Lochhansi oder Wie man böse Buben macht. Jeannot Bürgi

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Название Lochhansi oder Wie man böse Buben macht
Автор произведения Jeannot Bürgi
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783038550648



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die Sorge für den alten Vater, die Arbeit auf dem Hof konnte er so an seine Frau delegieren. Eigentlich war sie ihm zwar ein bisschen zu ernst, zu fromm und gottesfürchtig, doch, so dachte er, das würde sich wohl mit der Zeit geben.

      Was beide gleichermassen verband, war der Kinderwunsch, der für ihn oberste Priorität hatte, wollte er doch alles, was er ererbt, erarbeitet und bewahrt hatte, auf keinen Fall seinen Geschwistern hinterlassen. Für sie, die in ihrer Berufsarbeit in so vielen Haushalten die Kinder ihrer Brotgeber betreut hatte, bedeutete ein Kind die Erfüllung, den höchsten Sinn und Zweck ihres Lebens und Daseins. Doch das Schicksal hatte anders bestimmt, kaum ein Jahr nach ihrer Eheschliessung musste sie sich einer Unterleibsoperation unterziehen. Und damit war auch das Thema «Kind» für sie vom Tisch. Das bedeutete für die strenggläubige Katholikin aber auch, dass von diesem Zeitpunkt an sexueller Verkehr mit ihrem Gatten nicht mehr möglich war. War doch der Beischlaf nach der Sittenlehre der Kirche verheirateten Paaren nur gestattet, wenn auch Kinder aus diesem Akt geboren werden konnten. So wurde sie Mitglied des Dritten Ordens, trug fortan ein Skapulier und rückte ihr Bett um die Breite des Nachttischchens vom Bett des Gatten ab. Trotz seines oft sehr charmanten Drängens blieb sie hart, betete in Zeiten der Bedrängnis den Rosenkranz und verzehrte sich in harter Arbeit. Sie führte nun den Hof und leitete die Landwirtschaft, seit Fredi und Jost das Loch verlassen und ihr Auskommen im Unterland gefunden hatten. In der neuen oberen Scheune standen nun nur noch zwei Stück Vieh und ein paar Häupter Galtigs, die aber einem Viehhändler aus dem Nachbardorf gehörten und auch von einem seiner Knechte besorgt wurden. Schon bald hielt sich Elisi im Geissenstall ein Dutzend Toggenburger Ziegen, im Tränkschopf einige Kaninchen. Zusammen hauste das neugebackene Ehepaar in der hinteren Wohnung im Vaterhaus, während Cilly und Ätti den vorderen Hausteil belegten. Am Anfang muss das Verhältnis der zwei Frauen recht gut gewesen sein. Vater renovierte unterdessen den Alpenblick, nach Mitte der Dreissigerjahre gab es für die Holzbau AG nur wenig zu tun, viele Mitarbeiter mussten entlassen werden.

      Nach Mutters Unterleibsgeschichte und ihrem Aufenthalt im Krankenhaus verschlechterte sich die Atmosphäre im Loch eindeutig, die Beziehung zwischen den zwei Frauen spitzte sich zu, dass dabei auch Eifersüchteleien und weibische Perfidie im Spiel waren, behauptete der Ätti, wenn dieses Thema zur Sprache kam. Cilly war noch ledig, eine junge, hübsche Frau von Mitte zwanzig. Recht häufig bekam sie Besuch von Nachtbuben oder Freiern. Denen wurde dann aufgetischt und kredenzt, das war so Sitte, diese Rituale entwickelten sich oft zur Plage, störten die Ruhe und den Frieden. Mein Vater kam meistens erst spät nach Haus, er arbeitete bis in die Nacht hinein an seinem Haus. Wenn er dann auftrat, leerte sich die Stube, und die Besucher verschwanden in die Nacht, aus der sie gekommen waren. Es kam vor, dass er über das Lotterleben fluchte, über die sinnlose Verschwendung, das Füttern dieser Buben belaste nur den Haushalt. Doch meistens war es Elisi, die zeterte, wegen der Moral oder der Gelegenheit zur Unzucht, der hier Vorschub geleistet werde. So waren dann alle Beteiligten froh, als der Umbau und die Renovation des Alpenblick endlich fertig war, das war im Frühling ᾽37, und Hans und Elisi hielten dort Einzug.

