Название | Die Seele im Unterzucker |
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Автор произведения | Mica Scholten |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991072393 |
Durch das Mobbing noch bestärkt, begann ich mich immer mehr selbst zu verabscheuen. Ich begann zunehmend verschlossener zu werden und schämte mich für beinahe alles, was ich tat und mochte. Fuhr mich meine Mutter beispielsweise in die Schule und hörte etwas lauter Musik, so bat ich sie regelmäßig die Musik beim Ausstieg kurz leise zu machen. Die anderen durften auf keinen Fall wissen was wir hörten, um bloß keine neue Angriffsfläche für Mobbing zu bieten. Seit meiner Zeit in der 1. Klasse, als ich auf Busfahrten zur Schule regelmäßig wegen meiner Leidenschaft zu den Teletubbies schikaniert wurde, behielt ich ohnehin sämtliche persönliche Favoriten für mich. Diese Prägung hält sogar bis heute noch teilweise an. Fährt zum Beispiel ein Fremder bei mir im Auto mit, so schalte ich meine persönliche CD ganz automatisch aus und wechsle um auf Radiosender. Nicht, dass es etwas zu verbergen gäbe, ich höre keine verbotene Index-Musik. Aber ich schäme mich trotz allem noch immer für alles, was mir persönlich gefällt. Meine Mutter sagte mir immer, ich solle zu den Dingen stehen, für welche ich mich begeistere. Dies gelingt mir jedoch nur in Maßen. Obwohl sich jene Phobie über die Jahre bereits deutlich besserte. Aber in Zeiten der frühen Jugend war es besonders extrem.
Auch wenn ich sehr viel provoziert habe, so muss ich dennoch sagen, dass mir selbst auch die eine oder andere Gemeinheit widerfuhr, welche ziemlich heftig war. Ein gutes Beispiel hierfür war beispielsweise die gelegentliche Illoyalität von meinem besten Freund Axel. Er hatte einige Freunde, welche mich nicht sonderlich mochten und auch gelegentlich ärgerten. War er mit mir unterwegs und jene kamen unmittelbar um die Ecke, zog er sich dezent zurück, um nicht mit mir gesehen zu werden. Allerdings glaube ich inzwischen, dass dies einfach aufgrund seiner konfliktscheuen Art passierte. Axel war schon immer der Typ, welcher es sehr gerne allen recht machen wollte und unnötigen Diskussionen aus dem Weg ging. Außerdem waren wir beide noch sehr jung, daher ist ihm in dieser Hinsicht kein Vorwurf zu machen. Heute würde er anders zu mir stehen, wenn mich jemand in seiner Gegenwart dumm anmachen würde, das weiß ich genau.
Meine Depressionen verstärkten sich immer mehr, was sich nach außen hin in Hyperaktivität und provokantem Verhalten äußerte. Nicht nur ärgerte ich meinen Vater und nervte gelegentlich meine Lehrer durch Albernheiten, sondern richtete meinen inneren Druck auch irgendwann gegen mich selbst. Ich begann mir im Gesicht herum zu schürfen und mir die Nase mit meinem Haustürschlüssel blutig zu kratzen. Später fügte ich mir größere, flächenartige Verletzungen auf den Wangen zu. Ich schürfte dazu an einer Hauswand entlang, welche recht rau war. Solange, bis die Haut vollkommen aufgerieben war und blutete. Dieser äußerliche brennende Schmerz half mir dabei, den inneren Druck etwas zu reduzieren und kurzzeitig zu vergessen. Anfänglich erfand ich Ausreden, dass ich hingefallen wäre und ähnliches. Aber natürlich war meine Familie nicht blöd und wusste sehr bald Bescheid. Aufgrund dessen und natürlich wegen sämtlicher anderer Aspekte meines Verhaltens wurde ich erneut in ambulante Psychotherapie geschickt, bei welcher ich in den nächsten Jahren verbleiben sollte.
Meine neue Therapeutin war sehr nett und verständnisvoll. Heute sage ich mir, dass ich damals möglicherweise viel mehr hätte erreichen können, wenn ich die Therapie nur ernster genommen hätte. Ich redete über viele Themen und sprach auch recht offen über Dinge, welche mich belasteten, wie familiäre Probleme, Minderwertigkeitsgefühle gegenüber anderen und meine Außenseiterrolle. Allerdings neigte ich sehr dazu, mir selbst alles schöner zu reden, als es tatsächlich war und vieles zu verharmlosen, um (unnötigen?) Themen, welche mich verletzten, möglichst aus dem Weg zu gehen. Der Weg des geringsten Widerstandes war mir auch damals schon der liebste. 50 % der Therapiestunden wurden benutzt, um heimlich aufgenommene Videos von meinem armen Vater vorzuführen und mich damit bestens zu amüsieren.
Es wäre gelogen zu sagen, jene Therapie hätte mir in keinerlei Hinsicht geholfen. Sie bestärkte mich durchaus, ganz besonders wenn es darum ging, mich besser auf mich selbst zu konzentrieren. Ich brachte zum Ausdruck, wie erdrückend die ständigen Vergleiche mit anderen Menschen für mich waren und jene unbeschreiblichen Komplexe, wenn ich nicht mit jenen mithalten konnte. Ganz egal, ob es sich um einen optischen Aspekt oder eine besondere Begabung handelte. Die kleinen Erfolge der Therapie waren jedoch nicht von Dauer. Inkonsequent wie ich mein Leben lang schon war, fiel ich immer wieder in alte Muster zurück. Für die Zukunft war schon sehr bald eine stationäre Therapie im Gespräch. Dagegen sträubte ich mich jedoch sehr lange, ich wollte nicht aus meiner gewohnten Umgebung heraus.
