Kopf über Wasser. Wolfgang Millendorfer

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Название Kopf über Wasser
Автор произведения Wolfgang Millendorfer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783903184893



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ein Ehepaar in den 50ern, seit 31 Jahren ein Paar, seit 29 Jahren verheiratet, seit 14-dreiviertel Jahren gleichberechtigte Geschäftsführer des Hallenbads (das zufällig genau an ihrem Hochzeitstag, dem 13. März 1972, eröffnet wurde). Die Antls haben immer von sich behauptet, kein typisches, kein langweiliges Ehepaar zu sein, und das sehen sie auch heute noch so.

      ROSE ANTL

      Kassa & Büro, Tochter: feiert in wenigen Wochen ihren 30. Geburtstag.

      Rose (und das wird keinesfalls englisch ausgesprochen!) wurde von ihren Eltern nicht nur mit einem seltenen Vornamen bedacht, sondern auch ebenso hingebungsvoll wie liberal erzogen. Das Ergebnis: Sie ist viel zu schlau, um ihre Tage im Hallenbad hinter der Kassa zu verbringen, aber weil sie ihre Füße doch nicht so richtig auf den Boden bekommt, macht sie genau das.

      FRED

      Bademeister, Sicherheitsbeauftragter: vielmehr Mädchen für alles, und das natürlich gegen seinen Willen.

      Fred spielt aber einigermaßen geduldig mit. Zum einen, da er, Anfang 40, insgeheim beschlossen hat, sich keine Illusionen mehr zu machen, und zum anderen, da ihm seine Position (einhergehend mit der geschäftlich nicht gerade erfreulichen Lage seiner Arbeitgeber) gewisse Vorteile (in dieser Ecke des Landes nennt man das Narrenfreiheit) einräumt.

      ANDRÁS

      Haustechniker: eigentlich unverzichtbar, aber genau genommen nicht immer auf dem neuesten Stand der Technik.

      András hat seine besten Jahre bereits hinter sich. Seine besten Jahre hat er ebenfalls hier verbracht. Es gefällt ihm im Hallenbad, deshalb hat er nie nach einem anderen Job gesucht. Und man kann ihn gut leiden, deshalb wird immer wieder ein Auge zugedrückt.

      ROBERT ANKER

      Saunameister: eine Institution.

      Robert hat in seiner Karriere schon alles gesehen: die richtig guten Häuser, die wirklich miesen und die vielen dazwischen. Früher galt er als einer der besten – weil vor allem bestaussehenden – Saunameister der Szene. Aus seiner Sicht ist das auch heute noch so, und die flotten Sprüche sind ihm längst ins Blut übergegangen.

      BELLA

      Kantinenchefin: Wirtin aus Leidenschaft, eine ehemalige Schönheit, angeblich – heute kurz vor ihrer Pensionierung, von der sie aber nichts wissen will.

      Bella hat sich ihren Ruf hart erarbeitet. Die Hallenbadkantine hat sie bald nach der Eröffnung in den 1970ern übernommen und nicht wieder hergegeben. Das erfreut die Geschäftsführung zum einen, da Bella ihre nicht immer unkomplizierten Stammgäste gut im Griff hat; das ist in gewisser Weise aber auch das Problem, denn so wird aus der Kantine nie ein ernst zu nehmendes Restaurant.

      SUSI

      Kellnerin: in der Hallenbadkantine klassisch hängen geblieben. Susi kann ihren Beruf nicht leiden, zurzeit hasst sie ihn regelrecht. Nicht dass man sie hier in der Kantine schlecht behandeln würde. Und die dummen Bemerkungen hält sie aus. Sie fühlt aber, dass das Leben für sie noch mehr vorgesehen hat. Da ihr 35. Geburtstag jedoch immer näher rückt, hört sie die Uhr immer lauter ticken.

      WILLI

      Kantinenkoch: vom wöchentlichen Menüplan schwer unterfordert – für dieses Lokal eindeutig überqualifiziert.

      Als spätberufener Koch hat Willi sein Leben noch vor sich und als Nachwuchshoffnung gute Chancen in der wirklich echten Gastronomie. Hier ist er aber sein eigener Chef (auch wenn Bella das anders sieht), und hier hat er seinen Freund Fred (der ihn für die Küche vorgeschlagen hat) in der Nähe und vor allem Susi (die von seinen Gefühlen nichts weiß, denn Willi ist nicht nur genügsam, sondern auch schweigsam).

      HERBERT PETER

      Nachtwächter: und obwohl die Gefahr nächtlicher Badegäste äußerst gering ist, schreibt die Stadt diesen Posten vor – nur weil einmal etwas passiert ist.

