Wenn Schattenmächte weichen. Judith Berger

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Название Wenn Schattenmächte weichen
Автор произведения Judith Berger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783946435112



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er sie wiedersehen.

      Ignaz schleppte sich durch die windschiefe Tür. Er durchquerte den rußigen Saal und als er über den Hof ging, spürte er, wie ein Rinnsal an Kraft in seine Beine floss. Nichts wie Heim.

      Mit einem ohrenbetäubenden Rasseln fiel das Torgitter vor ihm hinunter. Die Wucht ließ Ignaz zurücktaumeln. Der Ausgang war verschlossen.

      Zu seiner Rechten erblickte er eine umgestürzte Mauer. Er klettert über die Steine hinweg. Eine Feuersbrunst flammte vor ihm auf. Ignaz wurde zurückgeworfen. Schnell stand er auf, schleppte sich auf die andere Seite des Hofes, um nach einer Lücke in der Mauer zu suchen. Doch wo einst eine Ruinenwand war, standen nun kräftige Steine mit blitzenden Eisenspitzen.

      Verzweifelt blickte Ignaz sich um. Die Hexe wollte ihn nicht gehen lassen. Er saß in der Falle. Vor ihm war nur noch die Tür, die zum Saal und in den Garten führte. Nur der Weg zurück zur Hexe war frei. Was sollte er tun?

      Da kam sie. Mit flatterndem Gewand, das lange Haar windgepeitscht, stand sie vor ihm. Groß, hell und unendlich böse.

      Ignaz holte Luft. „Lass mich sofort gehen, ich will nicht mehr für dich arbeiten.“

      Sie legte den Kopf schief. „Vielleicht bist du mir nützlicher als ich gedacht habe. Du darfst zur Versammlung kommen.“

      „Ich will die blöde Versammlung nicht, ich will nach Hause.“ Er stampfte mit dem Fuß auf.

      „Nicht so schnell, Ignaz von Rielau. Ich habe einen Auftrag für dich. Wenn du ihn erfüllst, bekommst du das doppelte deines Zwergengewichtes in Gold und Edelsteinen als Lohn. Versagst du, nehme ich dir dein Haus, deinen Laden und deinen ganzen Besitz weg.“

      Ignaz schluckte. Sein doppeltes Gewicht in Gold und Edelsteinen? Er war ein ziemlich schwerer Zwerg. Das musste ein großer Haufen sein. Hatte er überhaupt eine Wahl? Sein doppeltes Gewicht in Schätzen … Ignaz’ Herz pulsierte. Die Finger wurden stark. Bereit, alles Gold und Edelsteine an sich zu nehmen. Sein Rücken straffte sich.

      „Mein doppeltes Gewicht“, antwortete Ignaz. „Und das meiner Frau.“

      Ein warnender Blick schoss direkt in seinen Kopf. Eiskalt lief es ihm den Rücken hinunter. Die Knochen stöhnten, in Erinnerung an eben und der Schmerz des Aufpralls meldete sich.

      „Nur meins“, sagte er schnell. „Mein doppeltes Gewicht in Schätzen.“

      „Gut.“ Die Hexe nickte. „Heute Abend ist die Versammlung. Bringe mir einen Menschen, dessen Herz nicht gebrochen ist.“

      Ignaz erstarrte. Das war völlig unmöglich. Jeder wusste, dass es im Land keine ungebrochenen Menschenherzen mehr gab. Grund dafür war die Hexe selbst. Sie hasste Menschenherzen und schickte Not und Plagen, bis jedes Herz brach.

      „Ich …“

      „Nun darfst du gehen.“ Das Fallgitter schob sich nach oben. „Bring diesen Menschen zur Versammlung und dein doppeltes Gewicht in Gold und Edelsteinen gehört dir.“

      „Vielleicht … könnte ich es versuchen …“ Er merkte selbst, wie kläglich seine Stimme klang.

      Die Hexe nickte ihm zu.

      Ignaz dachte an die Menschen. Wie wankelmütig sie waren. Wie schwach. Wollten dies und das, das und jenes und doch nichts. Sie fühlten sich groß, sprachen herablassend und waren dabei so schwach.

      Ein grimmiges Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Wenn es wirklich noch ein ungebrochenes Menschenherz gab, wäre er der Erste, der mitansehen wollte wie es gebrochen würde. Jawohl, er wollte es mit eigenen Ohren brechen hören.

      Ignaz grinste. „Es wird mir eine Freude sein, dir diesen Menschen zu bringen.“ Er nickte der Hexe knapp zu und drehte sich um. Marschierte hinaus mit festen Schritten. Schritten, wie nur ein echter Zwerg sie machen konnte.

Kapitel 5 Halte ein!

      Es war der Tag vor der Wintersonnenwende. Die längste Nacht stand bevor. Dunst lag über der Erde. Die Schatten wurden länger. Abend, könnte man meinen, doch Tunai wusste es besser. Es waren die Schatten von Ludetta und ihrer Macht. Das Reich der Windhexe nahm zu. Die große Versammlung stand direkt bevor.

