Varius. Adina Wohlfarth

Читать онлайн.
Название Varius
Автор произведения Adina Wohlfarth
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991072430



Скачать книгу

Wut angetrieben, hetzte ich durch den Wald.

      Bald hatte ich die Stelle gefunden, wo Luan in meiner Einbildung gestanden hatte. Ich war eine gute Fährtenleserin, deshalb fand ich seine Fußspuren schnell und folgte ihnen zielstrebig.

      Schließlich fand ich mich auf der Lichtung wieder, verharrte aber im Schutz der dichten Bäume. Ich hatte mich nicht getäuscht. Luan war da, aber er war nicht allein. Flankiert von zwei stämmigen Männern hockte er auf der gegenüberliegenden Seite. Ich kniff die Augen zusammen, doch über diese Entfernung konnte ich weder etwas Genaues sehen, ganz zu schweigen davon, etwas zu hören. Ich musste näher heran und genau in diesem Moment ärgerte ich mich noch mehr darüber, dass er mir nicht gezeigt hatte, wie lautlos er sich bewegte. Vorsichtig umrundete ich die Lichtung und als ich auf einige Meter herangekommen war, hielt ich inne. Die fremden Männer hatten beide blaue Augen, ein Doppelkinn und einen behäbig wirkenden Körper. Ich hätte sie mit Leichtigkeit ausschalten können und das würde ich auch tun. Siegessicher tastete ich nach hinten, um Bogen und Pfeile hervorzuholen, doch ich griff ins Leere.

      Meine Waffen lagen noch im Schloss in meinem Schrank. Ich fluchte laut. Beide Männer hoben den Kopf und starrten in meine Richtung. Dann erhob sich der rechte und stapfte mit schweren Schritten auf den Busch zu, hinter dem ich Deckung gesucht hatte.

      Bevor ich fliehen konnte, hatte er die Blätter mit seinen dicken Armen zur Seite geschoben und starrte mich feindselig an. Vollkommen unerwartet packte er meine Handgelenke, hob mich hoch und zerrte mich gewaltsam aus meinem Versteck. Ich versuchte mich zu befreien – vergebens. Der Dickarm riss meine Arme hoch und presste sie mir auf dem Rücken zusammen. Ich unterdrückte einen schmerzverzerrten Schrei.

      „Wer bist du?“, schnauzte der zweite und baute sich vor mir auf. Ich warf Luan einen kurzen Blick zu. Er hatte sich ebenfalls aufgerichtet und musterte mich leicht verbissen, leicht belustigt.

      Moment mal … fand er das etwa lustig?

      Ein sengender Schmerz strahlte von meiner Wange ab, als der Schnauzer mich schlug. Ich wimmerte leise.

      „Hast du mich nicht verstanden?“, grollte er und schnaubte.

      „Das reicht jetzt“, knurrte Luan finster und im nächsten Augenblick sackte der Schnauzer mit einem dumpfen Stöhnen zu Boden. Dickarm musste mich loslassen, als Luan auch auf ihn losging und ihn einfach ohne mit der Wimper zu zucken zusammenschlug.

      Dann richtete er sich wieder auf und sah mich aus funkelnden Augen an.

      „Hast du wirklich geglaubt, du könntest um die ganze Lichtung schleichen und uns belauschen, ohne dass ich es gemerkt hätte?“

      Ich spürte die Hitze, die meine immer noch schmerzenden Wangen zum Glühen brachte und senkte die Lider, sodass mir die Haare vors Gesicht vielen.

      „Wahrscheinlich.“

      Luan näherte sich mir vorsichtig. „Und dann hast du auch noch Bert und Pert vergessen.“ Er schüttelte den Kopf und grinste. „Nicht besonders vorteilhaft.“

      Ich sah ihn ungläubig an. „Und wer bitteschön sind Bert und Pert?“

      Sein Grinsen wurde breiter. „Bert, der Bogen, und Pert, die Pfeile.“

      Ich hob eine Braue und konnte ihn einen Moment lang nur anstarren.

      „Wenn dann Perts“, verbesserte ich und musterte ihn unsicher.

      „Gut, einigen wir uns auf Bert und Perts – neue, beste Freunde“, sagte er in Plauderstimme und ich hätte ihm sein überhebliches Grinsen am liebsten aus dem Gesicht geprügelt. Mit letzter Beherrschung wandte ich mich den am Boden liegenden Männern zu. Schnauzer hatte eine üble Kopfwunde, aus der dunkelrotes Blut quoll, und Dickarm hatte seinen Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet. Beide lagen vollkommen leblos und starr vor mir.