      Grossvater schenkte den beiden das Bildnis von Sankt Kümmernis, es war die Darstellung einer gekrönten gekreuzigten Figur, angetan mit einem blauen Gewand, besät mit goldenen Sternen. Das Kunstwerk war aus Wachs gefertigt und mit einer echten Reliquie versehen, gekräuseltes Barthaar in einer Kapsel, bedeckt von einer gewölbten Glasplatte, das Ganze in einen reichverzierten Goldrahmen gefasst. Wie Ätti zu erzählen wusste, war St. Küm­mernis eine Königstochter aus Lusitanien, die auf ihr Bitten von Gott mit Bartwuchs augestattet wurde, sodass sie in ein Männerkloster eintreten konnte und dort ihr ganzes Leben lang Gutes tat. Als sarazenische Räuber das Kloster überfielen, kreuzigten sie alle Mönche. Die Blutzeugen wurden, als die Übeltäter verschwunden waren, von den überlebenden Dorfbewohnern vom Kreuz abgenommen und feierlich bestattet. Beim Waschen und Zurichten der Leichen wurde dann die Identität der heiligen Märtyrerin entdeckt und in der Folge vom Volk als St. Kümmernis verehrt. Das eigenartige Bild der gekreuzigten, bärtigen Frau hing dann noch jahrelang in einer Ecke im Schlafzimmer meiner Eltern. Ich durfte dort nicht hin, dieses Zimmer war für mich verbotenes Terrain. Doch kam es manchmal vor, wenn ich allein zu Hause war, dass ich hineinschlüpfte und dann voll Staunen diese bunte, barocke Darstellung betrachtete, mit Andacht, Furcht und leichtem Schaudern. Eines Tages ertappte mich meine Mutter dabei, und dann war das Bild weg, ich habe es nie mehr gesehen.

      Die Ehe meiner Eltern muss von Anfang an von Problemen belastet gewesen sein. Es war mein Vater, der viel später dann – es war während meiner Sekundarschulzeit – mit mir darüber sprach. Sei es, um seine Eskapaden zu rechtfertigen, war er doch wieder einmal in eine Vaterschaftsklage verwickelt, sei es, um mich vor den Klippen des Ehelebens zu warnen, über die Gefahren des Eros aufzuklären.

      Ein schlechtes Omen war bereits der Start zur Hochzeitsreise. Am Morgen nach der Hochzeit wollten sie vor der Lungerer Kirche, umgeben von einigen Angehörigen und Freunden, zur Hochzeitsreise ins Tessin aufbrechen. Beide in Motorradanzügen, angetan mit Lederkappen und grossen Staubbrillen, winkten den versammelten Leuten zu. Dann startete Vater die schwere Maschine, Mutter sass hinter ihm auf dem Soziussitz, als er plötzlich anfuhr und das steile Strassenstück zum Brünigpass hinaufdonnerte, wobei seine Ehefrau vom Sattel fiel und unsanft auf die Strasse plumpste. Er bemerkte das Missgeschick erst im ersten Rank, kehrte um, und unter dem Gelächter der Umstehenden wurde dann zum zweiten Mal gestartet. Auch die Hochzeitsnacht muss in einem Desaster geendet haben, erschien doch anderntags die frischgebackene Ehefrau mit rotgeschwollenen, verweinten Augen am Frühstückstisch. Und als ihm dann seine Frau die Erfüllung ehelicher Freuden später ganz versagte, war er keineswegs bereit, sich in sein Josefsschicksal zu fügen, von Askese, Kasteiungen und frommem Wandel war er gar nicht angetan, im Gegenteil. Enthaltsamkeit entsprach seinem Temperament in keiner Weise. Es war auch nicht so, dass ihn nun Sinneslust zur Unmässigkeit oder zu Ausschweifungen getrieben hätte, nie sah ich ihn betrunken, nie unbeherrscht. Immer wieder brachte er ein kleines Präsent mit, wenn er von längeren Absenzen wieder einmal nach Hause kam, vom Berg oder aus der Stadt, ein Sträusschen Edelweiss, eine Schachtel Pralinen oder ein schönes Umhangtuch, einmal sogar eine Serie kunstvoll bestickter Taschentücher. Auf die Frage meiner Mutter, was sie denn nun damit anfangen solle, meinte er sarkastisch grinsend, es gebe dafür bei ihr wohl immer Bedarf, und sei es nur zum Trocknen ihrer Freudentränen, wenn er endlich wieder daheim sei.

      Jeden Morgen stieg er in das kalte Wasser des Brunnentrogs hinter dem Haus, selbst im Winter, wenn er zuerst das Eis zerschlagen musste. Doch scheinbar konnte auch Eiswasser seine Hitze nicht löschen, man munkelte so dies und das, die Leute tratschten hinter vorgehaltener Hand, dass das Elisi gar so manches nachsah und in ihrer Toleranz oft bis an die Grenzen des Erträglichen ging. Meine Mutter, die stets die Miene stiller Duldung zur Schau trug und dabei einen kleinen Geruch von Unzufriedenheit ausströmte, schien in ihrem arbeitsamen und gottesfürchtigen Lebenswandel so etwas wie einen Ausgleich für die Härten ihres Schicksals gefunden zu haben.

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