Mitten im Steinschlag. Britta Kiehl

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Название Mitten im Steinschlag
Автор произведения Britta Kiehl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991077152



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seufzte schwer, bevor er antwortete:

      „Gib dem eine Waffe in die Hand und du musst aufpassen, dass er sich nicht selbst verletzt. So etwas hat mir gerade noch gefehlt“, log Philip unverblümt bedauernd. Allgemeines Gelächter folgte.

      „Mein Schwager ist ein stiller Aufrührer, er kann gut mit Schwert und Degen umgehen. Soll ich dem mal diskret auf den Zahn fühlen?“, fragte der Besitzer der Schusterwerkstatt.

      „Einen Versuch ist es wert“, erwiderte Philip. Man diskutierte noch über dieses und jenes. Mitternacht war lange vorbei, als einer nach dem anderen die Schenke in teils sturzbetrunkenem Zustand oder teils griesgrämig verlies. Die Tarnung verlief wie immer perfekt.

      Beunruhigt steuerte Sarah an einem frühen Abend das Schlafzimmer ihrer Schwester an.

      Lizzys Veränderung bereitete ihr Sorgen. Sicher ging sie präzise ihren Pflichten im Schloss nach, doch wirkte sie oft abwesend, dann wieder traurig oder sie starrte mit entrücktem Lächeln zum Fenster hinaus. Irgendetwas hatte Lizzy verändert, irgendetwas hatte sich zugetragen, dass mit dem Verschwinden ihrer Schwester zu tun hatte. Hatte man ihr vielleicht doch Gewalt angetan, sie bedroht und zur Verschwiegenheit genötigt?

      Tausend wirre Fragen gingen ihr seit Tagen durch den Kopf, die sie nicht ruhen ließen und deren Beantwortung sie sich heute von Lizzy erhoffte.

      Wie von Sarah erwartet, saß Lizzy schon im Bett, versunken in ihrer Einschlaflektüre.

      „Ist es schon zu spät zum ‚Schwesternkuscheln‘?“, fragte Sarah gespielt übermütig.

      „Rutsch rein ins Bett“, erwiderte die Angesprochene lächelnd. Sarah streifte ihre Reitstiefel ab und schlüpfte grazil unter die dünne Daunendecke.

      „Wir hatten schon lange keinen gemütlichen Schwesternabend mehr, findest du nicht?“

      Sarah begann mit leichter Konversation.

      „Schon lange nicht mehr.“ Lizzy griff nach dem Glas Rotwein auf ihrem Nachttisch. Sie trank einen Schluck und reichte das Glas schweigend an ihre Schwester weiter.

      „Der Wein ist verdammt gut. Aus Dad’s heimlichen Vorräten?“

      „Ertappt. Habe ich gestern mitgehen lassen, als ich die Weinbestände geprüft hatte, um die Neubestellungen an den Verwalter weitergeben zu können.“

      Nach Minuten des Schweigens entschloss sich Sarah den direkten Weg einzuschlagen und konform zu gehen.

      „Was ist mit dir los? Du bist völlig verändert, seit du wieder hier bist“, fragte Sarah forsch.

      Lizzy schnaubte kurz durch die Nase. Sie ließ sich Zeit mit der Beantwortung der Frage.

      „Gar nichts ist los, alles ist in bester Ordnung, wie immer.“

      „Nichts ist in Ordnung, kleine Schwester. Hat man dir etwas getan? Setzt man dich unter Druck? Droht man dir? Rede endlich mit mir!“, donnerte Sarah gereizt heraus.

      Lizzy indes lächelte nur in sich gekehrt.

      „Ich habe mich nur unsterblich verliebt, das ist alles.“

      Sarah starrte sie mit offenem Mund an.

      „Mach den Mund wieder zu, es ist passiert und du kannst es nicht rückgängig machen.“

      Lizzy lächelte matt.

      „In wen und wo und wie?“

      „In den, der mich gefunden und mir geholfen hat.“

      „Der den Brief geschrieben hat? Der weiß, dass du eine Prinzessin bist. Der versucht doch nur, das für sich profitbringend auszunutzen.“ Sarah war schockiert.

      „Wie kannst du nur auf so etwas reinfallen, Lizzy?“

      Die Angeredete blieb ruhig und gelassen.

      „Du kennst ihn nicht, auch nicht die Familie, bei der er wohnt und arbeitet. Sie waren alle so herzlich und besorgt um mich.“ Abrupt änderte sie ihre Tonlage, während sie ihr Gesicht ihrer Schwester zudrehte.

      „Hat irgendjemand Geld gefordert? Ja?“, begehrte sie wütend auf.

      Sarah schwieg.

