Varius. Adina Wohlfarth

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Название Varius
Автор произведения Adina Wohlfarth
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991072430



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auf.“ Ich beugte mich vor und sah ihn mit so viel Abscheu an, wie es nur ging. „Und du weißt sicher auch, warum meine Eltern überhaupt so plötzlich weg mussten, ohne mir Bescheid zu sagen, oder?“

      Seine Schultern wurden steif. „Vom Lager aus wurde bei ihnen angerufen und gesagt, dass die Gray Eyes an der Grenze großen Ärger machen. Daraufhin sind sie losgefahren, völlig überstürzt … Aber davon wusste ich wirklich nichts. Das wurde mir erst erzählt, als ich im Lager angekommen bin.“

      „Ich glaube dir kein Wort“, stieß ich hervor. „Dann war keiner mehr im Schloss, und du konntest in Ruhe … deine Arbeit zu Ende bringen.“

      Meine Stimme überschlug sich mehrfach, so wütend und verletzt war ich.

      Ich sprang auf, rannte zur Tür, öffnete sie und sah ihn auffordernd an.

      „Verschwinde“, zischte ich. Luan sah mich flehend an, so verzweifelt hatte ich ihn noch nie zuvor gesehen. „Nell, ich hatte wirklich keine Ahnung, dass sie es so weit treiben würden und deine Eltern verletzen.“

      „Verschwinde“, wiederholte ich lauter. Er stand auf und kam auf mich zu.

      „Bitte, Nell … ich –.“

      „Ich hasse dich, Luan Moor! Und weißt du was? Am Anfang, da habe ich dir sogar vertraut. Aber du hast Recht, jetzt ist es vorbei, jetzt ist alles vorbei.“

      Mit Schwung packte ich seinen Oberarm und zog ihn nach draußen. Er sah mich überrascht an. Bevor ich noch einmal dieselbe Luft wie er einatmen musste, schlug ich die Tür zu und presste mich von innen dagegen. Ich wartete, bis er versuchte, sie aufzuschieben, aber es blieb still.

      Keuchend trat ich einen Schritt zurück und starrte auf die Klinke. Fast wünschte ich mir, dass er zurückkam, unterdrückte den Gedanken aber so schnell wie möglich. Meine Wut auf Luan Moor, diesen Verräter, war so groß, dass ich mich fast übergeben musste.

      Ein letztes Mal spürte ich den leichten Schauder auf meinem Rücken, dann entfernte sich Luan mit steifen Schritten und vor meiner Tür war keine Seele mehr.

      7

      Nell

      Lou kam erst spät aus dem Gemeinschaftsraum zurück und ich hatte mich bereits bettfertig gemacht. Dexter war noch einmal dagewesen und hatte mir Schlafsachen und frische Unterwäsche gebracht. Letzteres war mir ziemlich unangenehm.

      Ich hatte ihn nach dem Brand in Abteil 5 gefragt, doch er hatte sich verschlossen zurückgezogen.

      Leise schlich Lou an mir vorbei, weil sie dachte, ich würde schon schlafen. Doch sie täuschte sich. Ich lag zwar mit geschlossenen Augen da, aber mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Ich ging den Nachmittag mit Luan noch einmal durch und schweifte bei der Tatsache ab, dass ich weder Mittag noch Abendbrot gegessen hatte. Mit dem Gedanken versank ich schließlich in einen leichten Schlaf.

      Das Geräusch einer Dusche weckte mich.

      Verschlafen richtete ich mich auf und sah mich im Zimmer um. Wie erstarrt hielt ich inne, als ich den stämmigen Mann erblickte, der vor der Badezimmertür stand. Er war etwas kleiner als Dexter, hatte aber genau wie er und Carter funkelnd rote Augen, die sich in meine Brust bohrten.

      „Ich bin Logan“, stellte er sich höflicherweise vor. „Der Begleiter von Louana.“

      „Ah“, machte ich und stand auf, nachdem ich mir ein Handtuch geschnappt hatte und es um meinen Körper presste. Logan folgte mir mit den Augen bis zur Badezimmertür, dann streckte er einen Arm aus.

      „Sie ist gerade duschen“, sagte er mit hochgezogenen Brauen.

      Ich konnte den Typen jetzt schon nicht leiden. Aber wenigstens sorgte er sich mehr oder weniger um Lou. Mit einem steifen Lächeln entfernte ich mich rückwärts Richtung Zimmertür. Diese wurde plötzlich geöffnet und ich stieß mit dem größtenteils nackten Rücken gegen Dexters Brust. Erschrocken fuhr ich herum und sah zu ihm auf.

      Er grinste. Oh mein Gott, Dexter hatte, seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte, nie auch nur den Ansatz eines Lächelns zustande gebracht.

