There will be no surrender. Mitch Walking Elk

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Название There will be no surrender
Автор произведения Mitch Walking Elk
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948878146



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Mann sei und ihn jemals wiedersehen sollte. Dieser Gedanke verfolgte mich eine lange Zeit, bis es tatsächlich zu dieser Begegnung kam: Ich ging Jahre später eine Straße in meiner Heimatstadt entlang und kam zufällig an einem Restaurant vorbei, wo die Tür offen stand. Ich schaute hinein und siehe da, da war dieser Goodlow. Er saß an einem Tisch und schob sich Essen ins Maul. Er hatte mich nicht bemerkt und ich stand eine Weile da und beobachtete ihn. Ich versuchte mich zu entscheiden, ob ich mein Versprechen, an das ich mich in diesem Moment natürlich erinnerte, einhalten sollte. Ich hatte mich gerade dafür entschieden, einfach weiterzugehen, als er plötzlich aufsah und bemerkte, dass ich ihn beobachtete. Ich sah an seinen Augen, dass er mich erkannte und es schien mir, als ob er nicht wirklich respektvoll gewesen wäre. Ich ging hin zu seinem Tisch und stand vor ihm, während er einfach weiteraß. Es kostete mich große Beherrschung, nicht das zu tun, was ich vor Jahren versprochen hatte. Ich erwiderte seinen abfälligen Blick, drehte mich um und verließ das Restaurant. Ich bin ihm seitdem nicht mehr begegnet. Ich hörte kürzlich, dass er gestorben sei. Woran weiß ich nicht. Es ist mir auch egal.

      Eines aber ist sicher. Wenn Goodlow Proctor heute ein Kind auf die gleiche Weise bestrafen würde wie er uns damals bestraft hatte, dann würde er wegen Kindesmisshandlung ins Gefängnis kommen. Erst Jahre später wurde mir bewusst, dass die Art, wie er uns behandelt hat, nichts anderes als Folter war. Das Wort Misshandlung ist für das, was er uns angetan hat, einfach unzutreffend. Folter ist das richtige Wort dafür.

      Ich war nicht dabei und habe es nicht mit eigenen Augen gesehen, aber irgendwann in den 70ern protestierte das American Indian Movement vor einer Schule und versuchte die Behandlung der Schüler an die Öffentlichkeit zu bringen und die Schließung der Schule zu bewirken. Es könnte ein Erfolg gewesen sein, denn kurz danach schloss die Seneca Indian School ihre Pforten und später habe ich erfahren, dass das Militär einige der Gebäude für Artillerieübungen benutzte.

      Simon Bush, auch ein Cherokee, war der Betreuer der anderen Jungen. Er war wesentlich freundlicher als Goodlow Proctor. Er sprach fließend Cherokee und redete mit jenen Schülern, die auch noch diese Sprache beherrschten, in ihrer Muttersprache. Das war gemäß den früheren Regeln des Boarding Schools Systems streng verboten. Simon war in Ordnung, aber er war trotz allem noch ein Regierungsindianer, der die schmutzige Arbeit der Weißen ausführte. Er war ein untersetzter, rundlicher Mann, aber nicht wirklich dick und lief immer mit einer Zigarre herum, die aus seinem Mund ragte. Auch ihm begegnete ich einige Jahre später wieder und er hatte sich überhaupt nicht verändert.

      Mrs. Peters war eine der Hausdamen unserer Unterkunft und genau wie Mr. Bush wohnte auch sie in der Unterkunft. Sie war eine Choctaw, irgendwo aus Oklahoma, und mein Gott, sie war richtig gemein. Ein anderer mag sie als streng oder vielleicht auch nett in Erinnerung haben, aber ich fand sie richtig fies. Eine der Haupteigenschaften, die einer Institution wie der Boarding School fehlen, ist das Mitgefühl, und Mrs. Peters passte perfekt in das Umfeld dieser Schule, denn sie hatte keins.

      Eines der Probleme, die mir in meiner Kindheit wirklich zu schaffen machten, war die Tatsache, dass ich Bettnässer war. Auf diejenigen von uns, die ins Bett machten, wartete eine besondere Strafe: Wir mussten früh am Morgen aufstehen, unser Bettzeug auswaschen und zum Trocknen aufhängen. Das war etwa um die gleiche Zeit, als die anderen Schüler zum Frühstück gingen. Das war die größte Erniedrigung meines Lebens. Bettnässer wurden auch mitten in der Nacht geweckt, damit sie zur Toilette gingen und nicht ins Bett pinkelten. Eines Nachts wurde ich von einer Ohrfeige geweckt, die mir Mrs. Peters verpasst hatte. Ich hatte es zwar geschafft aufzustehen und zur Toilette zu gehen, aber ich war immer noch nicht ganz wach und wusste gar nicht so recht, was ich dort eigentlich sollte. Sie hatte sehr fest zugeschlagen. Das war erniedrigend und demütigend für mich, aber ich hatte immerhin die Botschaft verstanden.

      Eine andere Form der Misshandlung war das routinemäßige Haarschneiden jeden Samstagmorgen. Niemand konnte Simons oder Goodlows Haarschneidemaschine entkommen. Sie brauchten keine talentierten Friseure zu sein, um diese Aufgabe zu erfüllen, denn wir bekamen keinen persönlichen Haarschnitt, sondern wurden geschoren. Ich hasste es, meinen Kopf rasieren zu lassen und versteckte mich vor ihnen, aber dann holten sie mich eben Samstagnacht aus dem Bett und verpassten mir eine „Frisur“. Jahre später, als ich andere weiße Institutionen kennenlernte, fiel mir auf, dass sie die gleiche Haarschneidestrategie als Bestrafung bei denen anwandten, die sich nicht unterwerfen wollten.