Mit Axel hatte ich über eine gewisse Zeit kaum Kontakt. Da wir inzwischen auf verschiedene Schulen gingen (Axel besuchte die Haupt- und ich die Realschule), sahen wir uns nicht mehr täglich auf dem Pausenhof. Ich war es zuvor ja auch überwiegend, welcher auf seine Kontaktaufnahme angewiesen war, da wir von seiner Mutter aus immer noch unter „offiziellem Treffverbot“ standen. Unser Kontakt war für ein knappes Jahr, es muss so im Jahre 2006 bis 2007 gewesen sein, recht eingeschlafen. Ich fragte mich häufiger, wie es ihm denn ginge und warum er sich nicht mehr meldete. Hatte er bessere Freunde gefunden? Wir hatten uns nicht gestritten und trotzdem war der Kontakt irgendwie eingeschlafen.
Eine Zeit lang versuchte ich krampfhaft, mit den Jungs aus meiner Klasse engere Freundschaften aufzubauen, indem ich mich im Sommer mit ihnen am See zum Schwimmen verabredete. Und obwohl sie mich dort immer wieder ärgerten, indem sie meine Luftmatratze und mein aufblasbares Krokodil heimlich mit Urin füllten, meine mitgebrachten Süßigkeiten aufaßen, ohne mir etwas abzugeben und mich in der Runde mit doofen Sprüchen stichelten, ging ich immer wieder erneut mit ihnen zum See um in Gesellschaft zu sein. Tief im Inneren wusste ich ganz genau, dass ich nicht wirklich dazugehörte und im Grunde nur „anwesend“ war. Es war keine sehr feinfühlige und verständnisvolle Gesellschaft. Was mich nicht störte, aber ich war trotzdem sensibler. Ich tat so, als würden mir jene Streiche nichts ausmachen und ich stünde drüber. Irgendwie war ich tief im Inneren sogar dankbar, dass ich mit dabei sein durfte. Trotz sämtlicher Sticheleien, welche ich teilweise aus Schulzeiten bereits gewohnt war.
Irgendwann hatte ich jedoch nicht länger die Kraft, jenen Gemeinheiten standzuhalten und bevorzugte es, zuhause zu bleiben. Ich spielte häufig mit meinem Bruder Finn, welcher inzwischen auch schon in die Grundschule ging. Im Jahr zuvor hatte ich ihm bereits schon das Lesen beigebracht. Schnell zeigte sich, dass er über eine ausgeprägte Intelligenz verfügte und sehr schnell begriff. Ohnehin hatte er sich in Kindertagen schon immer sehr viel mit Dingen beschäftigt, welche teilweise über seine altersentsprechenden Fähigkeiten gingen. Finn konnte bereits im zarten Alter von 5 Jahren fließend Autobahnkarten entziffern und kannte nahezu jede wichtige Straßenabfahrt, welche wir (auch im Urlaub bei meiner Oma in Thüringen) häufiger nutzten. Ferner interessierte er sich für den Weltraum und konstruierte regelmäßig wunderschöne Kunstwerke mit Magnetkugeln und deren Verbindungsstücken. Ein IQ-Test, welchen meine Mutter in Kindertagen durchführen ließ, bestätigte seine Intelligenz.
Auch in puncto Konsolenspiele trat er schon bald in meine Fußstapfen und spielte selbst leidenschaftlich gerne an der Nintendo 64 und am Computer. Durch viele Stunden des Zusehens hatte er hierfür den benötigten Grundstein. Während mein Spiel-Eifer diesbezüglich irgendwann ab der Pubertät abflaute, legte er erst so richtig los. Bis heute ist er ein leidenschaftlicher Gamer, wenn er in freien Stunden dazu kommt.
Über den Computer meiner Mutter erstellte ich mir im Jahr 2007 einen ICQ-Account, meldete mich in einem sozialen Netzwerk für Jugendliche an und schloss online schon bald einige neue Kontakte. Und auch wenn ich mit 95 % jener Menschen niemals im wahren Leben in Kontakt kam, fühlte sich diese neue Welt so sicher und vertraut an.
Überwiegend viel war ich zu dieser Zeit bei meinen Großeltern zu Besuch, welche eine ganze Weile über wie meine besten Freunde waren. Täglich half ich ihnen im Garten, badete viele Stunden im Pool und spielte ausgiebig mit den Wildkatzen, welche durch die regelmäßigen Fütterungen meiner Großeltern bald ganz zahm wurden. Wir unternahmen regelmäßig schöne Dinge miteinander. Besuche auf dem Weihnachtsmarkt, in Museen und Gartenfachgeschäften, um nur einige zu nennen.
Einmal kam es in dieser Zeit zu einem großen Eklat, woraufhin ich eine sehr lange Zeit den Kontakt zu meinen Großeltern und meinem Vater