Varius. Adina Wohlfarth

Читать онлайн.
Название Varius
Автор произведения Adina Wohlfarth
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991072430



Скачать книгу

grell-gelben Streifen gebannt und konnte den Blick nicht abwenden.

      „Liam sollte jetzt hier sein. Er sollte deine Hand halten, dir die Augen öffnen damit du endlich verstehst, wie dumm ich bin.“

      Der Gedanke an meinen besten Freund versetzte mir einen tiefen Stich. Ich senkte den Kopf und war hin- und hergerissen, was ich dazu sagen sollte. Ich konnte Luans Handeln nachvollziehen, jeder hätte das Gleiche getan und eigentlich war ich diejenige, die sich entschuldigen musste, denn ich war durchgedreht ohne Rücksicht auf Luan. Ich musste endlich anfangen, mich nicht mehr wie ein kleines Mädchen zu verhalten.

      „Und was ist, wenn ich das nicht will?“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Hauch. Luan zog die Brauen zusammen und sah mich verwirrt an.

      Ich schluckte. „Wenn ich es okay finde, dass du jetzt hier bist und nicht er?“

      Sein Blick flackerte. Einen Moment lang sah er mir einfach nur tief in die Augen, aber dann schüttelte er den Kopf. „Ich bin ein Idiot“, knurrte er.

      „Ein Vollidiot“, verbesserte ich und versuchte ein Lächeln. „Aber ich bin nicht besser.“

      „Du solltest mich hassen, Nell. Das ist das einzig Richtige im Moment. Das wird dir einige unangenehme Situationen ersparen.“

      Mit aufkommender Verzweiflung sah ich ihn an. „Ich hasse dich aber nicht. Ich weiß, dass ich es sollte. Du bist gemein und doof und ich kenne dich überhaupt nicht. Ich sollte dich hassen und ich weiß, dass ich das gestern zu dir gesagt habe, aber es stimmt nicht. Ich kann nichts dagegen tun.“

      Vorsichtig richtete ich mich auf und suchte seinen Blick. Als er mir wieder und wieder auswich, streckte ich eine Hand aus und umfasste sein Kinn. Die schüchterne Berührung ließ ihn erschaudern und endlich sah er mich an.

      „Ich hasse dich nicht“, wiederholte ich und ließ die Hand sinken. „Ich weiß, was du getan hast. Ich weiß, dass du meine Familie und mich verraten hast und ich weiß, dass du mit Felicity … eine gewisse Verbindung hast. Und ja, ich weiß auch, dass du sie sicher liebst und sie dich auf jeden Fall liebt und dass ich das nicht schön finde, aber es ist dein Leben und ich habe darin nichts verloren.“

      Luan beugte sich vor und legte eine Hand an meine Wange, die sofort zu glühen begann. Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, als er sprach. „Ich liebe Felicity nicht.“

      Diese vier Worte genügten mir. Ich glaubte ihm, ich glaubte ihm voll und ganz, obwohl ich mein Leben gerade überhaupt nicht verstand. Alles passierte so schnell. Einem Ereignis folgte das nächste und wenn ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, musste ich mich schon wieder mit neuen beschäftigten. Ich fühlte mich vollkommen fehl am Platz, verstand so gut wie gar nichts. Ich vermisste meine Familie und meine Freunde, gleichzeitig hatte ich keine Ahnung, was ich von Luan halten sollte. Von meinen unkontrollierbaren Gefühlen für ihn.

      Er öffnete leicht den Mund und sein Atem kitzelte meine angespannten Lippen. „Weißt du, was ich jetzt gerne tun würde?“, fragte er, während sein Daumen in kreisförmigen Bewegungen über meine Wange strich.

      „Was denn?“, meine Stimme überschlug sich fast.

      Er legte den freien Arm um meine Taille, um mich noch ein Stück näher an sich heranzuziehen. „Ich würde dich sehr gerne … berühren.“

      Ich schluckte. „Das machst du doch schon.“

      „Stimmt.“

      Mein Herz begann zu rasen, als er den Kopf leicht schräg legte und dann stockte es, als er mich losließ. „Wir sollten die Zeit sinnvoller nutzen.“

      Verwirrt sah ich ihn an, dann wurde ich wieder rot und nickte.

