Lochhansi oder Wie man böse Buben macht. Jeannot Bürgi

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Название Lochhansi oder Wie man böse Buben macht
Автор произведения Jeannot Bürgi
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783038550648



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uns doch nicht verloren sein, Amen.» Vor dem Schlafengehen das Abendgebet, manchmal sogar ein Rosenkranz als Abschluss des Tagwerks, wobei man aber nicht einschlafen durfte. Mein häufigstes Kinderabendgebet ist mir sogar heute noch geläufig, es hatte folgenden Wortlaut: «Heiliger Schutzengel mein, lass mich dir empfohlen sein. Tag und Nacht, ich bitte dich, schütz, regier und leite mich. Hilf mir leben, gut und fromm, dass ich zu dir in den Himmel komm.»

      Um in den Himmel zu kommen, musste man katholisch sein, scheinbar war das ein Ort, der nur Katholiken vorbehalten war. Dort war alles wunderschön, da wohnte der liebe Gott, umgeben von seinen Engeln, die den ganzen Tag Halleluja sangen und ihn lobpreisten, flankiert von den Heiligen. Was die den ganzen Tag taten, wusste niemand. Gewöhnliche Menschen hatten keinen Draht zum lieben Gott, nur ein Priester hatte da eine direkte Verbindung. Gott sprach nämlich Lateinisch, das konnte unser Kaplan auch. Ich bewunderte ihn dafür, und ich teilte meiner Mutter mit, ich wolle diese Sprache auch lernen.

      «Zuerst musst du mal getauft werden», meinte sie, «du bist ja noch ein Heide.» Das erklärte natürlich vieles, vor allem erklärte es den unseligen Zustand, in dem ich mich befand. Ein Heide sei kein Christ, doppelte mein Vater nach und lachte, so einer komme direkt in die Hölle, wenn er sterbe.

      Das sagte er nur, um Mutter zu provozieren. Selbst war er, zum Leidwesen seiner Frau, nicht sehr katholisch, da er während seiner Kindheit unter der Bigotterie seiner eigenen Mutter gelitten hatte.

      Also wurde ich eines Tages getauft. Meine Tante Marie, die ältere Schwester meiner Mutter, war dafür extra aus dem Melchtal angereist, sie sollte meine Patin sein. Als Taufpate fungierte mein Vater, wie er Johannes hiess, sollte auch ich fortan so heissen, das entsprach der Familientradition. Von der ganzen Zeremonie ist mir nicht viel in Erinnerung geblieben, nur dass ich mit Wasser begossen wurde und dass dabei viel vom Teufel die Rede war, dem man abzuschwören hatte, libera nos Domine, bewahre uns oh Herr. Vom Satan und allen seinen Werken, libera nos Domine, dann gingen wir alle zum «Göttiwii» ins nächste Restaurant, der Pfarrer war dabei und auch unser Herr Kaplan, dazu zwei, drei «Schlottergötti» und im Zentrum des Ereignisses natürlich ich selbst, der ich nun ein richtiger katholischer Christ war. Ein währschaftes Essen wurde aufgetischt, viel Wein wurde getrunken, und zuletzt strebten wir alle in recht heiterer Stimmung dem «Alpenblick», unserem Wohnhaus, zu.

      Zum Abschluss der Feier galt es noch eine Torte zu verzehren, die meine Mutter zu diesem festlichen Anlass gebacken hatte, und dazu viele Kaffees mit Schnaps, bei uns «Cheli» genannt. Der Ätti war an diesem Abend voll in seinem Element, er sass auf der Ofenbank und spielte zwischendurch auf seinem Schwyzerörgeli, während mein Vater ihn mit «Chlefelen», das ist mit zwei Löffeln den Takt schlagen, begleitete. Nun war ich also Christ.

      Während die Erwachsenen tranken, lachten und plagierten, sah ich zum Stubenfenster hinaus und bemerkte eine Gruppe Kinder, die unserem Haus gegenüber auf einem Hügel stand und zu uns herüberschaute. Es waren die Bambini der Beffas, einer Italienerfamilie, vier an der Zahl, alle braun und schwarzhaarig und in viel zu grosse Kleider gehüllt, die im Herbstwind um die mageren Körper schlotterten. Sie wohnten im alten Vaterhaus, das dem Ätti gehörte, kaum einen Steinwurf von unserem Haus entfernt, doch ich durfte nicht dorthin und schon gar nicht mit den Kindern spielen. Es waren «Tschinggen», sie sprachen Italienisch, und die Nonna, die bei ihnen wohnte, sei eine Hexe, so sagte man im Dorf. Ich fürchtete mich auch vor ihr, sie sah nämlich genauso aus wie die Hexe von Hänsel und Gretel in meinem Märchenbuch. Man hörte sie oft bis zu uns hinüber kreischen, wenn sie die Kinder schalt.

      Mutter Beffa war selten zu sehen, sie arbeitete in der «Hüetlifabrik» im Kantonshauptort, wo von den Frauen Strohhüte hergestellt wurden. Der Vater zog als Maurer von Baustelle zu Baustelle, auch ihn bemerkte man nur am Wochenende, wenn er bei schönem Wetter mit seiner Familie vor dem Haus unter dem Kirschbaum sass und ihre Gesänge auf seiner Okarina begleitete.

