Geisel des Piraten. Keira Andrews

Читать онлайн.
Название Geisel des Piraten
Автор произведения Keira Andrews
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960894810



Скачать книгу

innerlich. Genug davon.

      Er bewegte überlegend seine Zunge in der Wange hin und her und lächelte sie anzüglich grinsend an. »Wenn Ihr es vorzieht, den Platz Eures Bruders einzunehmen …«

      »Nein!«, schrie der Junge. Bainbridges Augen loderten mit einer Wildheit auf, die er zuvor hatte vermissen lassen. »Ich werde tun, was immer Ihr verlangt. Aber verschont meine Schwester.«

      Hawks Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Wäre er ein weichherziger Mensch gewesen, hätte ihn das fast angerührt. Aber so wie die Dinge lagen, nun ja …

      Schwer atmend riss Bainbridge seine Schwester an sich und umarmte sie. »Ich werde es schon schaffen. Ich liebe dich, Susie.«

      Sie hing an ihm. »Geh nicht. Lass dich nicht von ihm mitnehmen.«

      Mit dem Drang, die Augen zu verdrehen, zog Hawk Bainbridge aus der Kabine und zerrte ihn am Nacken heraus. Er kämpfte nicht, offensichtlich hatte er sich seinem Schicksal seiner Schwester zuliebe ergeben, oder vielleicht hatte er auch sein letztes bisschen Tapferkeit aufgebraucht.

      Das Mädchen hätte für ihn keinen Nutzen gehabt. Wenn Hawk sich recht erinnerte, hatte Walter Bainbridge zwei Töchter. Aber es ging das Gerücht um, es gäbe auch einen Sohn, der seinen Namen weiterführen sollte, von dem er besessen war und den er über die Gesundheit seiner eigenen Frau gestellt hatte. Und nun war eben dieser Sohn in Hawks unmittelbarer Reichweite. Warum das Schicksal diese Nacht so vollkommen gesegnet hatte, würde er nie erfahren. Aber er würde es auch nicht hinterfragen. Nicht jeder Wind blies ihm so viel Glück in die Segel. Hier war endlich seine Chance auf Rache. Würde die Schlange das Geld aufbringen können? Vielleicht. Sogar wahrscheinlich, wenn man seine Beziehungen berücksichtigte. Aber zumindest hatte er seinen kostbaren Erben in der Gewalt. Oh, was würde er darum geben, das Gesicht des alten Mannes zu sehen, wenn er diese Neuigkeit hörte. Hawk lachte laut auf, das Wasser um ihn herum warf sein Entzücken in Wellen zurück. Er schob den Jungen zu Snell, der an der Reling stand. »Schauen Sie sich unsere Beute gut an, Herr Quartiermeister. Walter Bainbridges kostbarer Sohn.«

      Snell war eine Haaresbreite größer als Bainbridge und um einiges umfangreicher; solide Muskeln verbargen sich unter den Fettschichten, die mit dem Alter gekommen waren, als er die Fünfzig überschritten hatte. Seine silbergeschmückten Finger packten Bainbridges Arm ohne Rücksicht. Dunkle Augen sahen Hawk unter schütter werdendem, blondem Haar an. Snell lachte mit weit geöffnetem Mund auf. Seine Ohrringe glänzten im Kerzenlicht. Sein schwarzes Hemd war halb aufgeknöpft und enthüllte ein Anker-Tattoo direkt unterhalb seines Halses. Er hatte sich fünf oder sechs davon in sein Fleisch stechen lassen. Hawk war mit einem zufrieden.

      Nachdem er seine Befehle Snell gegenüber wiederholt hatte, gab Hawk die Lösegeldforderung an den Handelskapitän weiter, einen salzgegerbten alten Seemann, der nur mit den Schultern zuckte und nickte, wobei das Leben des Jungen offensichtlich keine große Rolle für ihn spielte. Bainbridge beobachtete den Austausch mit offensichtlicher Bestürzung.

      Snell seinerseits beäugte den jungen Bainbridge mit nicht mehr als einer hochgezogenen Augenbraue auf seinem zerklüfteten Gesicht. »Dann komm schon. Rüber mit dir.«

      Der Junge blinzelte und sah die lange Holzplanke an, die das Handelsschiff mit der Damned Manta verband. Er blickte über die Schulter zurück in Richtung der Treppe unter Deck, von wo das laute Schluchzen seiner Schwester widerhallte. Sein Körper krümmte sich, als wollte er davonlaufen.

      »Na, na, nicht doch«, sagte Hawk lächelnd. »Wohin würdest du fliehen wollen?« Etwas Dunkles in ihm nährte sich von der Furcht des Bainbridge-Jungen. »Wenn du nicht als Futter für die Haie enden willst, gibt es nur einen Ort, an den du jetzt gehen kannst.«

      Er schaute zum schattenhaften Rumpf seines Schiffes, dessen schlanke Segel vorübergehend aufgerollt waren, während die Besatzung seinen Befehlen Wort für Wort folgte. Jahrelang war dies schon sein Zuhause, doch er wurde ruhelos. Das war's. Das war es verdammt noch mal endlich. Die Rache würde endlich ihm gehören. Bis heute Nacht war ihm das Glück langsam davongelaufen. Er hatte es spüren können. Entweder würde sich sein Schicksal auf dem Meeresgrund erfüllen, oder er würde in eine Klinge laufen oder am Galgen baumeln. Aber jetzt stand er hier, der Bainbridge-Junge, wie eine lebendig gewordene atmende Chance darauf, zumindest etwas von dem wiederzugewinnen, was er verloren hatte. Vielleicht sogar die Chance auf ein neues Leben. Es war eine Torheit, aber … vielleicht.