      „Was du noch nicht weißt, ist, dass Felicity und ich bisher die einzigen Mutanten im Lager waren, die M-1 haben“, begann Luan und setzte sich auf den Stuhl, auf dem zuvor Dexter gesessen hatte. „Jetzt hat Amber Notker eine ziemlich sichere Spur, dass du es auch hast, und das ist wie zehn Geburtstage auf einmal.“

      Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen das Bettgestell und begann, an meinen Haarspitzen zu fummeln. „Das geht Felicity natürlich gewaltig gegen den Strich.“

      „So kann man es auch sagen.“

      „Und warum ist sie hier?“, wollte ich wissen.

      Er hob eine Braue. „Das weiß ich selbst nicht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie mich sehen wollte. Immerhin kennen wir uns seit knapp sechs Jahren und haben in der Zeit einiges durchgemacht. Sie ist zurzeit noch in Abteil 10, aber wird wahrscheinlich bald, genau wie ich, in den Außendienst gehen.“

      Mein Gehirn war immer noch komplett überfordert. „Und dein Bruder? Wo ist er?“, fragte ich und ließ meine Haare in Ruhe.

      Luan holte tief Luft. „Zurzeit in Abteil 9. Er hat kein M-1 und wird deshalb Tag für Tag von den Red Eyes erniedrigt. Er … er war der Grund, warum ich der Sache zugestimmt habe, dich hierher zu bringen. Hätte ich mich geweigert, für die Red Eyes zu arbeiten oder wäre ich nicht mit dir zurückgekommen, hätten sie ihm schlimme Sachen angetan“, sagte er verbissen und voller Abscheu.

      Ich riss die Augen auf. Verstand ich das gerade richtig?

      „Aber dann ist ja alles gar nicht deine Schuld. Du kannst nichts dafür, dass ich jetzt hier bin. Du wolltest nur deinen Bruder beschützen. Warum hast du das nicht gleich gesagt?“

      Er schnaubte. „Weil es nichts geändert hätte. Eigentlich sollte ich froh sein, dass du mich gehasst hast. Das machte alles einfacher.“

      „Ach ja?“, schnappte ich und sah ihn wütend an. Nur er war in der Lage, meine Gefühle von jetzt auf gleich explodieren zu lassen.

      Zaghaft klopfte jemand an die Tür und ich hob den Kopf. „Ja?“

      Die Tür wurde geöffnet und Lou kam herein. Logan blieb vor dem Zimmer stehen und verschwand aus meinem Sichtfeld, als die Tür zufiel, doch ich wusste, dass er immer noch direkt davorstand.

      Besorgt schob ich die Decke zurück und erschauderte, als meine nackten Füße den kalten Boden berührten. Dann stand ich entschlossen auf und eilte auf Lou zu. Sie sah vollkommen erschöpft aus. Ihre Haare waren wieder fettig und hingen strähnig vor ihrem blassen Gesicht. Über den braun-grünen Augen lag ein matter Schimmer, ihre Lippen waren trocken und aufgeplatzt.

      „Was ist passiert?“, fragte ich und führte sie zu ihrem Bett.

      Lou fasste sich an die Kehle, als würde es ihr Schmerzen bereiten, zu sprechen. „Wir können nicht zusammen in Abteil 2 untergebracht werden. Ich muss hier bleiben.“

      „Ich weiß“, murmelte ich und drückte ihre Hand. Mit gläsernem Blick sah sie zu mir auf. „Ich soll nur ein paar Sachen holen, aber dann muss ich wieder in die obere Etage.“

      Ich bat sie, sich auszuruhen, und verschwand im Bad, um die Tasche mit dem Foto ihrer Mom zu holen. Als ich kurz in den Spiegel sah, erblickte ich hinter mir Luan. „Ich gehe dann mal …“

      „In Raum 11“, beendete ich vielsagend seinen Satz. Er seufzte nur und verließ das Zimmer. Ich trat wieder zu Lou und reichte ihr die Tasche. „Ich habe das Foto gesehen“, sage ich leise. „Die Frau darauf ist deine Mom?“

      Sie nickte müde und kramte, bis sie das Papier gefunden hatte und sich an die Brust presste. „Sie hieß Amy.“

      „Hieß?“, wiederholte ich, während mir eisige Schauder über den Rücken jagten.

      „Mom ist an einer Lungenentzündung gestorben. Ist schon etwas länger her.“

      „Lou, das … das tut mir so leid.“

      Sie verzog den Mund. „Das ist lieb, ändert aber nichts.“

      Ich nickte stumm und umarmte sie lange und fest.

      Als sie von Logan wieder in die obere Etage begleitet wurde, kam Dexter zurück. Wir gingen zusammen essen, unterhielten uns aber kaum. Danach musste ich wieder in den Behandlungsraum