Drei Romane. Pola

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Название Drei Romane
Автор произведения Pola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946289128



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durchgingen, versohlte sie mich mit dem Latsch. Wenn sie mit dem Ding ankam, flüchtete ich mit Herzklopfen unters Bett, so weit, dass sie mich nicht erreichen konnte. Durch all diese Gemeinheiten mir gegenüber hatte ich nie eine richtige Mutter gehabt. Später hatte ich mir immer gewünscht, so eine Art Freundin-Mutter zu finden. Es passierte aber nichts. Ich war immer noch auf der Suche nach einer neuen Mutter.

      Paul kam mit seinem zweiten Gang an. Spiegelei, Brot und Wurst. Ich hatte fertig gegessen. Eine halbe Toastbrotscheibe lag noch auf meinem Teller. Alle waren schon nach oben zu den Kabinen gegangen. Eigentlich hätte ich jetzt aufstehen können, aber ich blieb sitzen wegen Paul. Ich sah auf die Uhr. Die Zeit wurde knapp. Um sechs Uhr war Abfahrt.

      Ich schaue vom Bildschirm auf. Meine Augen tropfen Benzin. Paul sagt, ich solle mir mehr Licht machen. Dabei küsst er mich sacht aufs Haar. Draußen ist es Nacht und der Mond hat sich als Sichel in den Himmel gemeißelt. Warum heißt es Sichel? Sollte man den Mond mit einer Sichel umsicheln? Umbringen? Wenn jemals jemand den weißen Mond umsicheln kann, dann wird das nur ein Schriftsteller können, der mit seinem schwarzen Buchstabenmeißel die Leere der Seiten graviert. Die Waschmaschine piept misophonisch an mein Ohr.

      Im Morgengrauen war die Gruppe abfahrbereit. Über einen winzigen, wackeligen Steg, der Reiseführer vorneweg, gelangten wir ans Ufer und wurden wieder von ägyptischen Händlern überfallen. Schnell zwängten wir uns in den kleinen Bus. Paul und ich saßen direkt hinter dem Fahrer, dahinter Linda und Jakob und noch weiter hinten Gisela, Reiner und Toni. Wir fuhren an einem Kanal entlang. Der Reiseführer erzählte von der Wurmkrankheit der Ägypter, der Bilharziose. Nur in den Kanälen würden sich die Ägypter diese Krankheit zuziehen. Am Nil nicht, da er fließt. Die Würmer im Wasser würden sich in die Haut bohren. Man bekäme einen Hautausschlag und letztendlich könnte Blasenkrebs daraus entstehen. Mittlerweile gebe es Tabletten gegen die Krankheit.

      Jakob hinter uns meldete sich, dass ihm schlecht sei. Ich glaube, wir waren alle mies drauf an diesem Morgen wegen des frühen Aufstehens.

      Der Bus fuhr in die Morgenröte. Und dann kamen wir an der ersten Stätte an. Die Memnonkolosse. Zwei riesige Statuen, ungefähr vierzehn Meter hoch aus dem Jahr 1379 vor Christus, rammten sich in den Morgenhimmel. Als wir ausstiegen, war es eiskalt. Wir konnten unseren Atem als Rauchwolken sehen. Ich fror in meiner silberfarbenen Sommerjacke. Um uns waren keine Touristen. Wir waren die Ersten. Die Ägypter waren zurückhaltend. Es gab nur ein paar Stände. Und die Kolosse, König Amenophis III. und seine Gattin Teje, sahen großartig in der Morgenröte aus. Sie glänzten terrakottafarben im Licht, dahinter die ganzen Ballonfahrer, die in den Himmel aufstiegen, um das Tal der Könige von oben zu sehen.

      Linda fotografierte Jakob. Jakob fotografierte Linda. Ich packte Paul und sagte, er solle mich vor König Amenophis III. fotografieren. Ich, die winzige Autorin, der Gott Toth, der mit dem Ibis- oder Paviankopf mit dem Griffel in der Hand. Ich in meiner silberfarbenen Sommerjacke im ägyptischen Winter. Paul hatte alles, war erfolgreich, hatte Geld, und ich hatte nur diese Worte, die wie Lebertrankleister aus mir herauskrochen, um sich wieder in meinem Gehirnlabyrinth festzusetzen. Toni lief zwischen den Statuen wie ein kleines verlorenes Hündchen hin und her, aber sie tat etwas, sie fotografierte. Man musste sich um sie keine Sorgen machen. Trotzdem ging ich auf sie zu und fragte, ob ich sie vor den Kolossen fotografieren solle. Sie bejahte. Gott sei Dank hatte sie nicht so eine schrille geifernde Stimme wie meine Mutter. Ihre Stimme war angenehm tief, eine Altstimme. Ich zückte den Fotoapparat. Sie sah so winzig aus vor diesen zwei riesigen Statuen! Ich hatte ein Ziehen im Magen. Wieder das Mitleid? Als ich ihr den Fotoapparat zurückgab, berührten sich unsere Hände und ich dachte, es elektrisiert. Aber vielleicht war es nur meine Einbildung. Wünschte ich mir überhaupt, dass sich Toni in mich verliebte?

      Als wir wieder in den Bus einstiegen, sagte Paul: „Hinter den Memnonkolossen, da war eine riesige Tempelanlage. Das wurde alles geräubert. Die Steine wurden als Steinbruch für neue Tempelanlagen benützt.“ Wir fuhren weiter zum Tal der Könige, während wir uns alle die Hände rieben, so kalt war es.

