Название | Kopf über Wasser |
---|---|
Автор произведения | Wolfgang Millendorfer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783903184893 |
Die Kantinentür schwingt auf und Grant kommt heraus, kratzt sich lange im Schritt und verschwindet dann am rechten Rand des Bildschirms. Auf Bildschirm 2 erscheint er wieder und geht aufs Klo.
Kamera 9 – Eingang Sauna
Nach der Kantinentür und der Klotür ist der Eingang zur Sauna der am stärksten frequentierte Bereich im Hallenbad. Deshalb ist Kamera 9 eine der wenigen, die behördlich vorgeschrieben wurden, aus Sicherheitsgründen. Außerdem sind die Fliesen hier besonders rutschig; das kommt von jenen Gästen, die sich bereits im Aufzug ausziehen und das Wasser noch vor der Saunatür aus ihren Badesachen drücken. Keiner weiß, wer damit angefangen hat, aber diese Angewohnheit hat sich im Lauf der Jahre durchgesetzt, ist unter den Sauna-Insidern sozusagen Hausbrauch.
Wenn Werner auf seinem Bildschirm sieht, wie ein Nackter oder halb Nackter gefährlich über den Boden rutscht, ruft er sofort im Schwimmbad an (der heiße Draht) und schickt Fred mit dem Aufwaschkübel nach unten. Von Stürzen, Knochenbrüchen und all den unangenehmen Folgen will Werner gar nichts hören, und das hat auch Fred schon in seinen Kopf gekriegt. Deshalb fragt er im Falle eines solchen Anrufs nicht lange, nimmt den Kübel und geht los.
Kamera 10 – Sauna
Wie in den Umkleidekabinen gilt auch hier: Die zur Überwachung der Sicherheit installierte Überwachungskamera darf den höchst privaten Bereich der Gäste in keinster Weise einengen oder gefährden! So steht es wörtlich in den behördlichen Richtlinien. Also keine Aufnahmen von Penissen, Hoden, Brüsten, Vaginas oder Schamhaar jeglicher Art. Und obwohl die Kamera von der hintersten Ecke aus nur auf die Türen der drei Saunakabinen und den Ruheraum ausgerichtet ist, lässt es sich nicht so leicht vermeiden, dass nicht auch einmal ein Penis oder ein Paar Brüste durchs Bild spazieren. Soll so sein, sagen die Behörden, oder zumindest die meisten von denen, die sich als die Behörden aufspielen dürfen. Werner hält es da genauso wie Fred: Wenn er Nackte sehen will, kann er gleich selbst in die Sauna runtergehen.
Was Werner nicht weiß: András sieht das anders. Und was Werner auf seinem Bildschirm nicht sieht: Dass András in diesem Moment die allgemeine Mittagsruhe ausnützt und in der finnischen Sauna unter den Bänken herumkriecht, um seine eigene kleine Kamera abzumontieren, die er dort versteckt hat. Die Bilder von heute Vormittag versprechen für heute Abend einiges.
Kamera 11 – Keller / Gang
Im Wettbewerb um die unnötigste Kamera im Hallenbad liegt Kamera 11 unter den Top-3-Plätzen. Denn Bildschirm 11 bleibt die meiste Zeit schwarz. Das Licht im Gang hinter der Kellertür mit der Aufschrift Zutritt für Unbefugte verboten! (direkt neben dem Eingang zur Sauna) geht nur an, wenn dort jemand unterwegs ist. (Diese Bewegungssensoren sparen Energie und irgendwo muss man ja anfangen zu sparen.) Trotzdem bleibt Werners Blick viel zu oft und viel zu lange an diesem Bildschirm hängen. Es könnte ja sein, dass sich dort jemand bewegt, und wenn, dann will Werner sehen, wer das ist.
Kamera 12 – Technikraum
Diese würde dann wohl Platz vier belegen, gäbe es den Wettbewerb der unnützen Kameras wirklich und nicht nur in den Diskussionen, die Werner und Marina beinahe täglich über Sinn und Unsinn (und vor allem Kosten) der Kameras führen. Ob die Technik mitspielt und alle Anzeigen im grünen Bereich sind, kann man auf dem Bildschirm nämlich nicht erkennen. Wohl aber – und das ist Werners Argument in den Diskussionen, zumindest in jenen um Kamera 12 –, ob András auf seine Anweisungen hört und kontrolliert, warum das Warmwasser ausbleibt, wenn es darüber Beschwerden gibt, oder der Frage nachgeht, ob das mit der Heizung wirklich so schwer sein kann. Derzeit gibt es keine Beschwerden (weil keine ernst zu nehmenden Badegäste), und die Temperatur im Hallenbad stimmt so halbwegs. András scheint es sich aber nicht nehmen zu lassen, in seiner Mittagspause nach dem Rechten zu sehen, denkt Werner, denn hinter den Boilern im Technikraum sieht er jemanden auf und ab gehen und das kann nur András sein.
Daran zweifelt Werner auch nicht und seine Augen reibt er, weil es keine leichte Aufgabe ist, alle zwölf Bildschirme auf einmal zu überwachen. Mit den Fingerknöcheln in den Augen sieht er kleine Sterne und Lichtblitze und übersieht dabei beinahe, dass auf Bildschirm 1 etwas los ist. Dass ein großer Wagen vor dem Hallenbad vorfährt, aus dem Hofrat Spreitzer steigt. Diese Ratte.
