paar Fässer Bier gekommen, die mehrere Tage Frost abbekommen haben. Zu später Stunde, wenn ohnehin niemand mehr etwas wahrnimmt, wird er es seinen angesoffenen Gästen unter Zusatz von ein wenig Sodawasser kredenzen.
Das zweiundsechziger Jahr hat ohnehin schlecht genug begonnen. Fast alle im Dorf, die Geld haben, besitzen jetzt ein Auto und fahren am Wochenende in die Stadt. Und die anderen kleben an ihrer Halben oder einem Achtel Wein wie die Fliegen auf dem Häusl. Nein, nein, in diesen Zeiten muss jeder selbst schauen, wo er bleibt.
In der noch nicht geheizten Wirtsstube sitzt ein einziger Gast. Seine dritte Halbe ist schon wieder leer und er brüllt nach der Bedienung.
„Komm ja schon, komm ja schon“, antwortet ihm der Kirchenwirt.
Ohne das Glas zu spülen, nimmt er die leere Halbe und füllt sie erneut.
„Weißt schon, dass der Bub meinen Namen bekommt? Im Grunde bin ja ich der eigentliche Pate. Da kann sich der Lackel von Holzer noch so aufspielen wie er will!“
„Ist schon recht“, sagt der Kirchenwirt und stellt dem Schäfer Josef, dem Bestatter und Schreiner des Ortes, eine frische Halbe hin.
Naturgemäß kassiert er das Geld sofort, denn die Tauffeier hat noch nicht begonnen. Zudem weiß man bei solch einem Trunkenbold, wie der Josef einer ist, ohnehin nicht, an was er sich später noch erinnern kann.
Elisabeth führt den Schlitten langsam den Berg hinunter. Hochkonzentriert und die Muskeln angespannt, achtet sie darauf, dass der Abstand zwischen Schlitten und Pferd derselbe bleibt. Kommen die Kufen erst einmal ins Rutschen, ist das schwere Ungetüm nicht mehr zu halten.
„Wie Weihnaaacht, wie Weihnaaacht“, ruft auf dem Bock die Gundi lallend in den weißen Wald und klatscht vor Freude in die Hände. Um ihr Kinn haben sich dünne Eiszapfen aus Spucke gebildet. Immer wieder schaut Elisabeth in das dicke Bündel aus Decken, aus dem nur der große, lang gezogene Kopf des Neugeborenen herauslugt, dem sein erster Ausflug in die Welt nichts auszumachen scheint.
Der Pfarrer hat seine Gebete beendet. Seine Lederschuhe knarren beim Aufstehen. Es hat nichts genützt, er ist immer noch da. Ein rührendes Bild, wie der kleine Martin auf dem kalten Steinboden vor dem silbernen Heiland kniet. Ein Gefühl ergreift ihn, das er nicht mehr zulassen darf. Eine nicht kontrollierbare Regung, die seit dem letzten Sommer, als er mit seinen Messdienern draußen am See schwimmen gewesen ist, immer wieder