      In meinem Garten huschen kleine Feldmäuschen. Sie haben sich in das Igelhotel eingenistet. Die Igel kommen nicht mehr. Damals vor zwei Jahren, als ich ihnen das Igelhotel gekauft hatte, hatten sie es verschmäht. Auf der Verpackung des Hotels stand, es könne auch sein, dass sich andere Tiere dort einnisten. Jetzt sind es die Mäuschen. Mäuse haben für mich eine besondere Bedeutung. Als Kind hatte ich eine weiße Stofftier-Maus von Steiff. Sie war ganz abgerubbelt, so sehr habe ich sie geliebt. Ich verlor sie bei einem Spaziergang. Dieses Drama! Meine Eltern kauften mir genau die gleiche Maus noch einmal, aber das war nicht meine abgerubbelte Maus. Die war künstlich neu. Ich ließ sie in der Ecke vergammeln. Ein paar Jahre später fing ich auf der Terrasse meiner Eltern eine echte weiße Maus. Sie hatte rote Augen. Meine Mutter holte das kleine Terrarium, in dem wir früher Kaulquappen zu Fröschen gezüchtet hatten, aus dem Keller. Dort bekam die kleine weiße Maus abends ihren Platz. Am nächsten Morgen war sie weg. Manchmal nenne ich Paul Maus, obwohl er über einen Meter neunzig groß ist.

       Tal der Könige

      Als Erstes mussten wir dort durch den Basar. Wieder einmal wurden wir von den Händlern bedrängt. Ich fragte mich, wer diesen Schrott kaufen sollte? Damit konnte man in Europa nichts anfangen. Ägyptische Kleider. Kleine Götterstatuen, die billige Repliken waren. Tücher mit grässlichen Mustern. Paul und ich gingen so schnell es ging hindurch und gelangten zur Eingangshalle, wo ich bei einem Pseudoscanner meinen Rucksack röntgen lassen musste. Schließlich standen wir vor dem riesigen Modell unter einer Glashaube. Es war ein Abbild des Tals der Könige. Man konnte die vielen unterirdischen Gänge sehen, die die Gräber der großen Pharaonen ausmachten. Das ganze Tal war unter der Erde durchlöchert. Weiter ging es mit einer kleinen Bahn zum Tal der Könige. Ein Kollege hatte mir erzählt, dass dort auf den Bergen, als er im Jahr 1999, zwei Jahre nach dem Terroranschlag, im Tal der Könige war, rund um das Tal militärische Wachposten mit Schnellfeuerwaffen zum Schutz der Touristen gestanden hätten. Heute sah man keine Militärpolizei mehr. Wir besuchten drei Gräber. Sie funktionierten alle nach dem gleichen Modell. Man lief vom Eingang aus steil hinunter, an mit Hieroglyphen geschmückten Wänden vorbei. Die Decke wurde, je weiter man hinunterkam, immer höher, bis man ganz unten beim Allerheiligsten, dem Grab, ankam. Dort waren auch die Decken bemalt.

      Die Hieroglyphen sind friedlich, stumm. Eine fremde Sprache, die ich nicht verstehe. Sie beruhigt mich mit ihren Symbolen, die für mich genauso wie mathematische Codes undurchdringlich sind. Ich liebe tote Sprachen, die nur noch eingemeißelt in Wände ohne Laut sprechen. Ich liebe die Stille, sie kann einen nicht verletzen.

      Als wir im ersten Grab ganz unten waren, sah Toni in das Allerheiligste hinein. Im Moment waren noch keine Touristen da. Toni war alleine unten am Ende des Tunnels. Gisela hatte sich hinter sie gestellt. Da hörte ich, dass Gisela mit spöttischer Miene, die Mundwinkel herabgezogen, zu Toni sagte: „Hoffentlich stürzt jetzt das Grab nicht ein, dann wären wir lebendig begraben.“

      Toni konnte daraufhin nur schwer die Tränen zurückhalten. Während wir in dem Grab nach oben in Richtung Tageslicht stiegen, sagte ich zu ihr:

      „Lass dich von der nicht kleinkriegen! Die hat doch einen Dünkel.“ Daraufhin wich Toni nicht mehr von meiner Seite, als wir die restlichen Gräber besuchten. Wie ein Schatten lief sie mir hinterher. Und ich genoss es!

      Alle Gräber in dem Tal sind damals ausgeraubt worden. Nur ein Grab ist verschont geblieben. Das von dem kleinsten aller Pharaonen, das Grab von Tutanchamun. Die Schätze des Grabes, darunter auch die goldene Maske, befinden sich heute im Ägyptischen Museum in Kairo. Während der Reiseleiter nach der Besichtigung über die Todeszeremonie der Ägypter berichtete, sah ich, dass sich Toni in die Morgensonne gestellt hatte und von einem Fuß auf den anderen trat. Ich ging zu ihr und fragte sie, ob sie auch aufs Klo müsse. Wir verdrückten uns zu einem heruntergekommen Wagen, der sich Klo nannte. Wir gaben dem Ägypter, der uns ein paar Blatt Klopapier reichte, einen Euro und betraten den Vorraum der Toiletten. Es gab nicht einmal Seife im Spender. Nur ein verbrauchtes einsames Stück Seife lag auf dem verdreckten Waschbecken. Die Klos selber sahen nicht besser aus. Wie froh war ich, als ich wieder draußen war. Als wir zurück bei der Gruppe waren, erzählte