      Ein Schauder überkam ihn. Das unruhige Brodeln wurde stärker. Es trieb ihn voran. Mila. Er musste wissen, wie es Mila ging.

      Wie schon hunderte Male flog er hinweg, über verdorrte Felder und trockene Wiesen, hin zu dem Wald, wo Mila wohnte. Mila, das Licht. Sie war wertvoller als der teuerste Edelstein, reiner als der klarste Diamant und besser gehütet als das größte Geheimnis.

      Tunais Bussardaugen suchten die Waldwege ab. Mittags war das Kind meistens draußen. Doch heute war keine Mila zu sehen. Die Lichtung mit dem Grab war wie ausgestorben. Das Grab … Statt des Holzkreuzes prangte ein Scheiterhaufen in der Mitte der Lichtung. Tunais Herz stockte. Was war geschehen? Mit zwei kräftigen Flügelschlägen legte er sich auf den Wind. Sauste dahin bis zur kleinen Hütte. Nur noch ein dünnes Rinnsal an Rauch stieg aus dem Schornstein auf. Das Feuer war bereits am Ausgehen. Er musste nachsehen was los war. Nur ungern flog Tunai hinab. Am Boden war er den Elementen der Erde zu sehr ausgesetzt. Doch das Wissen um Mila zog stärker. Er musste erfahren, wie es um sie stand.

      Tunai flog dicht ans Fenster. Spähte hinein. Nichts außer schummrigem Dämmerlicht. Er flatterte um die Ecke, ließ erneut seinen Blick durch die Hütte gleiten. Ein sanfter Lichtstrahl fiel in den leeren Raum. In der Mitte lag ein umgekippter Kessel. Einfach auf dem Boden. Der Deckel unachtsam daneben. Eine dunkle Ahnung bemächtigte sich Tunais. Etwas Furchtbares musste geschehen sein.

      Mit einem Ruck stieß Tunai hinauf in die Luft. Was immer passiert war, er musste Mila finden.

      Gehetzt wanderten seine Augen durch den Wald. Über jeden Busch. Jede Wurzel. Um zu sehen, ob etwas ungewöhnlich war, während er oben seine Kreise zog.

      Da, zwischen den Tannen blitzte etwas Rotes auf. Es war Milas Schultertuch und sie war, all den guten Mächten sei Dank, am Leben. Munter spazierte sie den Weg entlang. Hüpfte beinahe, und die hellen, schulterlangen Zöpfe wippten fröhlich bei jedem Schritt mit. Eine zentnerschwere Last fiel von Tunais Herzen. Mila war wohlauf.

      Und doch blieb die Unruhe zurück. Etwas stimmte nicht.

      Eben blieb das Mädchen stehen und ging in die Hocke. Es sprach … mit einem Haselstrauch?

      Tunai ließ sich auf eine Tannenspitze nieder. Weit entfernt und doch nah genug, um zuzuhören.

      „Ich werde gehen, Bamper.“

      Mit wem sprach sie? Tunai reckte den Kopf, doch er konnte nichts erkennen, außer grünem Blattwerk.

      „Noch vor Sonnenuntergang werde ich zurück sein. Glaub mir Bamper, mir wird nichts passieren, wenn ich ins Dorf gehe.“

      Ins Dorf? Wie Donner grollte es durch Tunais Kopf. Mila durfte nicht ins Dorf gehen. Das durfte nicht geschehen. Nicht jetzt, wo die Macht der Hexe zunahm. Ihre Schatten länger wurden. Nicht heute, wo jeder Stein Augen und Ohren hatte. Wo Ludettas Späher an jeder Ecke lauerten und Geheimnisse mit listigen Klauen entrissen. Nicht jetzt, wo die große Versammlung direkt bevorstand. Da war es selbst im Wald gefährlich. Das Mädchen musste sich ruhig verhalten. Oh, wie gern hätte er es an diesen geheimen Ort gebracht, wo die Macht der Hexe nicht hinkam. Wo das Licht schien. Doch es gab ihn nicht. Niemand hatte ihn je gefunden. Er war ein Mythos und so musste das Mädchen im Wald bleiben.

      Doch sie erhob sich und marschierte weiter. Ihr Korb schwang mit Leichtigkeit zu jedem Schritt. Ein fröhliches Summen wurde nach oben getragen. Sie steuerte unbeirrt auf den Waldrand zu.

      Halte ein, schrie es in Tunai. Mit einem Satz schwang er sich nach oben. Geh nicht weiter. Kehre um!

      Zu spät. Mila hatte den Waldrand erreicht und trat auf die Wiese. Ungeschützt wie ein junges Reh. Nicht ahnend, dass das Korn der Flinte auf es zeigte, der Finger des Jägers sich um den Abspann legte.

      „Nein“,