      „Hat irgendjemand, irgendetwas für mich gefordert? Die Antwort ist ein klares Nein. Höre auf mit deinen lächerlichen Verdächtigungen. Ich bin zwar etwas jünger als du und habe keine Erfahrungen mit Männern, doch besitze ich so viel Weitsicht um einschätzen zu können, wer es darauf anlegt, meinen Status als Prinzessin auszunutzen.“

      Sarah schwieg noch immer. Für Einwände fehlten ihr im Moment einfach die Worte.

      Lizzy atmete heftig vor Erregung. Krampfhaft versuchte sie sich zu beruhigen.

      Nach einigen peinlichen Minuten sagte Sarah kleinlaut:

      „Aber ich habe mir einfach nur fürchterliche Sorgen um dich gemacht, kleine Schwester. Du wirkst immer so zerbrechlich und zart. Ich will dich beschützen, eben weil du in vielen Sachen noch unerfahren bist.“

      „Das brauchst du aber nicht. Daniel ist ein einfacher Möbeltischler, kommt aus simplen Verhältnissen, geht sträflich und korrekt seiner Arbeit nach und hilft seinen Wirtsleuten, wo er kann. Er ist ein Mensch, kein Monster oder Verbrecher.“

      „Du triffst ihn heimlich?“, fragte Sarah vorsichtig.

      „Ja“, kam es kurz und knapp zurück. Auch wenn Sarah die Situation als keinesfalls gut einschätzte, so antwortete sie von sich selbst überrascht:

      „Nimm bitte in Zukunft immer zwei Wachen als Geleitschutz mit. Du kannst sie ja in angemessener Entfernung auf dich warten lassen. Bitte versprich mir das!“

      „Mache ich, versprochen. Weißt du, was komisch ist? Daniel hatte mir zu dieser Maßnahme auch schon geraten. Der ist um mich mindestens genauso besorgt, wie du es bist.“ Lizzy lachte gepresst. Für sie war das Thema hier beendet.

      Es war fast Mitternacht, als Sarah ihr Schlafzimmer aufsuchte. Liam spielte mit Oberst Stelton und Dr. Gregory Karten. Das konnte mitunter die ganze Nacht in Anspruch nehmen.

      So war sie allein und konnte das eben gehörte in Ruhe verdauen und ihren eigenen Gedanken störungsfrei nachgehen. Noch immer nicht so recht zufrieden krabbelte sie schließlich ins Bett. Die Zweifel an diesem Tischler waren ihr keineswegs genommen. Vielleicht steckte doch Eigennutz hinter dem Handeln dieses Mannes.

      War es nicht kinderleicht, bei so einem Stelldichein Lizzy kurzer Hand zu kidnappen und später Lösegeld zu fordern? Der Hinweis von ihm, sie möge in Begleitung reiten, war vielleicht nur gezielt gesetzt, um zu erfahren, wie bewacht Lizzy auf ihren heimlichen Ausritten tatsächlich war.

      Sarah hatte Lizzy versprechen müssen, ihr nicht zu folgen bzw. sie verfolgen zu lassen. Irgendetwas musste sie aber doch tun. Aber was! Es würde sinnlos sein, nach einem jungen Tischler suchen zu lassen, der bei irgendwelchen Leuten wohnte. Das konnte überall sein, ging es ihr durch den Kopf.

      Ihr Vater legte keinen Wert auf Konventionen und ließ seinen Töchtern die freie Partnerwahl insofern, dass nicht irgendwelche miesen Machenschaften von den gewählten Partnern ausgingen. Trotzdem würde sie mit ihm reden müssen. Gewiss würde es sich einrichten lassen, dass Lizzys heimliche Liebschaft ins Schloss eingeladen würde. Nur so hatte sie die Möglichkeit, dem Tischler gehörig auf die Finger schauen zu können, gegebenenfalls seine Absichten zu ergründen. Selbstzufrieden mit dieser Lösung fand Sarah endlich Schlaf.

      Daniel hatte zutiefst gehofft, Lizzy würde nicht beim ersten vereinbarten Treffpunkt erscheinen, nicht um seinetwillen, sondern um ihretwillen.

      Wozu eine Liebe festigen, die niemals sein durfte. Vielleicht hatte der Abstand zu ihm in den wenigen Tagen gereicht, sie zu Sinnen zu bringen. Würde sie nicht erscheinen, würde er aufatmend in die Tischlerei zurückkehren, sich noch eine Zeit lang quälen und sie, so hoffte er, irgendwann vergessen. Doch Lizzy kam und sie kam immer wieder, trotz seiner Einwende und Vorbehalte. Je öfter sie sich trafen, desto mehr