Drei Romane. Pola

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Название Drei Romane
Автор произведения Pola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946289128



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Reiner, Toni, Linda und Jakob saßen schon am Tisch. Giselas Stuhl war leer. Reiner sagte: „Ich habe einen Patienten. Gisela ist krank mit Schüttelfrost.“ Toni grinste in sich hinein. Ich stellte mir vor, wie sie dachte: Endlich, die alte blöde Qualle ist krank. Aber war sie wirklich krank, oder nützte sie die Zeit, um sich weitere Gemeinheiten auszudenken?

      Linda und Jakob waren auf der Silvesterparty gewesen, aber da die beiden so jung waren, schien es ihnen nichts auszumachen, dass sie so früh morgens wieder aufgestanden waren.

      Nach dem Frühstück mussten wir zwischen ungefähr fünf anlegenden Schiffen durchfahren. Die Schiffe lagen nahe beieinander. Es war erheiternd zu sehen, welche Ausstattungen die jeweiligen Schiffe hatten. Linda und ich machten unsere Witze über ihre Einrichtung. So sagte ich zu ihr: „Das sieht ja aus wie ein Ikea-Schiff.“

      Auf dem Quai standen viele Pferdekutschen. Die Pferdekörper dampften in der morgendlichen Kälte von der Anstrengung der letzten Fahrt. Ein abgemagertes Pferd, dahinter ein Platz für den Kutscher und für zwei Leute. Die Pferde waren geschmückt und trugen Scheuklappen. Es roch nach Pferdeäpfeln. Gisela war ja krank und Toni konnte mit Reiner fahren, sonst hätte sie mit dem Reiseführer vorliebnehmen müssen. Paul und ich fanden unseren Platz in einer Kutsche mit einem sehr langsamen Pferd. Der Fahrer trug eine neongelbe Jacke, einen braunen Schal und einen weißen Turban. Während der Fahrt drosch er immer wieder auf das Pferd ein. Das Fell war schäbig und man konnte schon blanke Stellen sehen. Bei einem der Peitschenhiebe schlug das Pferd aus.

      Paul sagte: „Der Fahrer schlägt nicht wirklich. Er haut daneben. Das ist nur Folklore für uns Touristen. Er braucht das Pferd, damit verdient er sein Geld.“

      Immer wieder wurden wir überholt von anderen Kutschen. Wir durchquerten Schlaglöcher, in denen unsere Kutsche strauchelte. Die Fahrt ging durch die ganze Stadt. Einmal kam ein Rettungswagen. Das interessierte den Kutscher nicht. Er reihte sich vor dem Wagen ein. An einer steileren Stelle kam das arme Pferd fast den Berg nicht hinauf und auf den letzten Metern zum Tempel hatten wir die Stadt hinter uns gelassen und die Kutschen fuhren Rennen. Unser Fahrzeug verlor immer. Wir kamen aber an. Ein riesiges Lager von Pferden und Kutschen wartete. Es roch wie in einem Pferdestall. Abdullah, unserer Fahrer, ließ uns aussteigen und sagte, er würde an der Stelle auf uns warten.

      Wieder ging es durch einen Basar, bis wir den Tempel auf einer leichten Anhöhe erblickten. Der Pylon war noch sehr gut erhalten. Riesige Abbildungen von ägyptischen Göttern waren in die Fassade eingekratzt. Er war im Zeitraum von 237 bis 57 vor Christus errichtet worden. Wir gingen hinein. Toni und Reiner standen flüsternd und kichernd vor der Statue des Gottes Horus, dem Hor-Behdeti. Der Gott hatte die Form eines Falken. Ich hörte, wie Toni sagte: „Aber sie hat doch nichts bemerkt?“ Ihre Stimme ging danach in dem Geräuschpegel der anderen Touristen unter. Gut, Toni war beschäftigt, man musste sich anscheinend keine Sorgen um sie machen. Jetzt musste ich mich wohl eher um mich selber sorgen, denn meine Gedanken kreisten wie ein Leuchtturm um Toni. Wie gerne würde ich sie jetzt küssen, aber das Gespräch zwischen Reiner und Toni schien so vertraut, als ob die zwei sich schon ihr Leben lang kennen würden. Ob sie tatsächlich mal in einer Beziehung zu Reiner gestanden hatte? Aber warum war Reiner jetzt mit Gisela zusammen?

      Der Reiseführer erzählte, als wir vor einer prächtigen Säule standen: „Es gibt erhabene und eingravierte Reliefs. Die Bildhauer haben sich vor der Ausführung Skizzen gemacht, damit sie die Proportionen hinbekamen. Die Skizzen machten sie auf Papyrus. Und wer hat das Papier erfunden? Die alten Ägypter.“ Schließlich hob er die Hand und es ging weiter. Ich durchschritt an der Seite von Paul den Tempel, spürte aber immer wieder, dass Toni, die lachend neben Reiner herlief, auch Paul im Auge hatte.