      Die Sache mit dem Haarschnitt spitzte sich in den späten 70ern erneut zu, als ich nach vier Jahren auf der Flucht in das staatliche Zuchthaus von Columbus, Ohio, eingeliefert wurde. Mit der Begründung, dass ich seit meinem sechsten Lebensjahr gezwungen worden war, mich den Regeln der Institutionen des weißen Mannes zu unterwerfen, weigerte ich mich aus spirituellen und kulturellen Gründen, mir die Haare schneiden zu lassen. Inzwischen hatte ich nämlich angefangen, an traditionellen indianischen Zeremonien teilzunehmen und lernte all die Dinge, die sie (die US-Regierung) so viele Jahre versucht hatte zu zerstören. Ein Mann, der traditionelle Heilmethoden praktizierte, ein Medizinmann, hatte mir gesagt, dass sie mir im Gefängnis die Haare nicht abschneiden könnten, solange ich stark sein würde. Daraufhin steckten sie mich ins „Loch“, das heißt, sie sperrten mich in Einzelhaft, weil ich mich den Regeln und Vorschriften der Anstalt widersetzt hätte.

      Als Reaktion gegen diese Maßnahme reichte ich Klage ein. Ich wollte mein Haar lang tragen dürfen, wie es gemäß dem traditionellen Glauben meines Volkes der Brauch war. Von dem Moment an, wo ich mich entschieden hatte, Widerstand zu leisten, fastete ich und betete zu den Geistern und bat um Hilfe. Die Geister halfen mir und ich gewann den Prozess.

      Sie haben verloren.

      Als ich etwa neun oder zehn Jahre alt war, fing ich an, von der Schule wegzulaufen. Zuerst wollte ich immer nur nach Hause und weg von dem Ort, wo ich nicht sein wollte. Aber nach einer Weile wollte ich einfach nur von der Schule weg, egal wohin. Nach Hause zu gehen war nicht ratsam, weil Goodlow oder die Polizei immer wieder kamen und mich zurückbrachten. Zuerst steckte mich die Polizei ins Gefängnis, bis Goodlow mich dort abholte. Dann behielten sie mich über Nacht im Gefängnis, dann eine Nacht und einen Tag und manchmal noch eine Nacht länger und so weiter. Goodlow kam dann, wenn er sich gut auf die dann folgende körperliche und seelische Misshandlung vorbereitet hatte.

      Nie fragte jemand, warum ich überhaupt weglief. Das Wohl der Kinder in diesen Einrichtungen lag niemandem am Herzen. Die Kinder waren diesem System vollkommen ausgeliefert. Kurze Zeit, bevor ich überhaupt anfing wegzulaufen, wurde ich in der Schule das zweite Mal in meinem Leben sexuell missbraucht. Erst viel später, als ich mich mit meinen Erlebnissen in der Boarding School und all den erlittenen Misshandlungen auseinandersetzte, fiel mir auf, dass es eigentlich gar kein Wunder war, dass ich aus der Schule weggelaufen bin. Damals war es einfach nur ein Überlebenstrieb, denn als Kind brachte ich den sexuellen Missbrauch nicht mit meinen Fluchtversuchen in Zusammenhang, nichtsdestotrotz geriet ich dadurch in alle nur möglichen gefährlichen Situationen.

      Ich glaube, dass das, was mir in der Boarding School widerfahren ist, den Grundstein für ein Leben in Verbindung mit Verbrechen, Alkohol, Drogenmissbrauch, Gewalt, Gefängnissen und emotionaler Instabilität gelegt hat. Noch Jahre später war ich in diesem Netz gefangen. Dieses vorbildliche amerikanische System, das eigentlich das „Indianerproblem“ lösen wollte und mir als Ersatz anbot, mein Beschützer und Wohltäter zu sein, welches sogar vertraglich die Aufgabe übernommen hatte, mich zu kleiden, mir Unterkunft zu gewähren und mich zu bilden, hat mich buchstäblich fast umgebracht. Bei anderen um mich herum ist ihnen das auch gelungen.

      Ich war einer der drei oder vier Jungs, die regelmäßig abhauten. Aber selbst wenn wir in der Nacht weggelaufen waren, hat man uns wieder eingefangen, und während einer von uns im Büro seine Strafe erhielt, saßen wir anderen draußen und warteten, bis wir an der Reihe waren. Was uns nicht daran hinderte, kurz darauf wieder davonzulaufen.

      Einmal stahlen ich und ein anderer Schüler zwei Pferde, die der Schule gehörten. Wir ritten davon und erst nach drei Tagen wurden wir geschnappt. Man könnte meinen, wir hätten, ohne dass es uns bewusst war, eine alte Tradition unseres Volkes fortgesetzt, nämlich dem Feind Pferde zu stehlen und ihm zu entkommen. Sie machten noch mehrere Wochen danach Scherze, dass man uns aufhängen würde. Goodlow war so sauer auf uns, dass er uns noch nicht mal mehr im Klassenzimmer haben wollte. Nachdem