3.
Marina Antl versucht noch, das Telefonklingeln in ihren Traum einzubauen, dann ist sie wach und hebt ab. »Der Spreitzer ist da! Der will irgendwas!«, ruft Werner in den Hörer, legt auf, sucht mit den Füßen unter dem Schreibtisch seine Hausschuhe, schlüpft hinein, springt vom Sessel und läuft nach unten. Seine Hausschuhe machen lustige Geräusche, als er Hofrat Spreitzer entgegengeht. Dabei behält er die Geschwindigkeit bei. Wie immer steht direkt hinter dem Hofrat sein Assistent, Kaufmann, der demonstrativ Ausschau hält und in einem kleinen Buch herumkritzelt. Kaufmann sieht genauer hin, sieht Werner Antl ungebremst auf seinen Hofrat zuhalten, unterbricht seine Notizen, macht einen Schritt nach vorn und baut sich schützend zwischen den beiden auf.
»Nicht so schnell«, sagt er mit einer Stimme, die aus seinen Nasenlöchern kommt, »nicht so schnell, guter Mann.« Werner bremst, schnauft und kämmt mit den Fingern seine Haare. »Was schreibt er da?!« – »Man wird sich ja noch Notizen machen dürfen«, kommt es aus den Nasenlöchern.
»Zuerst einmal: Guten Tag«, sagt Hofrat Spreitzer und geht ein paar Schritte durch die Eingangshalle. Werner und Kaufmann gehen ihm hinterher. Spreitzer bleibt stehen, fährt herum und hält Werner die Hand hin. Der nimmt sie widerwillig und schüttelt sie. »Wir kommen nur auf einen Sprung vorbei«, sagt Spreitzer und lässt Werners Hand nicht los. Kaufmann grinst. Werner drückt mit der Hand stärker zu, Spreitzer macht es ihm nach; Gesicht an Gesicht stehen sie da.
»Meine Herren, das erledigen wir besser gleich in der Sauna!« Werner und Spreitzer drehen die Köpfe zur Seite und sehen fragend Marina Antl an, die mit deutlich schwingenden Hüften die Stiegen runtergeht und dabei lächelt: »Euren Schwanzvergleich, meine ich.« – »Können wir gerne machen«, sagt Spreitzer. »Darauf kannst du wetten«, antwortet Marina. Werner nickt mit geschlossenen Augen und zieht seine Hand aus Spreitzers Hand. Genau deshalb hat er sie zur Hilfe gerufen – wegen ihres Charmes. Dass Marina den Hofrat einfach per Du anspricht, ist auch für Werner neu, aber es scheint zu funktionieren: Jetzt grinst Spreitzer auch, und Werner findet seinen anzüglichen Blick ganz und gar nicht gut. Kaufmann redet mit: »Die Sauna kontrollieren wir sowieso auch.« Alle drei sehen ihn an, und jetzt ist es Marina, die anzüglich wird: »Kannst gerne mitmachen.« Kaufmanns Gesicht läuft rötlich an. Spreitzer sagt: »Ach, Kaufmann, entspann dich endlich.« Kaufmann blättert verärgert in seinem Notizbuch, Spreitzer schüttelt den Kopf und wendet sich wieder den Antls zu: »Ist heute ja nur ein Freundschaftsbesuch, sozusagen.« – »Was heißt hier kontrollieren?«, fragt Werner. »Stadtratssitzung«, murmelt Kaufmann. »Und was ist da?!« – »Nächste Woche«, sagt Spreitzer, »da geht es wieder um euer Bad. Haben Sie den Bescheid nicht bekommen?« – »Lesen wir nicht.« – »Sollten Sie aber. Noch nicht nächste Woche, aber irgendwann wird’s knapp.«
Werner schnauft, Marina ist inzwischen angekommen und legt ihre Hand auf seine Schulter. Spreitzer wiederum greift auf Kaufmanns Schulter, und dem ist das sichtlich unangenehm. »Ich würde sagen, wir gehen unsere Runde, und dann besprechen wir alles beim Kaffee in der Kantine.« Werner und Marina nicken widerwillig. »Den bezahlen wir natürlich«, sagt Spreitzer, und Kaufmann klappt unnötig laut sein Notizbuch zu.
Zu viert gehen sie los. Während Marina an der Kassa eine kurze Diskussion schlichten muss, weil Rose Antl Eintritt verlangen will, wirft Werner durch das Fenster einen besorgten Blick in die Kantine, wo Georg mit der Hand in seinem Bierglas nach irgendetwas zu suchen scheint und Grant aufgestanden ist und auf den Zehen wippend mit Bella streitet.
»Straßenschuhe gibt’s hier drinnen eigentlich nicht«, sagt Fred, und von seinem Plastiksessel aus zwinkert er Werner mit einem Auge zu. »Schon gut«, sagt Werner und zeigt mit dem Finger nach oben an die Decke: »Und dort ist die Lüftung.« Hofrat Spreitzer nickt, Kaufmann