Ryloven. Manuel Tschmelak

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Название Ryloven
Автор произведения Manuel Tschmelak
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076872



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euch. Wir fangen morgen am Nachmittag mit dem Bogenschießen an. Doch heute solltet ihr euch noch ausruhen“, sagte er und überreichte ihnen die Bögen. Gemeinsam gingen sie zur Hütte zurück und Nicolas zeigte ihnen, wie sie die Sehnen abnahmen und wieder befestigten und wie sie ihren Bogen von jetzt an pflegen mussten. Will und Keron verstauten ihre neuen Waffen behutsam in ihrem Zimmer und konnten den nächsten Tag kaum noch erwarten.

      Keron folgte Will und schaute sich seine Umgebung bei jedem Schritt genau an. Mit dieser Taktik kamen sie zwar nur langsam voran, aber andererseits wollten sie nicht wieder einen Fehler machen, indem sie eine Spur übersahen. Als Keron und Will an diesem Tag aufgestanden waren, entdeckten sie, dass ein an sie adressierter Brief am Tisch im Wohnbereich lag. In diesem Brief stellte Nicolas ihnen die Aufgabe, dass sie mit ihren Bögen zum Waldrand gehen sollten. Dort würden sie einen Baum finden, in dem ein Pfeil steckte. Nachdem sie den Pfeil aus dem Stamm gezogen hatten, sollten sie seinen Spuren durch den Wald folgen, bis sie ihn fanden. Aufgeregt rannten sie in ihr Zimmer, holten ihre Bögen und machten sich sofort auf, um den Pfeil zu suchen. Es dauerte nicht lange und Keron entdeckte ihn im Stamm einer großen Eiche. Sie nahmen den Pfeil mit und folgten der Spur von Nicolas, wie er es ihnen beigebracht hatte. Nach einer halben Stunde hatten sie ein halbes Dutzend Pfeile aus den Bäumen befreit. Danach wurde ihre Verfolgung schwieriger. Die Anzeichen, dass eine Person durch den Wald streifte, wurden undeutlicher und weniger und nach einer weiteren halben Stunde endete die Spur einfach. Zuerst suchten die beiden die nähere Umgebung ab, weil sie dachten, dass sie irgendetwas übersehen hatten. Doch als sie nichts fanden, mussten sie sich eingestehen, dass Nicolas eine falsche Spur gelegt hatte, um sie in die Irre zu führen. Etwas verärgert, da sie einer falschen Fährte gefolgt waren und Nicolas es ihnen so schwer machte, kehrten sie um und gingen zu dem Baum zurück, in dem der letzte Pfeil gesteckt hatte. Dort entdeckten sie dann wirklich eine zweite Spur, die in Richtung Nordosten führte.

      Dieser Spur folgten sie jetzt schon eine ganze Weile und jedes Mal, wenn einer von ihnen einen weiteren Pfeil entdeckte, stieg ihr Selbstvertrauen wieder ein klein wenig an. Nach einer weiteren Stunde, die sie damit verbrachten in gebückter Haltung durch den Wald zu schleichen und der Spur von Nicolas zu folgen, hörte Keron ein Pfeifen, dass dem eines Vogels ähnelte, aber es hörte sich nicht ganz richtig an. Keron blieb stehen, lauschte und versuchte so herauszufinden, aus welcher Richtung der vermeintliche Vogelruf kam. Nach einigen Sekunden hörte er dasselbe Pfeifen erneut und konnte die Richtung ausmachen. Das Pfeifen war ein Signal, das sich Will und Keron ausgedacht hatten, um dem anderen zu signalisieren, dass einer von ihnen noch einen Pfeil oder etwas anderes entdeckt hatte.

      Als Keron bei dem Baum ankam, vor dem Will stand, hatte der schon ihren zwölften Pfeil aus dem Stamm des Baumes geholt. Doch dieses Mal hatte Will zu Kerons Erstaunen noch etwas anderes beim Stamm dieses Baumes gefunden. Er hielt zwei Köcher in den Händen und überreichte einen von ihnen Keron. Sie füllten ihre ledernen Köcher mit jeweils sechs der gefundenen Pfeile und schnallten die Köcher dann auf ihre Rücken.

      „Hast du auch schon den nächsten Hinweis entdeckt?“, fragte ihn Keron.

      „Ja. Dort wurde das Moos unter einem Stiefel vom Stein abgerieben“, er nickte und zeigte Richtung Norden. „Und ungefähr 100 Meter weiter sind etliche Zweige in der Höhe der Beine abgeknickt, als wäre jemand durchs Dickicht gerannt“, sagte Will und beendete damit seine Schlussfolgerung.