      Kurze Zeit später waren wir wieder am Hafen. Paul gab dem Kutscher Abdullah zwei Euro, wie der Reiseführer es empfohlen hatte, aber Abdullah war damit nicht zufrieden. Er wollte noch einen Euro für sein Pferd. Paul gab ihm aber nicht mehr und sagte zu mir: „Das landet alles bei irgendeiner ägyptischen Mafia und nicht bei dem armen Pferd.“

      Die meisten Worte kommen erst in der Nacht. Ich lege mich immer mit aufgeschlagenem Notizbuch ins Bett und mit Stift daneben. Wenn ich kurz vor dem Einschlafen aufschrecke, weiß ich, dass ich einen guten Satz schreibe. Erwache ich morgens, ist er weg, aber ich habe ihn ja abends davor in mein Notizbuch eingemeißelt. Da steht er immer noch. Schwarz auf dem Elfenbeinweiß.

      Beim Mittagessen war Gisela wieder dabei und sie sah tatsächlich kränklich aus. Toni versuchte, Reiner nicht zu beachten. Gisela schien beruhigt und holte nicht zu einem Schlag aus. Das Schiff hatte mittlerweile wieder abgelegt und fuhr weiter nach Komo Ombo. Ich legte mich nach dem Essen hin und bekam tatsächlich eine Stunde Schlaf. Die gemächliche Fahrt auf dem Nil schien mich zu beruhigen. Als ich erwachte, schlief Paul immer noch. Ich ging an Deck, um Toni zu suchen.

       Weiterfahrt nach Komo Ombo

      Linda und Jakob hatten sich in das hinterste Eck des Decks verzogen. Sie wollten wahrscheinlich nicht gestört werden.

      Toni lag weiter vorne in der Nähe der Tische auf einer der Liegen, mit einem Tee-Cocktail auf dem Beistelltisch. Ich setzte mich neben sie und bestellte einen der schrecklich schmeckenden Cappuccinos. Wir zündeten uns eine Zigarette an.

      Toni fragte: „Wie lange seid ihr eigentlich schon zusammen, Paul und du?“

      „Seit zwanzig Jahren.“

      „Wie Richard und ich.“

      „Habt ihr zusammengewohnt?“

      „Na klar, wir waren doch verheiratet.“

      „Wir wohnen nicht zusammen.“

      „Aber ihr seid verheiratet, oder?“

      „Nein, wir genießen unsere Freiheiten. Das funktioniert super, man freut sich immer wieder, den anderen zu sehen.“

      „Das verstehe ich nicht. Ich hätte nicht alleine wohnen wollen in der Zeit mit Richard. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass Paul gar nicht mit mir redet?“

      „Paul redet nicht mit Leuten, die er nicht kennt.“

      „Richard hat das auch nicht gemacht.“

      „Mal was anderes, wie wär‘s, wenn wir Adressen tauschen? Oft verliert man sich ja nach so einem Urlaub aus den Augen.“

      „Super Idee, Annika!“

      Wir wühlten beide in unseren Taschen nach den Visitenkarten. Als Toni meine Visitenkarte in den Händen hielt, war es fast so, als ob sie sie für einen Schatz hielte, denn sie starrte mindestens eine Minute lang darauf. Danach steckte sie sie an die vorderste Stelle in ihren Geldbeutel. Vielleicht wollte Toni doch etwas von mir. Ich jedenfalls würde mir nichts anmerken lassen. Ich wollte mir eine Enttäuschung ersparen.

      Die Sache mit der Perücke rumorte noch in mir und ich fragte sie:

      „Warum trägst du eigentlich diese Perücke?“

      „Woher weißt du das?“

      „Gestern Nacht hast du dich mit Reiner unterhalten, da hast du die Perücke in der Hand gehalten.“

      „Mist!“, entfuhr es ihr. Aber da hatte sie sich schon wieder gefangen. „Mir macht es Spaß, mich zu verwandeln. Ich trage immer verschiedene Perücken. Außerdem sind meine Haare nicht so toll.“

      „Aha“, sagte ich nur gedehnt.

      Das Schreiben ist eine gefährliche Waffe, man kann damit Menschen bis auf ihre Knochen sezieren. Ich sollte vorsichtig damit umgehen, was ich für meinen Teil meistens nicht tue, denn ich liebe Skelette, die wie in einer Totenstadt auf ihr endgültiges Ende warten, das sie nie haben werden, denn nach der Bibel leben sie ja anscheinend unendlich.

       16 Uhr 30 Besichtigung des Doppeltempels Komo Ombo

      Nachdem das Schiff in Komo Ombo angelegt hatte, war es Zeit für die nächste Besichtigung. Die Sonne verschenkte