      »Herbert Peter«, sagt Herbert immer, wenn er jemanden neu kennenlernt, »Peter ist der Nachname.« Will man ihn ärgern, wird das mit Absicht verwechselt; er selbst nennt sich in Gedanken HP, wahlweise auch englisch ausgesprochen. Für den Job als Nachtwächter war er anfangs viel zu jung, er hat durchgehalten, dabei aber darauf vergessen, erwachsen zu werden. Wenn es ihm möglich ist, lädt er auch heute noch Freunde oder Damen zum nächtlichen Schwimmen ein.

Episode 1

       1.

      IN IRGENDEINEM PARALLELUNIVERSUM geht jetzt gerade das Becken über. Es ist voll von Badehauben, brüllenden Kindern, die vom Rand springen, besorgten Müttern, schlafenden Vätern; eine beachtliche Menschenschlange steht vor der Kantine, die in diesem Paralleluniversum Restaurant heißt, und mehr als fünfzig Nackte schwitzen in der Sauna.

      Auf dieser Seite des Universums leider nicht. Hier freut sich der alte Nazi, dass ihm das Becken auch heute fast allein gehört; natürlich verflucht er die beiden Kinder, die in der Ecke vom Rand springen – und er verflucht sie wirklich. Der strenge Pfiff aus der Pfeife des Bademeisters kann dem alten Nazi nie streng genug sein, aber er muss sich gleich ein weiteres Mal ärgern, weil der Pfiff schon wieder ausbleibt. Vom Rand springen ist immer noch verboten, und er will nicht zum Platz des Bademeisters hinsehen, weil er weiß, was er dort sehen wird: einen verlassenen grünen Plastiksessel. Na bitte. Andererseits ärgert er sich doch so gern, der alte Nazi. »Springen verboten«, murmelt er, »– verboten!«, und demonstrativ springt er ins Wasser, schlägt auf und geht kurz unter. Er hört schon so nicht mehr besonders gut, trägt eine Badehaube und ist mit dem Kopf unter Wasser, als Fred wild pfeifend für Ordnung sorgt. Die Kinder stellen das Springen ein, der Alte hat die Amtshandlung versäumt, taucht wieder auf und sieht Fred verschwommen durch die Schwimmbrille auf seinem grünen Plastiksessel sitzen, eindeutig angetrunken, das sieht er von hier aus. Der alte Nazi wünscht sich mehr Disziplin von der Menschheit und taucht wieder unter.

      Fred hat soeben ein kleines Bier getrunken. Es war aber sein erstes und somit ist er noch weit davon entfernt, angetrunken zu sein. Das kommt erst, das dauert noch. Aber rauchen muss er eine, und da er seine Aufsichtspflicht ernst nimmt, raucht er sie am Beckenrand. Und das muss er jetzt tun, denn in einer halben Stunde kommen ein paar Schulklassen und dann gibt es kein Rauchen, sagt die Chefin und in diesem Fall hat sie recht, so wie beim Babyschwimmen, das sieht Fred ein. Er zündet sich eine Zigarette an, zieht, steckt seine Bademeisterpfeife in den Mund und bläst den Rauch mit einem lauten Pfiff oben aus der Pfeife raus. Das ist sein Markenzeichen, so etwas amüsiert ihn. Der laute Pfiff schreckt die Badegäste auf. Die Badegäste – das sind die beiden Kinder, die gelangweilt im Wasser stehen, weil sie nicht springen dürfen, der alte Nazi, der in seinem Ganzkörper-Badeanzug langsam auf und ab treibt, Georg und Grant in der Kantine, aber die hören den Pfiff nicht und sind in dem Sinn auch keine Badegäste, und die Mutter, die ihr Baby im Arm schaukelt und nicht zu wissen scheint, dass das Babyschwimmen im Winter immer erst am Mittwochnachmittag stattfindet. Als sie das Oberteil abnimmt, dreht Fred den Kopf zur Seite, so viel Anstand hat er – wenn er Brüste sehen will, dann kann er in die Sauna gehen, jeden Tag; auch wenn es nicht viele sind und fast immer dieselben.

      Es ist kurz vor viertel zwölf, und wenn man das Baby mitzählt, sind fünf Badegäste da. Auf dieser Seite des Paralleluniversums wird nach anderen Regeln gespielt. Und trotzdem hat auch hier vor einer Stunde ein neuer Badetag begonnen.

      Muss er ja.

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      Jetzt kommen die Kinder, Fred kann sie vom Bad