      Gesungen wurde viel dort drüben, meistens war dann auch Besuch da. Ich fand die Lieder wunderschön, so schön wurde nicht einmal in der Kirche gesungen. Mein Vater, der etwas Italienisch sprach, sagte dann, es seien Sozialisten- oder Kommunistenlieder, also mit Kirche hätten die auf alle Fälle nichts zu tun. Meine Mutter spuckte dann hinter sich aus und machte das Zeichen, das vor dem bösen Blick beschützen sollte. Oft hörte ich sie den Ätti schelten, weil er das Haus den Beffas vermietet hatte. Der aber pfiff durch seine Zahnlücken und hatte auf diesem Ohr überhaupt kein Musikgehör. Zu mir sagte er dann, das sei doch alles dummes Weibergeschwätz, was da über die Nonna Beffa umging. Dabei spuckte er seinen Tabakpriem zielgenau in den Katzenteller, eine Angewohnheit, die meine Mutter schrecklich ärgerte.

      Zum Ätti, dem Grossvater, hatte ich einen ganz besonderen Draht. Zwischen uns entwickelte sich im Lauf der Zeit eine Art Verschwörung, eine seltsame Zutraulichkeit, wie ich sie bis anhin nicht gekannt hatte, war ich doch den meisten Menschen gegenüber recht misstrauisch und zurückhaltend. Beim Ätti war das anders. Ihn hatte das Leben nicht sauer gemacht, er gehörte nicht zu denen, die sich mit Fluchen, Chnorzen und Bitterkeit bis zum Grabesrand vorarbeiten, um dann wütend den letzten Schnauf zu tun. Er lebte in einer Wolke kindlicher Sorglosigkeit und lässig zelebrierter Gleichgültigkeit.

      So konnte nur er, als Einziger im ganzen Haus, es sich erlauben, meiner Mutter Paroli zu bieten, wofür ich ihn bewunderte und ihm eine Macht zuschrieb, die er bestimmt nicht besass. Doch vor mir konnte er seine Position glaubhaft inszenieren, wofür er auch jede Gelegenheit nutzte. Dabei konnte er ein richtiger alter Stinker sein, das lag jeweils an seiner Laune oder seinem Wohlbefinden und nicht zuletzt am Alkoholpegel, er sprach nur allzugern dem Geist in gebrannten Wassern zu.

      Er wohnte noch immer in seinem eigenen Haus, dem «Vaterhaus», das vertikal zweigeteilt war. Es war dies ein gewandetes Langhaus, das auf dicken Mauern stand, mit Lauben, Vordächern und Kellern, sicher schon fünfhundert Jahre alt, die Schindeln schwarz von Sonne, Wind und Regen.

      Dort bewohnte er das hintere Stübli, verfügte auch über eine eigene Küche und eine Schlafkammer im oberen Stock. Doch hatte sich im Lauf der Zeit die Gewohnheit ergeben, dass er mit uns zu Tisch sass, auch seine Wäsche wurde von meiner Mutter besorgt wie das Reinemachen in seiner Behausung.

      Unweit vom Vaterhaus stand sein Bienenhaus, wo er der Imkerei oblag, zwar nicht so, wie es sich gehörte, befand sein Sohn, mein Vater, der selbst auch Bienen hielt. Er befand, der Alte halte seine Völker schlecht und recht gerade so am Leben, dass sie nicht verhungern konnten, er habe keine Ordnung in seiner Imkerei und ihm fehle jegliches System. Wobei der Umstand, dass der Alte im Allgemeinen einen besseren Ertrag erwirtschaftete als der Junge mit all seiner Systematik, stets Anlass zu heftigen Diskussionen gab, da einfach nicht sein konnte, was nicht sein durfte.

      Hinter dem Vaterhaus stand auch noch die alte Scheune. Ein bisschen abseits in der Wiese, und vom Haus nur durch eine schmale, steinbepflasterte Gasse getrennt, lag die Waschhütte mit dem Brunnen im Schatten einer mächtigen alten Linde. In dieser Waschhütte ging der Grossvater mit grossem Können und Geschick seiner liebsten und ertragreichsten Tätigkeit nach, er brannte «Bätziwasser». Das tat er «schwarz», das heisst klandestin, weshalb dieser Vorgang stets mit viel Heimlichtuerei verbunden war. Doch gab es auch von Seiten meiner Eltern keine Kritik, profitierten doch auch sie von den verbotenen Früchten und hatten dabei auch noch nichts zu befürchten, da der Alte alles Risiko auf sich nahm. Diese Brennerei im Waschhaus hatte immer bei schlechtem Wetter zu geschehen, wenn der Wind vom Brünig her etwaigen Schnapsdunst schnurstracks über den Kaiserstuhl hinab in die Tiefe fegte.

      Eine andere Schlechtwettertätigkeit des Ätti bestand im Reparieren von allerlei Holzgeschirr, von Rechen und Heugabeln, dem Anfertigen von Stielen für Garten- und Landwirtschaftswerkzeug. Dazu hatte er sich im Untergeschoss des Alpenblicks eine kleine Holzwerkstatt eingerichtet, wo er viele trübe Tage verbrachte und wo ich mich bei Gelegenheit nur allzu gerne aufhielt, um ihm Gesellschaft zu leisten und seinen Geschichten zu lauschen. Doch kam es auch vor, dass er überhaupt nicht zu Hause war, oft war er tagelang weg, was zwar niemand sonderlich störte. Plötzlich und völlig unerwartet war er dann wieder da, stand ziemlich unsicher und sichtlich verlegen vor der Tür oder sass einfach auf der Bank unter der Laube, wo er im Windschatten seine eigene Raucherecke hatte und Stumpen paffte. Meines Wissens kam er aber bei seinen Eskapaden nie zu Schaden. Im Gegenteil, oft brachte er sogar