Drei Romane. Pola

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Название Drei Romane
Автор произведения Pola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946289128



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auf eine kleine Insel. Toni half mir vom Boot an Land, indem sie mir die Hand reichte. Als ich sprang, fing sie mich in ihren Armen auf. Unsere Brüste berührten sich. Ich dachte, das ist doch eine schöne Geste. In jenem Moment war ich irgendwie glücklich und dieses Gefühl trug mich an diesem abgeschiedenen Ort noch für ungefähr eine Stunde weiter. Dass sie von Paul etwas wollte, verscheuchte ich wie ein Gespenst aus meinen Gedanken.

      Auf der Insel befand sich ein kleiner Tempel mit dem Namen Neu-Kalabscha und vier weitere kleine Ausgrabungen, die vor den Überflutungen des Nassersees gerettet worden waren, indem man sie hierher versetzt hatte. Ein weißer Hund folgte uns in der morgendlichen Stille. Unsere Körper warfen riesige Schatten auf den Sand, als wir auf der Insel herumliefen. Weit und breit gab es hier keine Touristen. Als wir zurück zum Bootssteg gingen, bemerkte ich, wie sich Tonis Blicke in Pauls Rücken bohrten. Meine schönen Gedanken fielen zusammen wie ein Hochhaus, das gesprengt wurde. Die Fahrt ging weiter zum Philae-Tempel. Wieder setzten wir mit dem Boot über, aber hier war die Bootsanlegestelle von vielen Touristen heimgesucht. Der Philae-Tempel war genauso wie Neu-Kalabscha vor den Fluten des Nassersees gerettet und auf der Insel Agilkia neu errichtet worden.

      Nach Besichtigung des Tempels hatten wir noch etwas Zeit und Paul und ich kletterten in den Trümmern umher. Toni war weg. Wahrscheinlich war sie mit Linda und Jakob in das kleine Café gegangen. Das strenge Programm des Reiseführers schien einige in der Gruppe zu nerven.

      Irgendwann verlor ich Paul aus den Augen. Ich wurde von einem Militärpolizisten angesprochen. Er deutete auf mein Handy und meinte, er würde Fotos von mir machen. Mir war etwas mulmig, da Paul nicht in der Nähe war, aber ich dachte, was soll passieren? Dies ist eine öffentliche Anlage. Also schoss der Polizist Fotos von mir in dem Tempel mit Blick auf den See. Wie hätte es anders sein können, danach verlangte er Geld von mir. Ich gab ihm einen Euro und verabschiedete mich. Schnell fand ich auch wieder zu Paul zurück. Ich fragte ihn, ob das okay gewesen sei, dem Polizisten Geld zu geben. Paul meinte, das seien auch nur arme Schweine.

      Am Nachmittag war ein weiterer Ausflug angesagt. Wir fuhren auf einem Flussarm des Nils in ein Nubierdorf. Das Boot, in dem wir fuhren, war wieder bunt angemalt und die Fahrt war überhaupt nicht langweilig, obwohl ich das befürchtet hatte. Immer wieder kamen kleine Jungen auf ihren Surfbrettern angepaddelt, hängten sich an die Boote und sangen ein Lied. Dafür wollten sie natürlich Geld. Wir fuhren an einem Mausoleum und grasenden Büffeln vorbei, bis auf der rechten Seite ein Naturschutzgebiet auftauchte. Viele Reiher reckten ihre Schnäbel zuerst ins Wasser dann in die Luft. Bald konnten wir sehen, dass Touristen zum Dromedar-Reiten verführt wurden. Während am Bergkamm eine ganze Karawane mit Dromedaren zu sehen war, sprangen zwei Leute vom Boot in den Nil. Der Reiseführer sagte, da sei so eine Art Badestrand. Und weiter ging es. Bald konnte man im Wüstensand auf einem Berg Skispuren sehen. Auch das Skifahren hätten die Ägypter erfunden, meinte der Reiseführer. Die Erfindungen der Ägypter kamen uns schon zu den Ohren heraus. Toni versuchte immer wieder während der Fahrt, Blickkontakt zu Paul aufzunehmen, aber der schien sich nur für das Nil-Panorama zu interessieren. Linda und Jakob waren zum Sonnen auf das Dach des Boots geklettert. Von oben hörte man ein furchtbares Knarren. Als sie kurz vor der Ankunft im Dorf wieder herunterkamen, behaupteten sie, einer der Stühle sei kaputt gewesen, deshalb der Lärm.

      Wir kletterten über mehrere Schiffe hinweg an Land und gingen in das Nubierdorf hinein. Viele Häuserwände waren indigoblau gestrichen, als ob die Farbe die Armut übertünchen sollte. Bunt geschmückte Dromedare saßen auf den Sandwegen des Dorfes. Sogar die Motorräder, die hinten einen Lastenaufsatz für den Transport von Waren hatten, waren bunt gestrichen. Wieder ging es durch einen Basar, wo einem die Nubier billige Ketten aufdrängen wollten. Ich kaufte nichts. Wir kamen in einen Innenhof. Toni und ich suchten die Toiletten auf. Diese waren sauber und wir wunderten uns, bis uns der Reiseführer erklärte, wir seien in einem nubischen Kindergarten und Grundschule. Im Klassenzimmer schrieb der Lehrer unsere Namen in Ägyptisch an die Tafel und versuchte, uns das Alphabet beizubringen. Wir verstanden so gut wie gar nichts und konnten auch nichts davon in unseren Köpfen behalten.