      „Aber könnte es nicht auch sein, dass ein Tier die Zweige abgeknickt hat?“

      Will überlegte kurz, schüttelte dann jedoch den Kopf. „Ich glaube nicht. Wenn es wirklich ein Tier gewesen wäre, hätte ich irgendwo Pfotenabdrücke oder etwas in der Art sehen müssen. Oder es wären Haare von dessen Fell an den abgeknickten Zweigen hängen geblieben, als das Tier durch die Büsche gelaufen ist.“

      Die beiden setzten ihren Weg also in Richtung Norden fort und bald darauf konnten sie Sonnenlicht durch die Bäume vor ihnen in der Ferne scheinen sehen. Umso weiter sie der Spur folgten, umso näher kamen sie auch dem Rand des Waldes. Es dauerte nicht lange, bis sie die letzten Bäume erreicht hatten und ins Sonnenlicht hinaustraten. Wegen der langen Zeit im dunklen Wald mussten sich ihre Augen erst wieder an das grelle Licht der Sonne gewöhnen. Doch anders als sie vermutet hatten, bildeten die Bäume nicht den Rand des Waldes, sondern nur die Grenze zu einer sehr großen Lichtung. Bis auf fünf alleinstehende Bäume war die einzige Erhöhung auf der großen Wiese ein einzelner Stein, der sich ganz in ihrer Nähe befand. Keron wunderte sich, wie ein einzelner Felsbrocken auf diese Lichtung gekommen war. In ihrer näheren Umgebung war alles flach und kein Berg war dieser Lichtung so nahe, dass der Stein einfach vom Berghang abgerutscht sein konnte.

      Als Will den Brocken aus der Ferne musterte, entdeckte er plötzlich eine Gestalt, die sich gegen das Sonnenlicht am Stein abzeichnete. Er schirmte sich die Augen gegen die Sonne ab und erkannte zu seinem Erstaunen Nicolas, der auf dem großen Stein saß. „Keron, schau doch“, rief er seinem Freund aufgeregt zu und zeigte in die Richtung des Felsens. Keron schirmte sich ebenfalls die Augen gegen die Sonne ab, um besser sehen zu können und schaute zum Stein hinüber, wo er, wie zuvor Will, niemand anderen als Nicolas entdeckte. Erleichtert, weil sie ihn endlich gefunden hatten, rannten sie auf ihn zu.

      Nicolas erwartete sie Pfeife rauchend auf dem Stein und blies, wie es seine Art war, Ringe aus Rauch in den blauen Himmel, während er den beiden entgegenblickte. Etwas außer Atem blieben Will und Keron vor dem Felsbrocken stehen und blickten erwartungsvoll zu Nicolas nach oben, der sie mit ausdrucksloser Miene musterte.

      „Ihr habt es geschafft. Gut gemacht“, sagte er schließlich.

      „Na ja, wir sind einige Zeit einer falschen Spur gefolgt und haben damit viel Zeit verloren“, gab Keron wahrheitsgemäß zu.

      Nicolas nahm einen Zug von seiner Pfeife und nickte. „Das Ziel war es, mich auf dieser Lichtung zu finden. Außerdem habt ihr eine wichtige Lektion gelernt. Ihr könnt nicht immer davon ausgehen, dass eure Feinde keine Erfahrung im Verfolgen von Personen haben. Ihr müsst stets wachsam bleiben, um mögliche Fallen und falsche Spuren entdecken zu können. Außerdem könnte euch jemand auch in die Irre führen, indem er seine Spuren verwischt. Aber da ihr jetzt hier vor mir steht, würde ich sagen, dass ihr eure Aufgabe erfüllt habt.“

      „Ich hätte noch eine Frage“, stellte Will fest.

      Nicolas seufzte. „Und die wäre?“

      „Warum habt ihr uns hierher geführt?“

      „Ich dachte, das läge doch auf der Hand. Ihr seid hier, um zu trainieren“, antwortete Nicolas, hüpfte von dem Felsbrocken hinunter und verschwand dahinter, um gleich wieder mit seinem Bogen in der Hand aufzutauchen. „Genauer gesagt, seid ihr beide an diesem Ort, um die Kunst des Bogenschießens zu erlernen.“

      Nicolas ging voran. Will und Keron folgten ihm in die Mitte der Lichtung. „Ich habe um meine Pfeile ein rotes Band gebunden, damit ihr sie von euren eigenen besser unterscheiden könnt“, sagte er und zeigte ihnen den Pfeil, den er mit einer fließenden Bewegung aus seinem eigenen Köcher herausgeholt hatte. „Ich werde einen Pfeil in jeden dieser fünf Bäume dort auf der anderen Seite der Lichtung schießen und eure Aufgabe ist es, eure Pfeile so nahe wie möglich an meinen zu platzieren. Verstanden?“ Will und Keron nickten und nahmen ihre eigenen Bögen in die Hände, um ihre Bereitschaft zu signalisieren.

      „Das ist es, was ihr am Ende eures Trainings können sollt.“ Gleich nachdem er diesen Satz beendet hatte, schoss Nicolas auch schon den ersten Pfeil ab und dann den nächsten und den nächsten. Keron konnte nicht glauben, dass ein Mensch in so einer Geschwindigkeit zielen konnte, aber keiner der Pfeile verfehlte sein Ziel. Nicolas zog in dem Zeitraum eines Blinzelns einen neuen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn an und schoss. Hätte er es nicht mit eigenen Augen gesehen, sondern nur in einem Gasthof davon gehört, hätte er kein Wort geglaubt. Doch er sah es und es machte ihm Angst. Sich vorzustellen, dass Nicolas nicht auf Bäume sondern auf Soldaten, auf Menschen schoss, bereitete ihm Gänsehaut. Er zweifelte nicht daran, dass sein Lehrmeister mit jedem Pfeil in seinem Köcher einen Menschen in weniger als einer Sekunde aus einer großen Entfernung töten konnte. Wahrscheinlich würde sein Gegner nicht einmal wissen, wer auf ihn geschossen hatte. Nun verstand Keron vollkommen, warum sich der Name des Ordens im Laufe