      „Sind sie …“

      „Tot? Ja, das sind sie“, beendete Luan meinen Satz und schien sich nicht im Geringsten darum zu kümmern. „Ich habe kurzen Prozess mit ihnen gemacht.“

      Mit zitternder Unterlippe sah ich zu ihm auf. Er hatte zwei Menschen gewaltsam umgebracht, und ihm war es egal?

      Er zuckte mit den Schultern, als ob er meine Gedanken gelesen hätte, und klopfte sich Staub von der Jeans. „Wenn du wüsstest, wieviel mehr oder weniger unschuldiges Blut an meinen Händen klebt, dann würdest du mich verabscheuen.“

      „Das tue ich jetzt schon“, presste ich hervor und wich zurück.

      Luan hielt inne und sah mich an. „Jetzt weißt du es ja auch.“

      Ich schluckte schwer und stolperte noch einen weiteren Schritt rückwärts.

      Er richtete sich vollständig auf und legte den Kopf schräg. „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich bin hier nicht der Böse.“

      Ich lachte auf. „Nicht? Es ist ja auch nicht so, dass du gerade zwei Menschen aus deinem eigenen Volk getötet hast.“

      Luan schnaubte. „Wie kann man so klug aussehen und gleichzeitig so dumm sein?“ Er machte eine abfällige Kinnbewegung in Richtung der Leichen zu unseren Füßen. „Sie tragen Kontaktlinsen. In Wirklichkeit sind ihre Augen rot.“

      Perplex starrte ich ihn an. Luan erwiderte meinen Blick kühl. „Wir können nicht hierbleiben. Ich bringe die beiden weg und du tanzt in dein kleines Schlösschen. Wenn sich der Trubel bei euch gelegt hat, kommst wieder genau hierher und ich lasse mich auf eine Fragestunde ein, okay?“, schlug er vor. Ich starrte ihn immer noch an.

      Luan hob beide Brauen. „Erde an Nellanyh?“

      Sofort hatte ich mich wieder gefangen. „Nenn mich nicht so.“

      Schnippisch fügte ich hinzu: „Und woher weiß ich, dass ich dir vertrauen kann und du mich nicht kidnappen willst wie diese beiden?“

      Ein Lächeln huschte über seine Lippen. „Weißt du nicht. Aber wenn du nicht kommst, wäre das echt ärgerlich, weil ich mir dann den gesamten Abend inklusive Nacht den Hintern abfrieren würde, während du im warmen Bettchen süße Träume träumst.“

      Aha, jetzt wusste ich auch, dass er mich kidnappen würde, wenn ich nicht kam. Also sagte ich zu, ohne wirklich zu wissen, worauf ich mich da einließ.

      Wie beruhigend.

      Als ich den Vorplatz des Schlosses erreicht hatte, kamen mir Liam und Liz entgegen. Beide hatten rote Flecken auf den Wangen und große Augen.

      „Wo warst du?“, rief Liz und stürmte auf mich zu.

      Überrascht stolperte ich ein paar Schritte rückwärts. „Im Wald, mir geht es gut.“

      Sie löste sich von mir und musterte mich skeptisch. „Sag das nächste Mal bitte Bescheid, okay?“

      Liam stellte sich neben sie. „Wir haben uns echt Sorgen gemacht.“

      Ich seufzte und hob beide Hände. „Ja, ich melde mich das nächste Mal schriftlich ab.“

      Seine Augen verdüsterten sich. „Die Lage ist ernst, Nell.“

      Ich fuhr zu ihm herum. „Das weiß ich, Liam. Es sind übrigens immer noch meine Eltern, die verschwunden sind. Aber trotzdem brauche ich keinen Babysitter, und schon gar nicht zwei.“ Einen Moment lang schien er eine bissige Antwort geben zu wollen, dann schnaubte er nur und wandte sich ab.

      Liz kaute misstrauisch auf ihrer Unterlippe herum. „Zwischen euch, da ist doch was“, fing sie an.

      Ich senkte den Blick. „Alles wie immer.“

      „Nell, ich kenne dich besser als du dich selbst. Was ist passiert, als ihr beide allein in deinem Zimmer wart?“ Sie sah mich eindringlich an.

      Ich fluchte innerlich und hätte am liebsten einen Baum ausgerissen, so viel überschüssige Energie hatte ich. „Das ist doch egal, Liz. Hör bitte auf, danach zu fragen. Und bitte … bitte fühl dich nicht immer so verantwortlich für mich. Ich komme auch allein klar.“

      Liz