TREU. Sven Hornscheidt

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Название TREU
Автор произведения Sven Hornscheidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750231382



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ausgezogen war. Auf einem kleinen Tisch stand ein alter Röhrenfernseher, der schon bessere Zeiten gesehen hatte und „Mario Kart“ wartete darauf, eine neue Spielrunde zu starten. Die Spielekonsole lag unter dem Tisch und ein undurchdringliches Kabelgewirr machte es unmöglich, Anfang und Ende der Schnüre auszumachen. Die Controller glänzten vor klebrigen Bierflecken. Chipskrümel umsäumten die Szenerie.

      „Was für eine Sauerei“, dachte sich Lukas, während er, von einer umherhopsenden Bella bedrängt, nach einem Pizzakarton trat.

      Max lag noch in voller Montur bäuchlings auf der Schlafcouch, sein rechtes Bein baumelte über den Rand hinab auf den Boden.

      „Lass’ mich bloß in Ruhe“, murmelte er.

      Auf einem Sessel daneben fläzte sich Jan unter einer billigen Wolldecke aus einem schwedischen Möbelhaus. In seiner Hand thronte noch eine halb leere Flasche, als wäre er ein resignierter König, der in den letzten Atemzügen lag, aber sein Zepter noch nicht aus der Hand geben wollte. Er schnarchte.

      Lukas hob den Pizzakarton auf und warf ihn in seine Richtung. Jan schreckte auf, wobei Reste der Flüssigkeit seiner Bierflasche nach oben spritzten. Er zog seine Mütze zurecht und schloss wieder die Augen.

      „Aufräumen!“, grunzte Lukas.

      „Nur kein Stress!“

      Hinter Lukas schlängelte sich Marina vorbei und trottete mit einem Handtuch bewaffnet quer durch den Raum, wo sich das Badezimmer befand. Die Tür ging auf, wieder zu und das Schloss klackte.

      „Wie sieht die denn aus?“, witzelte Jan.

      „Guck dich an ...“, grunzte Lukas.

      „Ich hätte ein Foto machen sollen, um es auf ‚Insta‘ zu posten.“

      „Und ich mache gleich ein Foto von meinem Fuß in deinem Arsch!“ Lukas war sichtlich genervt.

      „Sehr witzig!“, antwortete Jan und schloss wieder seine Augen.

      Max räusperte sich nun auch und drehte sich auf den Rücken.

      Er musterte Lukas, Denkfalten bildeten sich auf seiner Stirn.

      „Hast du deine Tage?“, fragte er.

      „Bitte was?“ Lukas stand auf dem Schlauch.

      „Du blutest!“

      Max deutete auf seinen Schritt. Lukas schaute nach unten. Ein angetrockneter roter Fleck von der Größe einer Skatkarte durchbrach das Muster seiner Shorts. Vom Bund seiner rechten Leiste bis hin zu den drei Knöpfen in der Mitte.

      „Scheiße!“

      Er zog den Bund etwas nach vorne und sah sich die Ursache für den Blutfleck an.

      „Ich will das nicht sehen“, sagte Max mit angewidertem Blick.

      „Ach, halt die Schnauze!“

      Es war harmlos. Ein circa zwei Zentimeter langer Schnitt zwischen Hüftknochen und Scham benetzte rot den Stoff. Nicht tief und kaum schmerzhaft. Ein Kratzer, weiter nichts. Und es war auch nichts Neues, dass er sich im Schlaf kratzte.

      „Ich hab’ von euren SM-Spielchen gar nichts mitbekommen.“ Jans Scherze waren noch nie wirklich lustig. Doch Lukas’ drohender Blick brachte ihn zum Schweigen.

      „Ist nichts. Ich habe mich nur gekratzt.“

      „Dann wasch dich!“ Auch Max fing nun an zu nerven.

      „Ich gehe eh gleich duschen“, antwortete Lukas. „Wo sind die anderen?“

      „Unten.“

      Na toll! Seine Eltern würden sich bestimmt freuen, wenn eine Horde Jugendlicher ihr halbes Haus besetzte. Sie waren für einige Monate im Ausland für „Ärzte ohne Grenzen“ im Einsatz.

      Irgendwo in der Demokratischen Republik Kongo genossen gerade Flüchtlinge die fürsorgliche Kompetenz eines renommierten Internisten und die liebevolle Hand seiner Frau, gelernte Krankenschwester und Arzthelferin.

      „Ich hoffe, die haben nicht das ganze Haus zerlegt ...“

      „Wann kommen deine Eltern eigentlich wieder?“, fragte Max.