      »Hinauf mit dir.« Snell schubste den Gefangenen auf die Planke. »Captain Hawk ist kein besonders geduldiger Mann, ich warne dich. Und ich bin's auch nicht.«

      Schwer atmend kletterte Bainbridge hinauf, seine Beine zitterten sichtlich. Er sah hinüber zur Manta, dann zurück zu Hawk. Dann hinab auf die Wellen.

      »Denk nicht mal an ein edles Opfer«, knurrte Hawk und sprang hinter ihm auf die Planke. »Oder wir nehmen am Ende doch deine Schwester. Wenn wir mit ihr fertig sind, wird sie nicht mehr ganz so hübsch sein.« Wieder packte er den Jungen am Genick. »Beweg dich.«

      Kaum hatten seine Stiefel das vertraute Deck berührt, marschierte er mit dem Gefangenen zum Heck und überwachte die Crew, wobei er Bainbridge immer noch festhielt. Als die Planke eingeholt und die Haken von der Proud William gelöst waren, gab er den Befehl zum Segelsetzen. Am Horizont dämmerte der Morgen, und mit dem Wind segelten sie los.

      Selbst mit der geraubten Fracht war die Damned Manta das schnellere Schiff. Hawk blieb bewegungslos am Heck stehen und beobachtete das Handelsschiff, um sicherzugehen, dass sie keinen Versuch unternahmen, ihnen zu folgen. Es waren schon merkwürdigere Dinge passiert.

      Bainbridge zitterte neben ihm, mit geballten Fäusten und aufeinandergepressten Lippen sah er zu, wie die Proud William immer kleiner wurde.

      Manche Piraten bevorzugten Kriegsschiffe, aber Hawk gefiel die Beweglichkeit einer Schaluppe und ihre Crew, die sechsundvierzig Mann vergleichsweise klein war. Weniger Männer, mit denen die Beute zu teilen war. Weniger Männer, die Ärger machten.

      Hawks Gedanken wirbelten. Fast schon immer, jedenfalls seit er sich erinnern konnte, hatte er von einem Leben auf dem Wasser geträumt. Aber Piraterie hatte er nie gewollt. Walter Bainbridge hatte ihm keine Wahl gelassen. Es gab keine Möglichkeit, seine ramponierte Ehre wiederherzustellen, aber vielleicht konnte er mit seinem Anteil des Lösegeldes der Brutalität entkommen. Vielleicht konnte er … einen Ort finden. Einen ruhigen Inselabschnitt außerhalb Englands Reichweite. Einen Ort, an dem er fischen und ein paar Tiere halten konnte, genug, um bequem zu leben. Frieden nach seinen eigenen Maßstäben finden konnte. Er würde allein sein, aber daran hatte er sich schon lange gewöhnt.

      Wie ein weit entferntes Echo spürte er einen leichten Schmerz, der dumpf war nach all der Zeit. Vor Jahren hatte er geglaubt, einen Gefährten gefunden zu haben, einen Mann, mit dem er sein Leben teilen konnte. Er hatte sogar geglaubt, die Liebe gefunden zu haben. So eine Absurdität. Ungebeten flackerte eine Erinnerung an blonde Haare und blaue Augen voller Schalk in ihm auf und verschwand dann wieder im dunklen Morast der Vergangenheit. Für einen kurzen Moment hatte er Liebe empfunden, bevor sie ihm wieder entrissen worden war. Ach, die Narrheiten der Jugend.

      Und doch stehe ich hier und träume von einem friedvollen Leben. Närrisch, in der Tat.

      Hawk konzentrierte sich auf die Aufgabe, die unmittelbar neben ihm stand und spähte in die Ferne. Sie hatten eine gute Distanz zwischen sich und das andere Schiff gebracht, also zog er den Jungen mit sich unter Deck und ignorierte seinen Aufschrei. Durch das Heckfenster seiner Kabine strömte gerade genug trübes Licht, um ohne Streichholz etwas sehen zu können. Sein Schreibtisch befand sich im Heck, und sein Bett war auf der anderen Seite des offenen Raumes in die gegenüberliegende Wand eingebaut. Hier verschränkte Hawk die Arme und ließ seinen Blick an dem Gefangenen auf- und abwandern. »Junge …«

      »Ich bin achtzehn Jahre alt.« Bainbridge reckte seine schmale Brust. »Ich bin ein Mann.«

      Hawk musste lachen, es klang wie ein scharfes Ausatmen. »Bist du das?« Mit seinen einundvierzig Jahren konnte Hawk sich kaum noch daran erinnern, jemals so verdammt jung gewesen zu sein. »Hör zu, Junge. So wird es laufen …«

      »Mein Name ist …«