      „Überrascht?“, zwinkerte er mir zu, als hätte er meine Gedanken gelesen.

      Mit ernsterer Miene wandte er sich an seinen Kollegen. „Wann ist Lou fertig? Nell muss sich heute schnell fertigmachen, Amber hat die Ergebnisse der Blutproben bereits und will vorankommen.“

      Logan nickte und klopfte an die verschlossene Badezimmertür. „Beeilst du dich bitte?“, rief er mit tiefer Stimme, die aber bei weitem nicht an die von Dexter rankam.

      Die Dusche wurde abgestellt und kurz darauf kam Lou heraus. Ich kannte keinen Menschen, der sich so schnell abtrocknen und umziehen konnte. Doch Lou sah wunderschön aus. Ihre langen, braunen Haare, die bei meiner Ankunft noch etwas fettig gewesen waren, fielen ihr locker über die Schultern. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihre Augen funkelten. „Morgen!“, grüßte sie und lächelte mich an. Es war seltsam, sie so fröhlich zu sehen, an einem Ort wie diesem.

      Ich umarmte sie kurz und flüsterte ihr ins Ohr: „Alles wird gut.“

      Sie nickte und löste sich von mir. Ich hatte nicht vergessen, was heute für sie anstand und ich hoffte inständig, dass es gut ausgehen würde.

      Lou schob sich an mir vorbei und verließ mit Logan das Zimmer.

      Ich schnappte mir die weißen Sachen vom Bett und trat in das aufgewärmte Badezimmer. Die Scheiben der Dusche waren beschlagen und ich stieg eilig hinein.

      Nachdem ich mich in Rekordzeit geduscht und fertiggemacht hatte, entdeckte ich ein kleines Täschchen auf dem schmalen Regal an der Wand. Verwirrt nahm ich es an mich und entdeckte einfaches Tages-Make-up, das ich eilig auftrug, weil ich nicht davon ausging, dass Lou es von zu Hause mitgebracht hatte und deshalb böse auf mich wäre, wenn ich es benutzte. Dann sah ich das Foto. Es steckte ganz unten und war zerknittert, trotzdem konnte ich die junge Frau darauf erkennen. Ich nahm das Papier ganz heraus und nahm es genauer in Augenschein. Die Frau darauf hatte kurzes braunes Haar sowie dunkelbraune Augen. Sie war hübsch. Auf der Rückseite stand: Schutzengel sind Schutzengel und Göttinnen sind Göttinnen, aber eine Mom ist Schutzengel und Göttin in einem.

      Tränen brannten mir in den Augenwinkeln, als ich an meine Mom dachte. Sie fehlte mir so sehr, dass man es niemals hätte in Worten beschreiben können. Ich konnte mir denken, wer die junge Frau auf dem Foto war.

      Es war Lous Mom und auch wenn ich versuchte, dagegen anzukämpfen, beneidete ich sie dafür, dass sie ein Bild von ihr hatte. Denn ich hatte nichts, was mich an meine Mom erinnerte, außer spröde Gedanken, aber die waren dunkel und neblig.

      Dexter signalisierte mir mit einem groben Klopfen, dass wir aufbrechen mussten, und ich versteckte das Foto wieder in der Tasche.

      Sobald ich hinter Dexter den Raum betrat, in dem ich gestern schon gewesen war, schweifte mein Blick zu Luan. Er lehnte mit der Hüfte an Amber Notkers Schreibtisch und musterte mich von oben bis unten. Dann schnellten seine Augen wieder gen Norden und blieben kurz an meinen Lippen hängen, bevor er mich eindringlich ansah. Mein Blick begann zu flackern und nur mit letzter Überwindungskraft konnte ich seinem Bann engleiten. Ich richtete meine volle Aufmerksamkeit auf die Rothaarige, die auf mich zukam.

      „Die Tests von gestern sind hervorragend. Genau genommen hast du etwas in deinem Blut, was mich sehr interessiert. Deshalb würde ich jetzt gerne noch einmal Blut abnehmen, allerdings an der Stelle, an der ich dir deinen Erkennungschip eingesetzt habe. Wenn sich diese Probe als positiv herausstellt, ist so gut wie sicher, dass du M-1 in dir trägst“, erklärte sie schnell und schien aufgeregt wie ein kleines Kind an Weihnachten, das kurz davor war, das größte Geschenk auszupacken.

      „Und was genau ist M-1?“, fragte ich unsicher und blickte von Amber Notker zu Luan und wieder zurück.

      Sie lächelte mich breit an. „M-1 ist schlicht und einfach die Abkürzung für Muster-1. Das ist eine Blutgruppe, die nur äußerst selten auftritt.“

      „Und