      „Keine Ahnung, im Sommer irgendwann.“

      Das Verhältnis zu seinen Eltern war eher pragmatischer Natur. Manchmal fragte er sich, ob sie lieber fremden Menschen in Krisengebieten halfen, als sich um ihren Sohn zu kümmern. Inzwischen war das kein Problem mehr für ihn. So hatte er seine Freiheiten, doch in den Händen einer Teilzeittagesmutter aufzuwachsen war nicht immer leicht für ihn und seinen Bruder.

      „Und dein Bruder?“, fragte Max kleinlaut, wohl wissend, dass er damit heikles Terrain betrat.

      „Was fragst du jetzt nach meinem Bruder?“, grunzte Lukas. „Der ist schon drei Jahre in Neuseeland und bleibt auch erst mal da.“

      Falsches Thema ...

      „Ach, nur so.“ Max wusste, dass er das Thema „Bruder“ lieber meiden sollte und zog ein schmollendes Gesicht.

      Bella stupste ungeduldig gegen Lukas Wade. Er schaute nach unten und tätschelte ihren Kopf. Dann drehte er sich um und ging wieder in sein Zimmer. Er zog die oberste Schublade seiner Kommode auf und schnappte sich eine frische Unterhose. Bella verstand nun auch, dass es sich bis zu ihrem Frühstück wohl noch etwas hinziehen würde und legte sich mit einem grummelnden Laut in die Ecke des Zimmers, wo immer eine Decke für sie parat lag. Argwöhnisch beäugte sie Lukas und begann, an ihrer Vorderpfote zu kauen, was sie immer tat, wenn sie gerade nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Lukas kümmerte das nicht, sie würde warten.

      Er verließ sein Zimmer und stapfte die Treppe neben dem Bad hinab in den Keller, ohne im ersten Stock Halt zu machen, um sich dem Rest der verkaterten Truppe zu widmen. Er öffnete die Tür des Waschraumes und kramte im Putzregal nach einer Dose Fleckenpulver, das er dann großzügig ins Waschbecken streute. Er ließ heißes Wasser ein, zog sich die blutverschmierten Shorts aus und weichte sie ein.

      Mit einer Handvoll warmen Wassers reinigte er seine Leiste von der Verkrustung und trocknete sie dann ab. Ein Pflaster war nicht nötig.

      „Scheiße ... alles Scheiße“, murmelte er und zog sich die frische Unterhose an.

      LUKAS – damals

      3

      Lukas schaute an sich hinab. Seine Füße steckten in dreckigweißen Turnschuhen, die Socken waren viel zu groß für seine kleinen Füße und türmten sich am Knöchel in mehreren Falten auf. Seine nackten Beine waren verschrammt und über dem Knie begann die grob abgeschnittene Jeanshose, die für die warme Jahreszeit von seiner Mutter nicht sehr fachgerecht gekürzt worden war. Ein olivgrünes T-Shirt hing ihm bis weit über den Po und verriet, dass er für seine fünfzehn Jahre relativ klein geraten war. „Du wächst noch“, sagte ihm die Tagesmutter immer zur Beruhigung. Sie sollte recht behalten, doch im Moment wurmte es ihn, dass all seine Freunde gut einen Kopf größer waren als er. Dafür war er von relativ kräftiger Statur, was den Kindern, die ihn wegen seiner Größe hänselten, schnell zum Verhängnis werden konnte. Seine Eltern wurden öfter ins Schulrektorat einbestellt, als es ihnen lieb war. Mal hatten seine Kontrahenten Schürfwunden, mal eine gebrochene Nase oder einfach nur panische Angst, nach der Schule auf ihn zu treffen. Die gute Seite der Medaille war aber, dass sich viele Kinder darum rissen, mit ihm befreundet zu sein. Als Beschützer konnte sich ihn jeder vorstellen. Er war alles andere als unbeliebt.

      Es hatte seit Tagen nicht geregnet und der sonst so lehmige Feldweg verwandelte sich in eine rissig verkrustete Staubpiste. Links und rechts umsäumte ein Erdwall den Feldweg, der die Getreidefelder voneinander abgrenzte. Roter Klatschmohn schuf einen feurigen Streifen im Kontrast zum tristbraunen Korn auf der anderen Seite.

      Lukas kniff leicht die Augen zusammen. Im seichten Wind sah es auf diese Weise fast so aus, als würden die roten Köpfe der Blumen ein blutiges Wasserband bilden, das im Takt des Windes wellenförmig vor sich hin tanzte.

      Er