      Danach begegneten Toni und ich uns alleine in einer Gasse mit blau gestrichenen Häusern. Die Sonne leuchtete gerade noch zu uns herab und ein magisches Licht erfasste die Szene. Ich stand da und fotografierte das Licht. Da kam Toni an. Sie umfasste zuerst mit ihren Armen meine Schultern, dann zog sie mich an sich. Leidenschaftlich küsste sie mich kurz und zärtlich auf meine Lippen. Und genauso schnell war sie auch schon wieder weg. Im Gehen rief sie mir hinterher:

      „Annika, ich liebe dich. Gib bitte keinen Deut auf das, was die anderen sagen! Oder was du meinst zu sehen.“

      Weiter ging es auf den Sandwegen zu einem Nubierhaus, wo wir eine Erfrischung erhalten sollten. Ich war jetzt völlig verwirrt und konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Das Haus hatte eine Art Innenhof, dessen Boden mit Sand bedeckt war. Der Reiseleiter erklärte, dass abends der Sand glatt gerecht wurde, um morgens die Spuren giftiger Tiere wie Schlangen und Skorpione aufspüren zu können, die nachts hier manchmal eindringen würden. In dem Haus wurden zwei Krokodile in jeweils einem engen Käfig gehalten. Der Reiseführer klopfte mit einem Stab neben dem größeren Krokodil auf den Boden. Wegen des Geräuschs riss das Krokodil gefährlich weit das Maul auf. Anscheinend brauchten die Tiere während der sechs Wintermonate kein Fressen. Im Sommer würden sie jeden Tag Fisch bekommen, aber in harten Zeiten könnten Krokodile ein Jahr lang ohne Futter auskommen. Nach dem Malventee, den man uns anbot, verabschiedeten wir uns von der Hausherrin, und als wir draußen waren, sagte Linda zu mir:

      „Dieser Ausflug ist unmöglich, ständig werden wir von dem Reiseführer gegängelt, hierhin und dorthin zu gehen. Das Dorf hätten wir auch auf eigene Faust erforschen können. Und diese armen Krokodile in den engen Käfigen! Das sind doch auch Lebewesen!“

      Ich fragte Linda nur: „Wo ist Toni? Sie war bei den Krokodilen nicht dabei.“

      Toni stieß etwas später, kurz nach dem Ablegen des Bootes, wieder zu uns. Im Halbdunkel auf der Rückfahrt konnte ich nicht ausmachen, was sie fühlte oder was ihr durch den Kopf ging. Ständig suchten meine Augen ihre Augen, aber sie ließ sich auf keinen Blickkontakt ein. Welches Geheimnis trug sie mit sich herum? Ich hatte keine Antwort. Nach dem Essen saß ich mit Paul auf dem Deck. Ich hatte ein Glas Wein bestellt, er einen Cappuccino. Wir redeten über Ägypten und seine Einwohner. Wie man ihnen aus der Armut helfen könnte. Da erschien Toni und steuerte schnurstracks auf den freien Stuhl an unserem Tisch zu.

      Ich wusste die Aktion Tonis von heute Mittag nicht zu deuten, und warum starrte sie Paul ständig wie eine Gottesanbeterin an? Trotzdem spürte ich ein unzerreißbares Band zwischen Toni und mir und deshalb musste ich sie jetzt wegschicken, damit Paul keinen Verdacht schöpfen würde.

      Außerdem war ich mir in dem Moment sicher, dass Paul nicht noch einmal auf eine Frau hereinfallen würde, um mich zu betrügen. Schließlich war er jetzt zu alt dafür. Bei uns im Bett war seit Jahren nichts mehr gelaufen, also würde es bei einer anderen auch nicht mehr funktionieren.

      Ich sagte zu ihr:

      „Paul und ich wollen reden. Jetzt geht es gerade nicht.“ Sie ließ den Kopf hängen, überlegte kurz, drehte sich um und sah Linda und Jakob in einiger Entfernung sitzen. Also ging sie auf deren Tisch zu, setzte sich zu ihnen und begann, den beiden etwas vorzuheulen. Ich hörte, wie sie zu Linda sagte, sie habe Selbstmordgedanken, aber Linda schien sie beruhigen zu können, also wandte ich mich wieder an Paul:

      „Sie kann schon ganz schön aufdringlich sein, aber sie tut mir irgendwie leid.“ Dabei dachte ich mir insgeheim: Toni ist sehr zerbrechlich, wie bei einem kleinen Vogel könnte man ihr die Beine im Handumdrehen brechen.

      „Sie ist alleine, aber sie sollte uns und die anderen auch mal in Ruhe lassen.“

      „Zurück zu den Ägyptern. Paul, du hast doch so viel gelesen. Du liest jeden Tag die FAZ, da müsstest du doch eine Lösung für das Land haben. Du weißt alles über Politik, Wirtschaft und Geschichte.“

      Ich formte mit meinen Händen eine Schale und streckte sie ihm hin mit den Worten:

      „Hier, die Kristallkugel. Du alleine hast die Welt mit ihren komplexen Zusammenhängen in der Hand. Du hast